Rauschendes Meer, sanfte Musik, ein weißes Model in weißem Badeanzug steigt sexy aus den Wellen, rasierte Beine, rasierte Achseln, rasierte Bikinizone. Und dann, Schnitt, nimmt sich die Modelfrau nach dem Schwimmen noch einmal richtig Zeit für sich, setzt sich an den Badewannenrand und cremt sich nicht nur Gesicht, Arme und Beine ein, sondern auch ein bisschen untenrum.
"Ich spreche immer von Vagiküre, so wie wir Hände oder Füße mit Maniküre oder Pediküre pflegen, sollte das untenrum doch auch selbstverständlich sein", sagt Avonda Urben, die sich die Pflegelinie "The Perfect V" ausgedacht hat, die dieses Kampagnenvideo bewirbt. "Vagiküre" ist die neue "Beauty für down under". " V-Time is the new Me-Time", schreiben Frauenzeitschriften. Sogar die Teen Vogue, also ein Modemagazin für Teenager, listet die "10 besten Produkte für eine gesunde Vagina". Es gibt immer mehr Untenrum-Cremes, Pflegemasken oder -öle. Erobert der Schönheitsmarkt nun die Intimzone?
Die junge Schauspielerin Emma Watson, seit 2014 UN-Botschafterin für Frauenrechte, die als weise kleine Hexe Hermine Granger in den Harry-Potter-Filmen berühmt wurde, träufelt sich jetzt auch täglich ein paar Tropfen Pflegeöl auf ihr Schamhaar, wie sie in einem Beitrag für das Beautyblog Into The Gloss erzählt. Die Biorasurlinie Fur will mit ihren Ölen nicht weniger als einen Diskurs über die Körperhaare und die Haut untenrum anstoßen. Und, nun ja, nebenbei Haut und Haare etwas schöner und noch ein bisschen perfekter machen.
Dieses Öl scheint förmlich nach zu riechen. Nach perfekten Filtern und spiegelglatten Oberflächen, Hashtag: sexualwellness. Der neue Wohlfühltrend 2019. Sexual Wellness ist ein weit gefasster Begriff, der von Cremes und Ölen bis zu Vibratoren reicht - und der in der Schönheitsbranche laut Trendforschungsinstitut WGSN als neuer Wachstumsmarkt gilt. Dem Marktforschungsinstitut Stratistics MRC zufolge belief sich der weltweite Umsatz für sexuelles Wohlbefinden 2017 auf 39,42 Milliarden US-Dollar. Es wird erwartet, dass er mit einer jährlichen Wachstumsrate von 13,4 Prozent bis 2026 auf 122,96 Milliarden US-Dollar anwächst.
Dabei geht es nicht darum, den Partner zu verwöhnen, sondern sich selbst einfach mal etwas Gutes zu tun. Im Sinne der Selbstliebe, der beständigen Vergewisserung, schön zu sein, sich viel jener Liebe verdient zu haben, die die Apologeten der Body-Positivity-Bewegung propagieren. Die eigene Verwöhnroutine lässt sich doch noch um ein paar Produkte steigern! Diese Marken bieten mehr als nur Sexyness, sie stehen für Kultiviertheit, Lifestyle und Selbstbestimmung, so das Versprechen.
Frauen auf der ganzen Welt entfernen Haare, sie zupfen, waxen, sugarn, rasieren, verwenden Enthaarungsmittel oder schneiden einfach nur kurz. "Alle betreiben doch irgendeine Art von Pflege", sagt Avonda Urben. "Nur wo sind die Luxuspflegeprodukte, um die empfindliche Haut untenrum zu pflegen?" Da gab es ja noch gar nichts, fiel ihr auf. Urben hat selbst jahrzehntelang als Marketingexpertin in der Schönheitsbranche gearbeitet und für Revlon oder L'Oréal viele neue Schönheitsprodukte erfunden.
