Das beliebteste Einfamilienhaus der Republik wurde in Thüringen erdacht, aber es steht inzwischen überall. Knapp 25.000 Mal gibt es dieses Eigenheim, von Karlsruhe bis nach Schwerin, von Eisenach bis nach Bayreuth, und es sieht immer gleich aus: vier Zimmer, Küche, Bad, Gäste-WC und Hauswirtschaftsraum, bodentiefe Fenster, Satteldach, Gaube über der Terrassentüre - fertig. Ein Nullachtfünfzehn-Bau, solide, massiv, weder hässlich noch überaus schön, nichts Besonderes. Überraschend wie ein Billy-Regal. Zuverlässig wie ein VW-Golf. Aufregend wie Rotkäppchen-Sekt. Es ist das Einheitsheim der Deutschen.
Das Haus trägt den Namen "Flair 113", sein Erfinder heißt: Jürgen Dawo. Er ist 53 Jahre alt, gebürtiger Schwabe, Bauunternehmer. Von Thüringen aus organisiert Dawo die Verbreitung des Flair in ganz Deutschland, die Zentrale seiner Baufirmenkette Town & Country, gegründet 1997, liegt am Rande des Thüringer Waldes in Hörselberg-Hainich - nur wenige Kilometer von der einstigen innerdeutschen Grenze, dem ehemaligen Sperrgebiet, entfernt. In der geografischen Mitte des vereinten Deutschlands.
Der Mauerfall hat Jürgen Dawos Aufstieg zum Häuslebauer der Nation erst möglich gemacht, ohne Deutschlands Osten wäre er heute vielleicht immer noch ein x-beliebiger Immobilienmakler in Esslingen. Das Einheitshaus der Deutschen, es hätte wohl nirgendwo sonst erfunden werden können als im Osten der Nachwendezeit.
Jürgen Dawo, braunes Haar, breites Lächeln, wippt in seinem Bürostuhl, selbstzufrieden sieht er aus. Er erzählt ohne Unterlass, er sprudelt geradezu. Man muss gar nicht viel fragen. Im Grunde, sagt Dawo, wollten es die Deutschen "hübsch und gemütlich wie damals die Omma". Wollten zeigen, dass sie es geschafft haben - aber nicht zu offensichtlich. "Deshalb die Gaube", sagt Dawo. Ein bisschen Dachschmuck. Aber bloß nicht zu verrückt.
Jürgen DawoDer Schwabe Jürgen Dawo, 53, entdeckte auf seinen Touren durch den Osten nach dem Mauerfall eine Marktlücke : Er baute den Ex-DDR-Bürgern solide, relativ günstige Eigenheime. Inzwischen verkauft er seine Standardhäuser überall.
Dawo gehörte zu den ersten Westdeutschen, die in der Wendezeit die DDR bereisten, bereits im Herbst 1989 tourte er als Makler und angehender Haussanierer durch den Osten, er wollte hier Geschäfte machen wie so viele, und er machte gute Geschäfte. Vor allem entdeckte Dawo eine Nische auf dem neuen Markt, die vielen anderen offenbar entgangen war. "Die Ostdeutsche n haben ihre alten Hütten mit Oststandard zu Westpreisen verkaufen wollen", sagt er. Neue Häuser zu einem vertretbaren Preis habe es nicht gegeben. Und wenn, dann waren unter den Bauunternehmern auch windige Hunde, die gutgläubigen Bürgern schiefe Hütten auf ihre Grundstücke setzten.
Aus diesem Mangel entsprang Dawos Konzept: ein kostengünstiges Haus für Normalverdiener wollte er errichten. Eines nach Weststandard - und trotzdem billig. Ein Haus von der Stange, in das die Ostdeutschen einziehen können, bei denen doch gerade erst die Freiheit eingezogen war. Dawo ahnte wohl: Freiheit ist kompliziert, zu viel Auswahl verwirrt. Er konzipierte sein Flair - ein Produkt ohne Schnickschnack, für Preisbewusste. Hochwertig, massiv gebaut, kein Fertigteilhaus, sondern aus Stein gemauert. Dass das Flair auch im Westen zum Hit wurde, ist wohl eher ein Nebenprodukt seiner, Dawos, Idee. Denn - man mag den Ostdeutschen zwar besonders angemerkt haben, dass sie sich nach Sicherheit sehnten. Aber die Westdeutschen teilten diese Sehnsucht.
Als Dawo seinen Plan gefasst hatte, als er sich in Hörselberg-Hainich niederließ, hätten sie ihn auf beiden Seiten der früheren Grenze schräg angeschaut, erzählt Dawo. Im Westen, weil er aus Esslingen, einer Stadt mit jahrhundertealten Fachwerkhäusern, in ein Ost-Dorf ging, in dem kurz zuvor noch russische Panzer gestanden hatten. Im Osten, weil er eben aussah, wie man sich einen typischen Schwaben vorstellte, wenn er in Hörselberg-Hainich aus seinem BMW-Sportwagen stieg. "Die dachten, jetzt kommt der nächste Spinner", sagt Dawo.
Die frühen 1990er Jahre, das war die hohe Zeit der Hochstapler, so viele Westler witterten die Chance auf schnelles Geld. Dass Dawo gekommen war, um zu bleiben, glaubte damals niemand. Dass er blieb, rentierte sich umso mehr. Seine Strategie ist von jeher: In langen Gesprächen mit Interessenten Vertrauen schaffen, nicht nur über das Geschäftliche zu sprechen. Damit unterschied er sich früh von denen, die nur auf schnelle Gewinne aus waren.