Als sie die Hochschule für Musik in Frankfurt am Main betreten, wirken Fritzi Ernst, 26, und Daniela Reis, 27, beklommen. "Zum Glück ist hier keiner mehr, den man kennt", sagt Fritzi Ernst, die einen grauen Hoodie trägt. Und Daniela Reis, in Jeansjacke, antwortet: "Ja, echt." Der klassischen Musik und dem elitären Betrieb kehrten die beiden den Rücken, um ihr eigenes, wildes Popding zu machen. Als Band nennen sie sich Schnipo Schranke, kurz für Schnitzel mit Pommes, Mayo und Ketchup. Ihr Lied "Pisse" wurde vom Musikmagazin "Intro" zum Song des Jahres 2014 gewählt und von YouTube gesperrt. Gerade ist ihr Debütalbum "Satt" erschienen. Zum Interview in ihrer alten Mensa suchen die beiden den hintersten Tisch aus. Wir starten mit einer Schnellfragerunde zum Lockerwerden.
ZEIT Campus: Bushido oder Brahms?
Daniela Reis: Bushido.
Fritzi Ernst: Ich hätte jetzt Brahms gesagt.
ZEIT Campus: Pupsen oder epilieren?
Ernst: Pupsen!
Reis: Klar, pupsen.
ZEIT Campus: Sex oder Liebe?
Ernst: Liebe.
Reis: Sex ist doch nur eine Begleiterscheinung der Liebe. Sex ist wie Suff. Aber Liebe ist was Verbindliches.
ZEIT Campus: Sie beide singen vor allem Liebeslieder, oder?
Ernst: Ja, Liebe beschäftigt uns sehr.
Reis: Die aktuelle Beziehung nimmt doch jeden im Kopf am meisten mit.
ZEIT Campus: Es gibt aber einen Unterschied zwischen Ihren Liebesliedern und denen anderer Bands, denn Sie singen Zeilen wie: "Warum riecht's, wenn ich dich küsse / untenrum nach Pisse?" Gefällt es Ihnen, dass Ihre Texte oft mit dem Roman Feuchtgebiete von Charlotte Roche verglichen werden?
Reis: Ich finde, der Vergleich hinkt total. Charlotte Roche benutzt explizite Sprache, um damit ein Zeichen zu setzen. Das ist bei uns nicht so. Für uns ist explizite Sprache eine Selbstverständlichkeit.
Ernst: Ich finde es unangenehm, wenn sich Leute von uns provoziert fühlen. Das ist keine Absicht.
ZEIT Campus: Wenn Sie mit Ihren Texten nicht provozieren wollen, was wollen Sie dann?
Reis: Wir wollen den Leuten gute Laune machen. Dafür benutzen wir Humor. Es bietet sich einfach an, mit besonders ernsten Themen humoristisch umzugehen. Es ist auch total ernst gemeint, wenn ich singe: "Ich brauche Liebe, brauche Halt / und einen, der mich knallt." Das mag prollig klingen, aber wir brauchen das alle, das ist nicht provokant.
Ernst: Es gibt ja viele, die versuchen, extra eine schöne Sprache zu benutzen, wenn sie Liebeslieder schreiben. Das ist aber nicht unser Ding. Wir wollen authentisch sein. Jeder sagt Wörter wie "pissen", das ist eigentlich gar nichts Besonderes. Nur vielleicht, dass wir uns dieser Sprache im Songwriting bedienen.
Reis: Wenn ich jemanden liebe, stört es mich nicht, wenn sein Schwanz beim Blasen nach Pisse schmeckt. Das ist einfach die Wahrheit, darüber kann man ja mal singen.
ZEIT Campus: Es gibt Leute, die sagen über Schnipo Schranke, sie hätten noch nie so drastische Texte aus Frauensicht gehört.
Ernst: Kann ich verstehen. Als wir mit der Band anfingen, haben wir uns völlig abgeschottet und nur in unserem eigenen Universum bewegt. Daniela wohnte noch in Saalburg, das ist ein Kaff hier in der Nähe. Da war nichts. Wir saßen den ganzen Tag rum, kifften und zockten Big Brain Academy, so ein IQ-Spiel auf der Wii. Monatelang ging das so.
Reis: Dann habe ich irgendwann gesagt: "Entweder wir bringen uns jetzt um, oder wir machen was, das von Belang ist."
Ernst: Wir überlegten, was für uns das Allergeilste wäre, und dachten: "Popband!" So begannen wir, Lieder über unser Leben zu schreiben - völlig frei von anderen Einflüssen.
Reis: Wir wollten nicht nur an der Oberfläche kratzen, sondern von Anfang an über unsere Schwächen und Fehler singen. Wir haben unsere Unarten zu Kunst erhoben. Für uns ist das selbstverständlich, aber für die Gesellschaft vielleicht noch nicht.
ZEIT Campus: Weil Sie Frauen sind?
Reis: Wir werden ständig gefragt, ob wir unsere Songs feministisch meinen. Das finde ich fast schon frauenfeindlich. Wir dachten, wir könnten genauso gut Jungs sein und dann hätte das denselben Effekt.
Ernst: Aber wir sind Mädchen. Deshalb wollen alle über Feminismus reden. Es ist immer noch auffällig, wenn es zwischen all den Jungs mal eine Mädchenband gibt.
ZEIT Campus: Sie entsprechen auch nicht gerade den weiblichen Rollenklischees.
Reis: Wir haben immer gespürt, dass wir dadurch oft außen vor waren, auch vor der Band schon. Ich hatte nie einen riesigen Mädelsfreundeskreis. Ich kann zum Beispiel nicht smalltalken. Wenn sich ein Gespräch um Oberflächlichkeiten dreht, werfe ich einen Satz ein, der zu tief geht. Damit können viele nicht umgehen. Vielleicht sind Frauen mehr als Männer darauf bedacht, wie sie in der Öffentlichkeit wirken. Weiß nicht.
ZEIT Campus: Wollen Sie mit Ihrer Musik kein bisschen subversiv sein?
Reis: Nicht in die feministische Richtung, aber was Gefühle angeht, schon. Ich forsche wahnsinnig gern in menschlichen Abgründen, auch in meinen eigenen. Ich finde einfach Extrembereiche toll, in die man so psychisch und körperlich reingerät.