Seraina Kobler

Journalistin und Autorin, Zürich

1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Kampf um den Plattenteller


Von Las Vegas über Berlin bis nach Zürich: Das DJ-Geschäft ist knallhart. Während internationale Superstars für Auftritte sechsstellige Gagen kassieren, müssen die Locals für einen Bruchteil der Summen auflegen.

Der Geschäftsmann Don Johnson war wieder einmal in seinem Stammklub in Las Vegas, als er hörte, dass der kanadische Musikproduzent und DJ Joel Zimmerman, auch bekannt als Deadmau5, auflegen würde. Kurzerhand bot er der House-Legende 200 000 Dollar an, damit dieser Jon Bon Jovis "Living on a Prayer" spielt. Zimmerman nahm das Angebot an. Was ihm die Verachtung der Szene einbrachte und einen Youtube-Clip, der innert Kürze um die Welt ging. Zimmerman verteidigte die Aktion mit seiner prekären ­finanziellen Lage.


Der Fall Deadmau5 zeigt das Dilemma, mit dem Künstler zu kämpfen haben, seitdem elektronische Musik populär geworden ist. Seit Techno in den 1980er-Jahren seinen Siegeszug aus den Kellern der untergehenden Industriestadt Detroit in die Metropolen der Welt angetreten hat, ist er zu einem lukrativen Wirtschaftszweig angewachsen. Für einige­ ­zumindest, denn die Gehaltsschere bei DJs wird kontinuierlich grösser. Durch immer einfacher zu bedienende Technik wird das Auflegen anspruchsloser. Etwa mit "Ending", deren Entwickler von den Investoren kürzlich weitere 2,5 Millionen Dollar ­erhielten. Die vor einem Jahr lancierte App ist eine Erfolgs­geschichte und wird in über 170 Ländern benützt. Doch wie man mit ­einer Mikrowelle­ keinen­ G­ourmettempel eröffnen kann, ist man nicht automatisch ein Künstler, wenn man dank solcher Helfer die Technik bedienen kann. 


Die vereinfachten Anwendungen führen dazu, dass immer mehr Personen hinter die DJ-Kanzel drängen. Das erhöht das Angebot und lässt die Preise sinken. In grossen Städten mit hoher Klubdichte wie beispielsweise Berlin sind DJ-Gagen im Keller. Für die meisten zumindest. Denn während internationale Acts Summen im sechsstelligen Bereich verdienen können, bekommen die sogenannten Locals, also die Musiker aus der eigenen Stadt, immer weniger ab vom grossen Kuchen des Nachtlebens.


Locals sind das Gesicht eines Klubs

Vor allem in Zürich, der Ausgehhauptstadt der Schweiz, ist die Grösse dieses Kuchens nicht zu unterschätzen. Maurus Ebneter vom Verband­ der Schweizerischen Diskotheken schätzt den jährlichen Umsatz der Stadtzürcher Klubs auf 100 bis 150 Millionen Franken. Dieser geht zum grossen Teil auf die Liberalisierung des Nachtlebens zurück, die in den 1990er-Jahren ihren Anfang nahm. Auch der kontinuierliche Ausbau des öffentlichen Verkehrs, insbesondere des Nachtnetzes der Schweizerischen Bundesbahnen, macht es Tanzwilligen leichter, die Nacht zum Tag zu machen. Eine der festen Grössen im Zürcher Nachtleben ist der Club Zukunft in der Nähe­ der Langstrasse, der vor acht Jahren seinen Betrieb aufnahm. Mit maximal 800 Besuchern pro Wochenende gehört er zu den kleinen bis mittelgrossen Etablissements dieser Art. Für die Macher ein klarer Vorteil, wie Mitbetreiber Dominik Müller sagt: "Für uns ist das ein grosser Luxus." So sei der ­Betrieb günstiger und man könne das musikalische Programm auf ein spezialisiertes Pu­blikum ausrichten. 


