Ein brisantes Gedankenspiel: Macht sich Kanzlerin Merkel strafbar, wenn sie Staatsgeheimnisse an einem unverschlüsselten Telefon bespricht? Der Passauer Staatsrechtler Dirk Heckmann erklärt die juristischen Tücken des Geheimnisverrats.
SPIEGEL ONLINE: Herr Heckmann, Willy Brandt trat einst zurück, weil er dem Stasi-Spion Günter Guillaume zu viel anvertraute. Könnte Angela Merkel bald ähnliches widerfahren, weil sie ihrem Handy zu viel anvertraut hat?
Dirk Heckmann: Das ist eine hypothetische Frage, ich bin kein Prophet und möchte nicht spekulieren. Gegen das Kommunikationsverhalten der Bundeskanzlerin, soweit dies bislang bekannt ist, sehe ich aber keine rechtlichen Bedenken.
SPIEGEL ONLINE: Merkel hat über ihren Sprecher mitgeteilt, dass sie über ihr abgehörtes Partei-Handy keine vertraulichen Regierungssachen besprochen hat. Generell gefragt: Wann muss sie als Regierungschefin ihr Krypto-Telefon benutzen?
Heckmann: Das ist eine interessante Frage, weil ein solcher Fall bislang juristisch kaum erforscht ist. Zunächst muss man trennen zwischen Informationen, die geheim zu halten sind - sogenannten Verschlusssachen (VS) - und sonstigen Informationen. Eine Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums besagt: Wenn Dokumente beispielsweise per E-Mail mit dem Vermerk "VS-Nur für den Dienstgebrauch" verschickt werden, sind Kryptosysteme vorgeschrieben. Die Vorschrift besagt auch: Personen mit Zugang zu Verschlusssachen ist es am Arbeitsplatz grundsätzlich untersagt, private Mobiltelefone zu verwenden. Es gibt hierbei aber ein Problem.
SPIEGEL ONLINE: Und zwar?
Heckmann: Diese Verwaltungsvorschrift gilt nicht für die Mitglieder der Verfassungsorgane des Bundes, also nicht für die Bundeskanzlerin. Die Rechtslage berücksichtigt die Möglichkeit nicht, dass ein Mitglied der Bundesregierung Geheimnisse verrät - zumal die Bundesregierung auch entscheidet, was überhaupt als geheim gilt oder wann eine dringliche Ausnahme vorliegt. Der Auslegungsspielraum ist hier groß.
SPIEGEL ONLINE: Wie ist also die Regelung bei Telefonaten?
Heckmann: Es gibt keine wirkliche Regelung, ich sehe da eine Lücke für Regierungsmitglieder. Eine entsprechende Anwendung der Verwaltungsvorschrift erscheint mir fragwürdig. Die Vorschrift, am Arbeitsplatz keine privaten Mobiltelefone zu verwenden, passt ohnehin nicht für die Kanzlerin. Sie ist auf Mitarbeiter an stationären Arbeitsplätzen zugeschnitten. Außerdem gibt es eine Ausnahmeregelung: In dringenden Angelegenheiten können Verschlusssachen am Telefon über eine ungeschützte Verbindung besprochen werden. Anders wäre es ohnehin kaum praktikabel: Die Regierungsgeschäfte würden sich aufstauen, wenn sie für jedes solcher Gespräche ein Krypto-Handy verwenden müsste, über das ja ihr Kommunikationspartner ebenfalls verfügen müsste.
SPIEGEL ONLINE: Das heißt, Merkel hätte sich nicht angreifbar gemacht - selbst, wenn sie Verschlusssachen über ihr Partei-Handy besprochen haben sollte?
Heckmann: Genau, im Prinzip kann das zulässig sein. Allerdings ist die Rechtslage hier pauschal und ohne einen konkreten Kommunikationsvorgang nicht wirklich zu klären. Die Rechtsgrundlagen reichen für die aktuellen Entwicklungen nicht mehr aus. Es wäre sinnvoll, das IT-Sicherheitsrecht in dieser Hinsicht weiterzuentwickeln.
SPIEGEL ONLINE: Macht es eigentlich einen Unterschied, ob Staatsgeheimnisse vorsätzlich oder fahrlässig verraten werden?
Heckmann: Ja, bis auf eine Ausnahme setzt Strafbarkeit hier Vorsatz voraus. Und teilweise sogar einen Strafantrag, den nebenbei bemerkt die Bundesregierung stellen müsste. Man sieht: Unsere Rechtsordnung geht gar nicht davon aus, dass ein Mitglied der Bundesregierung Geheimnisse offenbart.