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Leon Löwentraut: Warum macht der Anti-Künstler alle so nervös? - WELT

So will er gesehen werden: Leon Löwentraut


Anders als bei den meisten anderen Künstlern hat Deutschland auf Leon Löwentraut gewartet, so zumindest wirkt es manchmal. Nicht etwa als genialer Maler, sondern als Heilsbringer für all jene, die sich in der durchaus verkopften Kunstszene mehr Zerstreuung, Pop und Spaß wünschen. Was in der Musik schon seit Jahrzehnten möglich ist, das künstliche Aufbauen von Jugendlichen zu Popstars, hat mit ihm die Kunst erreicht. Man könnte ihn jetzt als Marketing-Produkt abtun, wie man früher die Backstreet Boys belächelte.

Immer häufiger aber wird man angesprochen: Wie findest Du eigentlich Leon Löwentraut? Dass man ihn kennen muss, wird gar nicht mehr hinterfragt. In der Frage schwingt dann meist nicht nur Abneigung mit, sondern auch Bewunderung, weil sich der heute 23-Jährige im Markt hält – und nun sogar eine Museumstournee durch Europa begonnen hat.

Die Kunstakademie lehnt ihn ab

Der Hype begann, da war Leon Löwentraut noch ein Teenie. Eine Lokalzeitung hat ihn damals ausfindig gemacht. Dem „Spiegel“ war der junge Pinselschwinger kurios genug für einen Bericht, das war 2014. Eine fundierte Ausbildung hat Löwentraut nicht, die Schule hat er nach der Elften abgebrochen. Er soll sich mal an der Düsseldorfer Kunstakademie beworben haben, allerdings ohne Erfolg. Den Durchbruch als Künstler feierte Löwentraut folgerichtig nicht etwa in einer Galerie oder in einem Kunstverein, sondern beim Fernsehsender Pro Sieben. Damals malten er und Gastgeber Stefan Raab in der Sendung „TV Total“ gemeinsam ein abstraktes Bild, wobei Raab absichtlich tölpelhaft Farbe auf die Leinwand schleuderte und das als hohe Kunst deklarierte. Das Publikum tobte.


Dass Leon Löwentraut diese Aufmerksamkeit erfuhr, hat auch mit dem Fernsehkoch Frank Rosin zu tun. Der kaufte eines seiner Bilder für sein Restaurant – und Löwentraut nutzte die Chance. Er fragte ihn unbedarft um Rat, wie man es ins Fernsehen schaffe, erzählt er freimütig im Gespräch mit dieser Zeitung. Rosin habe ihn auf seinen Manager Alexander Elbertzhagen verwiesen. Damit war sein Weg vorgezeichnet: Der Künstleragent hat einst auch Herbert Grönemeyer, Marius Müller-Westernhagen und die Band Pur groß gemacht. Und nun auch Löwentraut. Der Boulevard feiert ihn als Malergenie – für sie ist er einer der bedeutendsten Künstler des Landes. Die „Bild“-Zeitung nennt ihn nur „Bubicasso“. Eine Anspielung auf sein jugendliches Alter und sein Talent, dass der Zeitung zufolge an den großen Meister Pablo Picasso heranreiche. Der etablierte Kunstbetrieb boykottiert den Düsseldorfer nach allen Kräften.


Denn Löwentrauts Ausstellungseröffnungen haben nichts mit Vernissagen im klassischen Sinne zu tun, es sind Massen-Events. Er taucht dort wahlweise in einer Pferdekutsche, einem Oldtimer oder gar im Hubschrauber auf. Gekleidet ist er stets in einem edlen Doppelreiher, an den Füßen Wildleder-Loafer, je nach Lichtsituation trägt er dazu eine auffällige Pilotensonnenbrille. Die Haare nach hinten gegelt. Erinnerungen werden wach an den Party-Künstler Georg Immendorff oder den Patriarchen mit Stock Markus Lüpertz. Doch die Assoziationen halten nicht stand. Löwentraut tritt nicht wie ein spleeniger Künstler auf, sondern wie ein Hollywood-Star auf den Filmfestspielen von Cannes. Auf Instagram hat er aktuell 217.000 Follower, die informiert werden wollen über seine neusten Eskapaden. Seine Eltern sind seine Angestellten, der Vater sein Manager, die Mutter die Betreuerin. Und dann ist da noch einer, der prüft, was man von Löwentraut hält, bevor man mit ihm sprechen darf, der seine jüngsten Projekte kuratiert hat: der Unternehmer Manfred Möller.


Was aber bieten sie, dass die Leute so ausflippen, wenn sie den Namen Leon Löwentraut hören, dabei sein wollen, wenn er wieder den nächsten Auftritt hinlegt und für seine Werke mittlerweile um die 40.000 Euro ausgeben? Der große Verdienst von Leon Löwentraut ist es, alles was zur Kunst gehört, die Treffen, die Vernissagen, die Events einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Seine Veranstaltungen sind garantiert intellektuell barrierefrei. Welche Rolle aber übernimmt die Kunst in diesem Spiel, was sollen seine Bilder?

Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich hat vor ein paar Jahren Löwentraut mit der Schlagersängerin Helene Fischer verglichen: Die Bilder „wollen nichts, sie fordern nichts, aber sie sehen so aus, wie die breite Bevölkerung sich moderne Kunst vorstellt.“ Beide produzierten Unterhaltung für die Masse. Aber stimmt dieser Vergleich wirklich? Die Lieder von Helene Fischer singen Millionen von Menschen auswendig mit, genießen, freuen sich, die Musik hat längst eine von der Sängerin unabhängige Wirkung. So weit hat es Löwentraut noch nicht geschafft. Gemessen an der Größe seines Publikums, der Höhe der Preise für die Kunst, die Anzahl der Ausstellungen ist Löwentraut sicherlich ein erfolgreicher Künstler, das bekannte jüngst auch die Kunstzeitschrift „Monopol“. Ganz missachten kann selbst der etablierte Kunstbetrieb ihn nicht mehr, dafür ist er längst zu berühmt. Und doch, das Phänomen Leon Löwentraut funktioniert nur als Ganzes, als ein Marketing-Produkt. Die Kunst ist das letzte Glied in der Vermarktungskette.


Die Umkehrung dieser Hierarchie muss Leon Löwentraut noch schaffen. Hält seine Kunst, was er als Figur der Unterhaltung verspricht? Für den Kunstmarkt werden die kommenden zwei Jahre interessant. Denn Löwentraut ist in den Kunst- und Kulturmetropolen Venedig, München und Paris angekommen. Von Mai bis Ende Juni dieses Jahres hat er seine Bilder bereits in der Biblioteca Nazionale Marciana in Venedig, in den geschichtsträchtigen „Sale Monumentali“ der Bibliothek, präsentiert direkt am Markusplatz gelegen. Von dort aus zog die Ausstellung weiter nach Wien, wo sie an diesem Wochenende im Kunstforum eröffnet hat, dem Ausstellungshaus der UniCredit Bank Austria. Dort läuft die Ausstellung jedoch nicht im regulären Hauptprogramm, sondern nur unter „Externe Projekt“.


Ein wenig scheint man sich dort offenbar noch für das Enfant Terrible zu schämen – und will gleichzeitig trotzdem am Hype teilhaben. Im Spätsommer soll es weiter damit nach Paris gehen: in die Louvre Schule. Die sich zwar innerhalb des Gebäudetrakts des Louvre befindet, nicht aber zum Museum gehört. Noch ist er also nur fast angekommen. Zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass er zwar schon in New York ausgestellt hat, allerdings in der eher unbedeutenden Galerie eines Mannes, der mal ein gefürchteter Börsenhai war und als eines der Vorbilder gilt für die von Michael Douglas Filmfigur Gordon Gekko aus „Wall Street“: Asher Edelman. Nicht gerade etwas, womit man sich rühmen kann. Aber wer weiß, was am Ende bei seiner Selbststilisierung zählt. Seine Wanderausstellung betitelt er selbstbewusst mit „Leonismus“. So falsch ist die Assoziation mit Asher Edelman also nicht.


Für Teile des klassischen Kunstmarkts steckt in dieser Entwicklung Erosionspotential. Für andere dürfte es zur großen Chance werden, sich die Künstler so zu erfinden, wie sie der Markt sich wünscht. Löwentraut und seine Händler setzten von Anfang an auf eine gewagte Strategie – die aufgegangen zu sein scheint: Man behauptete einen Preis für seine Werke, ohne dass es dafür eine Entsprechung gegeben hätte. Die Leute bezahlten dafür, auch weil man ihnen eine Wertsteigerung versprach. Und so wurde aus dem, was Löwentraut macht: Kunst. Nicht mehr die Ausstellungsräume machen die Objekte zur Kunst, wie zu Zeiten von Duchamp, sondern die Preise.


Und das Löwentraut-Modell macht Schule. Preise und künstlerischer Wert lassen sich inzwischen mit Social-Media Reichweite bemessen. Das sieht man auch bei den Künstlern Tim Bengel und Paul Schrader. Sogar der Youtuber Fynn Kliemann fühlt sich inzwischen zum Maler berufen. Die Jungunternehmer reizt die Möglichkeit, schnell und einfach zum Erfolg zu kommen – und zu verdienen.


An der Entwicklung des Kunsthandels in den vergangenen zwanzig Jahren kann man ablesen, dass sich das System immer mehr einem Börsenplatz ähnelt. Über Spekulation mit Kunst regen sich die meisten heute nur noch hinter vorgehaltener Hand auf, kaum jemand kauft noch junge Kunst ohne Gewinninteresse. Diese Veränderung hat sicherlich auch ihren Anteil daran, dass sich Leon Löwentraut weiter hält, obwohl er nicht einmal lustige Ideen vorweisen kann, wie ein Jeff Koons oder Genialität beweist, wie Damien Hirst, der Markt, System und Sammler längst vollständig im Griff hat.

Leon Löwentraut geht die Sache anders an. Vor seinem 30. Geburtstag will er im New Yorker MoMA ausstellen, dem berühmtesten Museum der Welt. Möglich, dass es ihm gelingt. Wahrscheinlich ist aber auch, dass er bald wieder von der Bildfläche verschwindet. Sicher ist aber, dass Phänomene wie er mehr werden. Die Backstreet Boys waren ja auch nur der Anfang.


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