Zwei junge Filmemacherinnen verarbeiten im Projekt »Meinungsaustausch«
Vorurteile über Geflüchtete. Dazu legen sie den Betroffenen
fremdenfeindliche Aussagen in den Mund, die sie zuvor auf der Straße
gesammelt haben.
SZ-Magazin: In Ihrem Film sind ausschließlich Vorurteile gegen Flüchtlinge zu hören. Warum?
Sophie Linnenbaum: Es war uns wichtig, einen neuen Zugang zur Geflüchteten-Thematik zu finden und kein klassisches Opferportrait zu zeichnen. Wir spielen dabei mit den vorherrschenden Ängsten, die während der sogenannten "Flüchtlingskrise" in einigen Teilen der Gesellschaft aufgekommen sind. Dabei war für uns auch die Frage des Empowerments sehr wichtig: Wir wollten den Menschen die Möglichkeit geben, sich jener Sprache zu ermächtigen, die über sie stattfindet, und daraus wieder etwas Neues zu schaffen. Das Ergebnis ist ein Dialog wider Willen. So kamen wir auch auf die Idee, Bild und Ton zu kombinieren, die eigentlich nicht zusammengehören.
Sophia Bösch: Es ist vor allem ein Experiment: Was passiert, wenn man die beiden Seiten zusammenbringt? Wir haben uns bei den Interviews gezielt auf Vorurteile und Ängste konzentriert, um so den Moment der Entfremdung in seiner Absurdität aufzuzeigen.
Diese Interviews repräsentieren also nicht die durchschnittliche Meinung unserer Gesellschaft?
Linnenbaum: Nein. Der Film ist ein Schlaglicht. Es ging uns nicht darum, die gesamte Komplexität unserer Gesellschaft abzubilden, sondern diese eine Art von Meinung spielerisch zu untersuchen.
Wussten die Passanten während der Interviews von Ihrem Konzept?
Bösch: Wir waren offen damit, dass wir Filmstudentinnen sind, die sich ein Stimmungsbild machen wollen. Die Aussagen haben wir dann aber transkribiert und von Schauspieler*innen neu einsprechen gelassen, um so die Anonymität zu gewährleisten.
Linnenbaum: Auch bei unseren Fragen haben wir versucht, sehr offen im Gespräch mit den Interviewten zu sein. Unsere Eingangsfrage war: "Wie geht es Ihnen mit der aktuellen Situation?".
Es sind die Stimmen von Männern, Frauen und sogar von einem Kind zu hören. Ihre Darsteller sind aber alle männlich. Warum kommen keine weiblichen Geflüchteten als Darstellerinnen in Ihrem Film vor?
Bösch: Wir wollten ein Angstportrait zeichnen. Ein Bild, das auf die Vorurteile zugeschnitten ist, vor denen die interviewten Menschen Angst haben. Und in dessen Fokus steht der "ausländische Mann". Diesen Umgang mit dem Thema hat die Editorin Andrea Muñoz im Schnittraum dann wunderschön wieder aufgegriffen. Von ihr kam die Idee den Begriff "Ausländer", der in den Interviews natürlich häufig gefallen ist, aus den Interviews zu entfernen. So reden alle von einer scheinbar anonymen Masse, deren Zugehörigkeit durch die aktuelle Diskussion und das Bild dennoch so klar gesetzt ist, dass sie nie hinterfragt wird.
Sie haben die Interviews im Herbst 2015 geführt, zu dem Zeitpunkt, als die Zahl der neu registrierten Geflüchteten am stärksten angestiegen ist. Glauben Sie, heute - mehr als vier Jahre später - würden Sie bei Ihren Interviews andere Antworten erhalten?
Linnenbaum: Diese Art von Antworten wird es heute wie damals geben. Wir haben nach Vorurteilen gesucht und die würden wir genauso wieder finden. Fakt ist, dass eine rechtsgeprägte Meinung straßen- und salonfähig geworden ist und sich in unserer demokratischen Parteienstruktur sogar legitim verfestig hat. Unser Kurzfilm hat daher leider nicht an Aktualität verloren
Bösch: Der Film soll aber nicht entmutigen, sondern zum Austausch und zum Weiterdenken anregen.
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