Gelegentlich werden auch im Club Zukunft grosse Acts gebucht. Wobei diese nicht immer das Publikum mitreissen. "Es gibt Detroit-Legenden, die sich im Hotel den Wecker stellen, ihr Set spielen und ein orientierungsloses Publikum zurückla­ssen", sagt Müller. Deshalb seien die Locals umso wichtiger. Sie kennen die Szene, sind nah bei den Besuchern, fangen sie auf, wenn sie müde­ zu werden drohen. Sie geben dem Klub Identität und ein Gesicht. Regelmässige lokale Auftritte­ können auch ein Sprungbrett in den internationalen Markt sein. Wie dieser aussehen kann, zeigt der 1977 geborene deutsche DJ Paul Kalkbrenner. Der Kinofilm "Berlin Calling", in dem er in der Hauptrolle mehr oder weniger sich selbst spielt, machte­ den Berliner­ über Nacht bekannt und katapultierte seine Gagen in sechsstellige Sphären. Heute füllt er regelmässig Arenen wie das Hallenstadion: 70 Franken für ein zweistündiges, sehr vorhersehbares Set - und trotzdem ist die Halle immer rappelvoll.


Vom Internet auf den Dancefloor

Um sich zu positionieren, spielt das Internet eine immer wichtigere Rolle. Gerade dadurch, dass Musik online immer einfacher und günstiger zu konsumieren ist - eine­ analoge Vinyl-­Plattensammlung kostet dagegen­ ein Vermögen - wird die Person, die hinter dem Mischpult steht, umso wichtiger. Auf die Bilder- und Textflut folgt nun eine Musikflut im Netz. Orientierung bieten Namen und Brands,­­ ­also DJs und Labels. So ist zwar der Kampf an den Plattentellern härter geworden, gleichzeitig haben die Möglichkeiten zugenommen, über das Internet eine grössere­ ­Bekanntheit zu ­erlangen.


Vor allem junge Künstler nützen diesen Kanal geschickt. So auch der 22-jährige deutsche Produzent und DJ Lexer. Er ist einer dieser Musiker, die sich vor allem über das soziale Netzwerk Facebook ins Gespräch gebracht haben. Von einem verschlafenen Dorf im ehemaligen Ostdeutschland hat er es zu ­internationaler Bekanntheit gebracht. Im Vergleich zu den Generationen zuvor, die sich, technisch bedingt, auf das Auflegen von Platten spezialisiert hatten, steigen viele der heutigen Digital Natives mit Live-Acts ein und wechseln dann rasch zum Produzieren eigener Tracks über.


Beschleunigt wurde diese Entwicklung durch das Musikprogramm Abelton live. Der deutsche Buchautor Tobias Rapp meint dazu: "Abelton hat das Musizieren mit dem Computer ähnlich umgewälzt wie Photoshop die Bildbearbeitung." Vorher habe man es bei Musikprogrammen mit Studiosoftware zu tun gehabt. Diese war aber nicht zum Spielen, sondern nur zur Bearbeitung einer fertigen Aufnahme konzipiert. Spielen Künstler heute­ live, zeichnen sie ihre Auftritte mit Abelton live auf und stellen sie ins Netz. Sehr beliebt in der elektronischen Musikszene ist Sound­cloud. Längst hat der Musikstreamingdienst Demotapes und CDs abgelöst. Zudem kann man den Künstlern über die Plattform folgen und sieht automatisch ihre neusten Stücke. So ergibt sich ein Netzwerk aus Leuten mit ähnlichem Musikgeschmack.


Früher hat ein DJ für die Promotion­ Stunden aufgewendet. Der englische Produzent Laurent Garnier schreibt darüber in seinem Buch "Elek­tro­schock": "Also schloss ich mich ein, mixte stundenlang in meiner verborgenen Höhle,­ und wenn ich die Augen schloss, glaubte ich in einem Klub zu sein. All die Stunden, die ich damit verbracht habe, an korrekt gemixten Übergängen zu arbeiten. Die vielen Kass­etten, die ich Schulfreunden und Freunden von Freunden gegeben habe, waren durch den Glauben animiert, die Überzeugung, dass eines Tages die richtige Kassette dem Menschen in die Hände fällt, der mir eine Chance geben würde."


Heute sind durch die Verbreitung der Smartphones auch Streamingdienste und Online-Radios mobil geworden. Wer es schlau macht, kann mit seinem Avatar im Internet eine Reichweite erzielen, von der selbst manche renommierte Plattenfirma träumt. Doch Erfolg verpflichtet. Wer wie Joel­ Zimmerman aka Deadmau5 in den Olymp des Auflegens aufgestiegen ist, darf sich keine­ Geschmacklosigkeit erlauben. Nicht einmal für 200 000 Dollar.

Zum Original