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Blutrünstige Zombie-Mücken

Im Ruhrgebiet gibt es, neben unzähligen Fußballvereinen, auch eine Handvoll Eishockeyclubs. Die Standorte haben zum Teil eine große Tradition, die Clubs allerdings meistens nicht, Pleiten prägen die Geschichte der Clubs im Ruhrpott. Derzeit sind die Vereine in der dritten und vierten Liga vertreten, also im erweiterten Amateursport. Trotzdem gibt es Fans, die für ihren Club brennen, und Derbys, die es in sich haben.

Wir beginnen unsere Reise in Dortmund. Im Schatten des Westfalenstadions steht das Eissportzentrum Westfalen, das keine Halle ist, sondern lediglich eine überdachte Eisfläche mit Mauer drumherum, im Winter kann es entsprechend zugig werden. 450 Menschen haben sich an einem Freitag Mitte Oktober eingefunden, um das Spiel der Dortmunder Eisadler gegen die Kobras aus Dinslaken anzuschauen. Die Teams spielen in der viertklassigen Regionalliga West und bestehen aus Amateuren, und das sieht man dem Spiel auch an. Pucks werden verloren, Spieler geraten auch mal ins Stolpern. Vor zwei Jahren sah das in Dortmund noch ganz anders aus: Die Eisadler, die damals noch Elche hießen, wurden vom Textilunternehmen Kik gesponsert und spielten in der Oberliga um den Aufstieg in die zweite Liga mit. Im Sommer 2013 zog sich Kik allerdings aus dem Hockey-Sponsoring zurück, der alte Verein wurde aufgelöst, und in Dortmund wurde mit dem Nachwuchs ein neuer Club gegründet.

Trotzdem dominieren die Eisadler in der Regionalliga bisher, auch gegen Dinslaken war ein klarer Sieg eingeplant. Doch die Kobras konnten durchaus mithalten und so stand es auch aufgrund einer großartigen Torhüterleistung nach Ende der regulären Spielzeit 3:3. Für einige Dortmunder Fans war das nicht hinnehmbar, die "Eishockeyszene Dortmund", eine Art Ultra-Gruppe, bestehend aus 20 Menschen und ebenso vielen Fahnen, rastete aus. Die "schwarze Sau", der Schiedsrichter, solle hängen, die Gegner wurden als "Zigeunerpack" beschimpft, es flogen Bierbecher und andere Gegenstände auf die Spielerbank der Dinslakener. Die wenigen anwesenden Ordner hatten alle Mühe, die Situation in den Griff zu bekommen. Mittlerweile haben die Eisadler Dortmund zu einem Fantreffen eingeladen, um die Ereignisse aufzuarbeiten und solche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden.

Auf Seiten der Dinslaken Kobras sah die Unterstützung anders aus. Etwa 20 Fans hatten sich nach Dortmund verirrt. Darunter keine Ultras, sondern durchweg "Kutten", also Fans mit Trikot und Schal. Die Dinslakener Fans unterstützten vor allem ihren Torwart mit lauten "Felix"-Rufen nach jeder gelungenen Aktion. Felix Zerbe, Torwart der Kobras, quittierte die Rufe jedes Mal mit einem kurzen Winken, wirkte dann aber bald gestresst von den ständigen Sympathiebekundungen und hob schließlich nur noch für Sekundenbruchteile den Handschuh. Das Spiel im Eissportzentrum Westfalen endete für sein Team enttäuschend, nach Penaltyschießen stand es 4:3 für die favorisierten Dortmunder Eisadler.

30 Kilometer Luftlinie weiter westlich: In Essen stand am Halloween-Abend das Ruhrgebiets-Derby zwischen den Moskitos Essen und dem Herner Eissportverein (HEV) an. Die Kontrahenten spielen in der drittklassigen Oberliga West, ein Aufstieg im Frühjahr ist aber für beide Teams wohl ausgeschlossen. Schon am Bahnhof Essen-West wurden die Eishockeyfans von Bundespolizisten begrüßt, auf dem kurzen Weg zur Eishalle nahmen Bereitschaftspolizisten sie in Empfang. Die vergangenen Spiele zwischen Herne und Essen waren auf den Rängen hitzig verlaufen, bei beiden Clubs gibt es Fans, die körperlichen Auseinandersetzungen nicht abgeneigt sind. Außerdem werden die Eishockeyspiele in der Region immer wieder von Hooligans aus dem Fußballmillieu genutzt, um ihre Rivalitäten auszutragen. Und so sah man auch in Essen an diesem Halloween-Abend muskelbepackte Männer mit den Symbolen von Rot-Weiß Essen.

