Helge Achenbach, Jahrgang 1952, war der mächtige Strippenzieher der deutschen Kunstszene, als Kunstberater half er großen Wirtschaftsunternehmen, Banken, Versicherungen und reichen Privatleuten beim Aufbau von Kunstsammlungen. 2014 wurde Achenbach am Düsseldorfer Flughafen verhaftet, auf der Rückreise vom Trainingslager der deutschen Fußballnationalmannschaft in Brasilien, auch das hatte er mit Kunst ausgestattet. Der Vorwurf: Millionenbetrug. Er soll Rechnungen an mehrere seiner Kunden gefälscht haben, darunter der Aldi-Erbe Berthold Albrecht und dessen Ehefrau Babette. Nach vier Jahren Gefängnis gibt er sich als geläuterter Mann, in einem neuen Buch mit dem Titel "Selbstzerstörung" arbeitet er die Vergangenheit auf (siehe Kasten unten).
SPIEGEL: Herr Achenbach, was muss ich heute für ein gutes Bild ausgeben?
Achenbach: Nicht immer sehr viel. In Köln entdeckte ich neulich eine großartige Malerin mit nigerianischen Wurzeln, Jadé Fadojutimi. Aus der könnte mal was werden. Ein Bild kostete 17.000 Euro. Aber es geht nicht ums Geld, es geht darum, das Potenzial zu erkennen.
SPIEGEL: Was hätten Sie früher geantwortet, bevor Sie wegen Betrug in 18 Fällen zu sechs Jahren Haft verurteilt wurden?
Achenbach: Ich hätte Sie genau angeschaut. Einem jungen Unternehmer hätte ich gesagt, kauf Künstler deiner Generation. Einem Opi hätte ich gesagt, komm, wir holen dir einen geilen Beckmann. Aber es hätte immer alles Museumsqualität gehabt. Wenn du ein alter Pfeffersack mit zehn Milliarden bist, dann kannst du ja auch mal eine Milliarde in Kunst investieren.
SPIEGEL: Sie haben den Beruf des Kunstberaters erfunden. Eine Mischung aus Anlageberater und Raumausstatter.
Achenbach: Das mit dem Raumausstatter ist eine Frechheit. Ich habe für das perfekte Zusammenspiel zwischen Kunst und Architektur gesorgt. Das kann auch in die Hose gehen, wie 1986 bei Gerhard Richter und der damaligen Victoria-Versicherung, jetzt Ergo. Die Bilder "Victoria I" und "Victoria II" sind großartig, heute Millionen wert. Gerhard haben aber die bräunlichen Marmorwände der Firmenzentrale nicht gefallen, die fand er nicht besonders ästhetisch. Da hat er sich bei der Vernissage rückwärts in ein Wasserbecken fallen lassen, um nicht weiter auf der Party bleiben zu müssen. Bevor er ging, sagte er noch: "Helge, kümmere dich darum, dass bessere Architektur entsteht." Dann habe ich die besten Architekten der Welt nach Deutschland geholt: Richard Meier, Jacques Herzog, David Chipperfield. Das waren damals unbekannte, junge Männer.
SPIEGEL: Zu Ihren erfolgreichsten Zeiten hatten Sie 50 Millionen auf dem Konto, man feierte Sie als "Kunstpapst", sie flogen im Privatjet, betrieben sieben Filialen ihrer Kunstberatungsfirma, waren Inhaber von drei Szenelokalen und zeitweise sogar Präsident des Fußballklubs Fortuna Düsseldorf. Sie müssen sich gefühlt haben, als gehöre Ihnen die Welt.
Achenbach: Ja, so habe ich mich gefühlt. Das war mein großes Problem.
SPIEGEL: Und dann kam die Acht-Quadratmeter-Gefängniszelle in der JVA Moers-Kapellen.
Achenbach: Das war, als wäre ich auf einem Motorrad mit 300 Stundenkilometern gegen einen Betonpfeiler geknallt. Das Bewusstsein ist weg, irgendwann wacht man auf und fragt: Wo bin ich hier eigentlich? Im Gefängnis! Ich hatte Angst, konnte nicht mehr schlafen, bekam es mit dem Herzen.
SPIEGEL: Haben Sie aus dem Knast gelernt?
Achenbach: Manche behaupten, ich wäre noch nicht geläutert, nur weil ich weiter rumerzähle, wie gut ich das Geld meiner Kunden angelegt habe. Was soll ich sonst sagen? Dass ich deren Geld versemmelt habe? Nein, wer bei mir Kunde war, der hatte das große Glück, dass er großartigste Künstler kaufen konnte. Der Wert der Sammlung, die ich für den Aldi-Erben Berthold Albrecht aufgebaut habe, stieg von 120 Millionen auf heute 400 Millionen Euro.
SPIEGEL: Aber sie haben ihn trotzdem um knapp 16 Millionen Euro betrogen, indem Sie Rechnungen frisierten. Ist der Kunstmarkt besonders anfällig für Betrug?
Achenbach: Der Eintritt der Investmentbanker, Börsenspekulanten und Broker in den Kunstmarkt führte zu einer kompletten Verrohung. An der Börse ist alles kontrolliert. Wenn du mit Insiderinformationen Aktien kaufst, dann steht sofort die Aufsichtsbehörde vor deiner Tür und nimmt dich fest. Der Kunstmarkt ist leichter zu manipulieren.
SPIEGEL: Sie waren nicht ganz so reich wie Ihre Kunden, dafür sollen Sie weitaus spendabler gewesen sein. Haben Sie krankhaft Geld ausgegeben?
Achenbach: Als PR-Gag bin ich irgendwann montags mit Andreas Gursky in einem Helikopter zu VW nach Wolfsburg zu einem Meeting geflogen, ich hatte Gursky einen Auftrag von VW besorgt. Alle Vorstände tagten gerade, die Sitzung dauerte bis 14 Uhr. Punkt 14 Uhr umkreisten wir mit dem Hubschrauber den Vorstandsturm - damit alle wussten, der Achenbach und der Gursky sind jetzt da, dann erst sind wir gelandet. Das gehörte zum Spiel. Mein Leben war eine Materialschlacht.
SPIEGEL: Laut Medienberichten planen Sie ein Comeback als Kunstberater. Glauben Sie wirklich, dass Ihnen jemals wieder jemand vertraut?
Achenbach: Ich will es mal vorsichtig formulieren, es gibt ein paar befreundete Unternehmer, die das Bedürfnis haben, mir zu helfen. Die sagen: "Wir wollen dich wieder schuldenfrei machen. Lass uns mal überlegen, wie wir das hinkriegen." Ich bin hoffnungsvoll.
SPIEGEL: Leute für sich zu gewinnen, ist für Sie kein Problem. Obwohl Sie ein Millionenbetrüger sind, finden viele Menschen Sie sympathisch. Ist man weniger kriminell, wenn man von den Reichen nimmt?
Achenbach: Blödsinn! Ich habe 40 Jahre legal gearbeitet, erst am Ende drei Kunden betrogen. Ich war immer der Nette. Und ich bin ich in der Lage, rüberzubringen, dass ich bereue. Ich werde mittlerweile sogar als Vortragsredner gebucht, da spreche ich dann vor Unternehmern übers Scheitern und wie man wieder hochkommt. Bei der Lesung meines neuen Buchs haben die Leute geheult, weil sie meine Geschichte so berührt hat. Zum Schluss habe ich auch noch mal geheult.