Als die US-Amerikanerin Urben dann einige Jahre in Dänemark verbrachte, habe sie bemerkt, wie cool, selbstbewusst und unverklemmt die skandinavischen Frauen mit ihren Körpern umgingen - nackig schwimmen, nackig in die Sauna und so was. Ausgerechnet diese Natürlichkeit nahm Urben zum Anlass für ihre Luxusmarke. Neben Serum, Creme und Waschgel gibt es auch den V Luminizer: "Der gibt einen Gloweffekt und lässt Dehnungsstreifen smoother wirken." Oder das V Beauty Mist: "Das neutralisiert, nimmt ein bisschen den Geruch. Also, ich glaube nicht, dass die Vagina schlecht riecht, aber viele Frauen glauben das ja", sagt Urben.
Drei Freundinnen schauen sich zusammen das The-Perfect-V-Werbevideo an:
Freundin 1: Ist das echt oder Verarsche? Keine Frau räkelt sich so lasziv, wenn sie allein abhängt.
Freundin 2: Ekelhaft, dass sie Frauen erzählen, ihre Vagina könnte noch schöner sein. Wieder eine neue Creme, um noch mehr aus sich zu machen. Und dazu dieses skandinavische Design! Willst du auch eine skandinavische Pussy? Ist jetzt der heiße Scheiß!
Freundin 3: Das ist wie eine gemorphte Parfüm- und Katzenfutterwerbung, dazu diese schlimme Fahrstuhlmusik und die Selbstzufriedenheit des Natürlichkeitsmodels. Und am Ende, klar, High Heels und ab mit der Crememuschi zum Investmentbanker an der Pianobar.
Während die Vagina beziehungsweise die Vulva – da muss man bitte unterscheiden, aber dazu gleich – aus der Tabuzone befreit wird, wird sie also auch schon von der Schönheitsindustrie besetzt, die gern bestehende soziale Vorurteile und Trends übertreibt: "Tabus haben die Kraft, einen zum Schweigen zu bringen und Unsicherheit zu nähren, aber das kann ein wirklich interessanter Ausgangspunkt sein, wenn man eine neue Marke kreiert", sagt Laura Schubert, die Erfinderin von Fur, dem Modemagazin Vogue.
Der Aufruf zur Selbstliebe wird zur Formel einer Vermarktungsstrategie. Was in den Tuben und Tiegelchen als Selfcare und Wohlfühlfeminismus verkauft wird, hat nicht viel mit Selbstermächtigung zu tun.
Emma Watson schreibt auf Into The Gloss, jenem Blog, in dem sie auch das Fur-Öl empfiehlt, es sei so easy in der Instagram-Ära, das eigene Leben so zu editieren, dass es perfekt wirke. Dabei sei das ja gar nicht so. Gutes Aussehen und Sexyness ist eben echte Arbeit, Zeit und Geld. Watson schreibt, welche Mascara und sonstigen Marken sie an ihre Haut und Haare lässt. Sie schreibt, dass sie ihre etwas dunklere Oberlippe bleicht und ihre Augenbrauen regelmäßig zupft – und zwar, seitdem sie neun Jahre alt ist. Und, dass sie jetzt eben auch, fast im Ton eines Bekenntnisses, Öl für den Schambereich benutzt.
Die Soziologin Eva Illouz hat in ihrem Buch Wa(h)re Gefühle einmal dokumentiert, was Männer und Frauen so an Arbeit, Geld und Zeit vor einem Date investieren, einschließlich Brazilian Waxing, Pediküre, Maniküre und sonstiger Pflege sowie dem Kauf neuer Klamotten. Frauen kostet das auf allen Ebenen natürlich ein Vielfaches mehr als Männer. Und was Illouz hier verdeutlicht, ist die Verstrickung von Gefühlen und Sexualität mit bestimmten Konsumpraktiken. Selbst wenn man für Rasur, Waxing und Cremesession nicht in einen Spa geht, sondern es zu Hause macht, verursacht das laufende Kosten, die sich im Laufe des Lebens zu Tausenden Euro summieren. Das kann man so in Laurie PennysFleischmarkt noch mal nachlesen. Mit Produkten für den Intimbereich wird es noch ein bisschen teurer und bietet jenen Genderskripten, bei denen Frauen im Fokus der Anbieter stehen, eine noch größere Angriffsfläche.