Fanvertreter Marco (31) ärgert sich über diese Besucher. "Sowas gehört nicht zum Eishockey. Hier soll sich nur auf dem Eis geprügelt werden." Marco hatte in den Tagen vor dem Spiel alle Hände voll zu tun. Mit der Polizei musste über den Ablauf gesprochen werden, mit den Verantwortlichen aus Herne ebenso. Eigens für diese Partie wurde der Gästebereich mit Bauzäunen abgesperrt und ein eigener Eingang für die Anhänger aus Herne geöffnet. "Früher gab es sowas nicht, da hat man sich angeschrien und in den Pausen zusammen Bier getrunken", schwärmt Marco nostalgisch.

Allgemein ist die Vergangenheit am Essener Westbahnhof rosiger als die Gegenwart. Vor einigen Jahren spielten die Moskitos noch in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) und konnten sich da mit den Topteams aus Köln, Mannheim und Berlin messen, doch ausbleibender sportliche Erfolg und Misswirtschaft zwangen zum Rückzug. Die wirtschaftlichen Probleme begleiten die Essener bis heute. Der Verein befindet sich im Insolvenzverfahren, vor zwei Wochen wurde der Insolvenzplan von den Gläubigern angenommen. Martin Spicker, Pressesprecher der Moskitos, ist jedoch zuversichtlich, dass das Insolvenzverfahren noch in diesem Jahr aufgehoben wird und die Moskitos wieder in ökonomischer Eigenverantwortung handeln können.

Auch in Herne ist die Situation des Eishockey ähnlich wie in Essen und Dortmund. Vor wenigen Jahren gab es noch einen Sponsor, der die Halle betrieb und die Mannschaft finanzierte. Nach seinem Ausstieg schien die Sportart in der Stadt am Ende, doch eine Handvoll von Eishockeyverrückten wollte das nicht akzeptieren. Die Eishalle wurde übernommen, und der Herner EV als "soziales Projekt" des "Eishockey aus Herne für Herne" aufgebaut.

Derzeit scheint man sowohl in Herne als auch in Essen wirtschaftlich zu arbeiten. Die Teams bestehen zum Großteil aus Halbprofis, die fürs Eishockeyspielen ein erweitertes Taschengeld bekommen. In beiden Clubs hat man sich derzeit damit abgefunden, in der Oberliga West festzusitzen. Vier der konkurrierenden Teams liegen deutlich hinter den Hernern und Essenern, Neuwied ist auf demselben Niveau, während Duisburg die Liga dominiert. Die Duisburger Füchse haben einen Sponsor, darüber hinaus kooperiert man mit mehreren DEL-Teams und ist in der West-Oberliga das einzige Team mit ernsthaften Aufstiegsambitionen. Marco von den Essener Moskitos ist unzufrieden mit der Situation in der Oberliga: "Wir spielen gegen jede Mannschaft alleine viermal in der Vorrunde. Gegen Herne ist das okay, aber bei anderen Gegnern macht das keinen Spaß."

Zum Halloween-Spiel gegen den Herner EV kamen 1 800 Zuschauer in die Eishalle am Westbahnhof. Die Essener Ultras hatten eine Choreographie mit dem Titel "Herne zerreißen" vorbereitet. Hunderte Zettel mit dem Logo der Herner wurden zu Beginn des Spiels auf der Stehplatztribüne hochgehalten - und zerrissen. Auch von offizieller Seite hatten die Essener etwas Besonderes für das Derby vorbereitet: Die Moskitos spielten in Halloween-Trikots, die ihr Maskottchen als blutrünstige Zombie-Mücke zeigen.

Das Spiel zwischen den Revierrivalen wurde enger, als es das Endergebnis, 7:3 für die Moskitos, vermuten lässt. Entgegen allen Befürchtungen blieb es auf den Rängen und rund um die Halle ruhig. Die Fans beschimpften sich, "Sonne, Mond, und Sterne - Scheißen auf Herne!" riefen die Essener Fans zwar, aber die Polizei musste nicht eingreifen, Auseinandersetzungen gab es nicht. Fanvertreter Marco ist zufrieden: "So sollte es immer sein."

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