Vier WM-Spiele hintereinander gucken: Ein hartes Duell zwischen Müdigkeit und Fußballfieber. Anfangs ist noch alles wunderbar – am Ende muss eine Teenie-Kneipe herhalten. Eine Reportage.
Am Ende interessiert sich fast niemand mehr für Fußball: Während auf der Leinwand die Japaner versuchen, gegen die Elfenbeinküste zu bestehen, wird in der stickigen Kneipe getrunken, gegröhlt, geknutscht und geschlafen. Nur am vorletzten Tisch sitzen noch einige junge Männer, die halbwegs interessiert über das letzte Spiel am dritten „Tag" der Weltmeisterschaft in Brasilien diskutieren. Doch ihre Gespräche ersticken im viel zu laut aufgedrehten Ton. Es ist kurz nach vier Uhr früh.
Als draußen bereits die Sonne aufgeht, wünschen sich drinnen nicht wenige schon lange den Schlusspfiff der längsten Fußballnacht in den ohnehin kurzen Nächten dieses WM-Sommers. Denn was sich anfangs nach einem Traum für jeden Fan anhörte und von der ARD als „Supersamstag" beworben wurde, wird zu einem harten Duell zwischen Müdigkeit und Fußballfieber: vier komplette WM-Spiele hintereinander, nur unterbrochen von jeweils 75 Minuten Pause. Fast elf Stunden Weltmeisterschaft am Stück.
Leidenschaftliche Diskussion
Anfangs ist noch alles wunderbar: Der Sieg der tanzenden Kolumbianer über Griechenland wird beim Abendessen wohlwollend zur Kenntnis genommen, und auch die Überraschung der Mannschaft aus Costa Rica wird auf dem heimischen Sofa ausgiebig und leidenschaftlich diskutiert. Doch bereits die Absprache eines Treffpunktes, um gemeinsam den Klassiker England gegen Italien zu schauen, entwickelt sich um elf Uhr zum Interessenskonflikt: Müssen wir tatsächlich noch einmal raus? Ist es nicht schon längst dunkel? Warum gucken wir nicht einfach morgen früh gemeinsam die Zusammenfassungen?
Doch die Zweifel legen sich bei der Ankunft in der Mainzer Stammkneipe - zunächst jedenfalls. Die Stimmung ist gut, es wird sich im Kollektiv darauf geeinigt, die Engländer zu unterstützen. Und bis auf drei junge Frauen, die kurz nach Anpfiff die Lokalität verlassen und eine Gruppe total desinteressierter Asiaten, schauen tatsächlich alle gespannt auf den Bildschirm. Um halb eins in der Nacht kann Fußball richtig Spaß machen. Letzte Runde mit dem SchlusspfiffMit dem Verlauf des Spiels schleicht sich allerdings die Müdigkeit wie ein ungebetener Gast einmal quer durch den Raum: Am Nebentisch fragt eine junge Frau ihren Freund, ob sie nicht in der Halbzeit langsam mal gehen wollen. Er stimmt ihr zu. Auch andernorts blickt man regelmäßig in gähnende Münder und glasige Augen. Einigen fallen diese zwischendurch kurzzeitig zu. Die Pausen zwischen den Gesprächen werden länger, die Blicke auf Uhren und Smartphone-Bildschirme häufiger. Mit dem Schlusspfiff erklärt der Wirt, er würde gerne die letzte Runde einläuten. Das letzte Spiel will er nun wirklich nicht mehr zeigen. Es ist viertel vor zwei.
In der verbleibenden Zeit vor der letzten Partie wird das Viertel nach geöffneten Bars abgesucht, in denen noch ein Fernseher läuft. Zur Auswahl stehen eine hellerleuchtete Billardkneipe voller betrunkener Rocker, die für Fußball nichts übrig haben, und eine kleine, dunkle Discobar voller betrunkener Teenager, die zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel für Fußball übrig haben.
Gröhlende Jungs, knutschende Pärchen
Die letzten 90 Minuten in der Teenie-Kneipe werden quälend lang - was vor allem an der Kellnerin liegt, die alle vier Minuten fragt, ob wir wirklich zufrieden seien. Die Blicke schweifen ab zu den gröhlenden Jungs, zu dem vor dem Eingang knutschenden Pärchen und dem sichtlich genervten Barkeeper, der einem Betrunkenen zu begründen versucht, warum er überhaupt ein englisches Trikot anhabe. Wer auch immer nun noch einen Kommentar zum Spiel der Elfenbeinküste gegen Japan abgibt, erntet ein schweigendes Nicken. Egal, was er sagt.
Zehn Minuten vor fünf Uhr ist es dann vorbei. Draußen pfeifen die Vögel schon länger ihr Konzert und drinnen springen mit dem Schlusspfiff alle auf und verabschieden sich hastig in das Morgengrauen. Spätestens morgen interessieren sich dann auch alle wieder für Fußball.
Zum Original