Wer eine Aktivkohlemaske für die Vulva von Two Lips kauft, bekommt dann auch noch einen super entspannenden Soundtrack über Spotify für die perfekte Selfcare dazu. V-Time ist die neue Me-Time.
Die neue Annäherung an den eigenen Schambereich mit Vulvawatching – so wie sich Frauen in den Siebzigern auf Sitzkissen und mit Handspiegeln untenrum betrachteten – oder Ausstellungen mit Pussykunst führt auch dazu, dass die Anzahl jener Frauen, die sich untenrum operieren lassen, gestiegen ist. Die Vereinigung der ästhetisch-plastischen Chirurgen spricht von fast 20 Prozent in den letzten Jahren. Frauen lassen die Vagina verengen, die Vulva straffen, die Schamlippen verkleinern, kürzen, modellieren, liften oder den Venushügel korrigieren, weil er zu groß oder mit dem Alter etwas schlaffer geworden ist.
So wird aus dem Schambereich in einem Zug die neue Beauty- und die neue Problemzone, die man mit OPs, Straffungsgelen und Düften bearbeiten kann, anstatt sich der unerreichbaren Perfektion zu verweigern.
Die Vagina ist übrigens zäh, sagt die Gynäkologin Senait Trapp. Und wenn da der Eigengeruch schlecht gemacht oder gar von Vagiküre gesprochen wird, finde sie das gesundheitlich bedenklich: "Die Vagina sollte nicht mit Produkten gepflegt werden." Außerdem würde bei den Produkten und Berichten darüber nicht klar zwischen Vagina und Vulva unterschieden: "Die Vulva ist der äußere Bereich vor der Vagina. Die Vagina beginnt zwischen den kleinen Schamlippen und bezeichnet einen bindegewebigen Schlauch. Dieser Schlauch führt über die Gebärmutter und die Eileiter frei in den Bauch. Damit keine Krankheitserreger in den Bauch gelangen, verfügt die Vagina über eine besondere Schutzflora. Diese wird durch die Döderlein-Bakterien gebildet und riecht etwas nach Joghurt", erklärt die Gynäkologin. "Wenn man die Vagina nun auswäscht, schwächt man die Flora und geht das Risiko ein, dass sich die Darmbakterien ausbreiten können. Vielleicht riecht die Vagina dann kurz nach Blumen statt nach Joghurt, allerdings holt man sich so leichter einen Infekt und dann folgt erst das Fischaroma." Eine auf den Hauttyp angepasste Hautpflege für die Vulva findet Senait Trapp gut, solange es nicht darum geht, perfekt zu sein.
Muss man die eigene Vulva überhaupt superschön finden? Reicht es nicht, gut zu finden, dass man überhaupt eine hat? Wollten wir untenrum nicht unbesorgter sein? Anstatt sich an irgendeinem Idealmaß zu messen, sollten wir fragen: Wer hat das überhaupt festgelegt? So wie die US-amerikanische Wissenschaftsphilosophin und emeritiere Professorin Donna Haraway sich einmal fragte, warum die Studenten dort auf dem Rasen der Eliteuniversität Princeton eigentlich alle dasselbe perfekte Lächeln hätten, fast wie Klone. Haraway, die selbst einige Sitzungen beim Kieferorthopäden hinter sich hat, ging dann der Frage nach: Was ist das perfekte Gebiss? Nur um festzustellen, dass die perfekten Proportionen von einer Population stammen, die nie auf dem Planeten Erde existiert hat – außer in Skulpturen – , sie stammen von den Statuen griechischer Götter.