Mehmet Yildirim hatte seinen Laden längst schließen wollen, aber ein letzter Gast saß noch am Spielautomaten und zockte. Die Tische waren gewischt, die Salate aus der Vitrine geräumt und auch die Reste der Fleischkeule vom Dönergrill. Der Spieß, 1,08 Meter lang, lag geputzt in der Küche. Es war zwanzig nach drei in der Nacht.
Dann flog die Tür auf. Ein junger Deutscher, Anfang zwanzig, stürmte in den Laden, er trug Jeans und Basecap. Eine Gruppe angetrunkener Rechter, in Schwarz gekleidet, hatte den Mann durch die Straße gehetzt. Offenbar hielten sie ihn für einen Linken.
Mehmet Yildirim, 29 Jahre alt, ist seit sieben Jahren im Geschäft. 2004 war er nach Deutschland gekommen, ein Jahr später machte er den ersten Imbiss in Brandenburg auf. Inzwischen hat er den vierten eröffnet, er liegt in der Brückenstraße in Berlin-Niederschöneweide. Es gibt hier noch einen russischen Lebensmittelladen und eine Fleischerei, die Mieten sind günstig. Eine Ecke ohne Konkurrenz, dachte Yildirim.
Die Menschen in Schöneweide allerdings scheuen die Brückenstraße, "Braune Straße" wird sie genannt. Der Berliner NPD-Vorsitzende betreibt hier einen Klamottenladen. Wenn man sich die Gegend als Dreieck vorstellt, dann liegt an der einen Ecke Yildirims Dönerladen, an den anderen befinden sich zwei Neonazi-Kneipen. "Zum Eisenbahner" heißt die eine, "Zum Henker" die andere, Deutschlands wohl bekanntester Treff für Neonazis. An diesem Sonntag im September feierten sie dort ein Bundestreffen.
Der junge Mann stoppte vor dem Dönertresen. "Herzlich willkommen - Schöneweide Grillhaus" steht darüber. Seine Verfolger, es waren etwa zehn, drängten sich an der Tür. Neben Mehmet Yildirim waren noch sein Cousin Ayhan und sein Bruder Ibrahim im Laden. Die drei türkischen Männer stellten sich eng zusammen, genau vor den jungen Mann.
Mehmet Yildirim hatte gewusst, was für Leute in der Bar um die Ecke am Tresen stehen. Er habe sich deswegen keine Sorgen gemacht, sagt Yildirim. "Man klaut ja schließlich auch nicht beim Nachbarn."
Er hatte früh mit dem Arbeiten begonnen, gleich nach der Grundschule. Auf den Feldern von Şanlıurfa, im Südosten der Türkei, pflückte er Baumwolle, säte Linsen, kaufte einen Traktor, noch bevor er volljährig war. Er wachte darüber, dass niemand die Wassermelonen vom Hof stahl. Er passte gut auf das auf, was er sich erarbeitet hatte.
Nun stand Mehmet Yildirim in Socken und Schlappen neben seinem Dönertresen. Vor ihm die Neonazis. Er wagte einen Schritt auf sie zu, hob die Hand wie zu einem Stoppschild und sagte: "Sie kommen hier nicht rein."
"Kanake, Scheißkanake!", brüllten die Neonazis. Mehmets Blicke suchten den Bruder und den Cousin. Sie hatten keine Waffen. Geschirr und Besteck waren schon in die Küche geräumt.
Hinter Mehmet stand der junge Mann. Mehmet hatte ihn nicht hereingebeten, aber nun war er da, und damit war er sein Gast. Einer, der kein Essen brauchte, sondern Hilfe. Mehmets Bruder brachte den Mann in die Küche hinter dem Tresen. Dort lag, auf der Arbeitsplatte, der Dönerspieß. Frisch gesäubert, aus geschliffenem, scharfkantigem Stahl.
Mehmet Yildirim arbeitet sieben Tage die Woche, er spart, schickt Geld in die Heimat, als ältester Bruder hat er die Regentschaft in der Familie. Das ist mein Haus! Ich bin der Inhaber! Das waren seine Gedanken, als er sich den Neonazis in den Weg stellte, so erzählt er es. In seinem Haus benimmt sich niemand daneben. Neulich hat ein Stammkunde einen anderen Gast angepöbelt. "Einmal: gelbe Karte, zweimal: rote", sagte Mehmet.
Ibrahim ließ den jungen Mann in der Küche zurück und kam mit dem Dönerspieß wieder. Er hielt ihn ausgestreckt wie ein Schwert, fuchtelte damit durch die Luft, er hatte jetzt eine Waffe. Bis zu 40 Kilogramm Fleischmasse können auf dem Spieß gedreht werden.
"Kanake!", schrien die Neonazis. Doch sie schoben sich nicht weiter nach vorn in den Laden. Zwischen ihnen und ihren Opfern war jetzt der Spieß. Mehmet sah das schwere, scharfe Metall und fragte sich, ob sie wirklich würden kämpfen müssen. Aber die Waffe machte Eindruck.
So standen sich die Gegner gegenüber, es waren nur ein paar Sekunden, vielleicht 10 oder 15. Aber die entscheidenden Sekunden.
Dann stand die Polizei in der Tür, ein Mann und eine Frau auf Patrouille. Sie riefen Verstärkung. Drei Angreifer wurden festgenommen, die anderen flohen. Ibrahim brachte den Spieß zurück in die Küche.
Mehmet Yildirim hätte jetzt schlafen gehen können. Aber er blieb und wachte über seinen Laden, wie früher über die Wassermelonen. Er nahm sich vor, richtig gute Videokameras zu kaufen.
Der Bezirksbürgermeister überreichte ihm später eine Urkunde für Zivilcourage. Yildirim weiß noch nicht, ob er sie über seinen Dönertresen hängen soll. Er hat Zweifel, ob so eine Urkunde eine gute Werbung für sein Restaurant ist.
Von Silke Weber
Silke Weber
Journalistin, Hamburg
Reportage