In Deutschland prostituieren sich Tausende junger Männer, weil sie arm sind. Die meisten von ihnen kommen inzwischen aus Bulgarien und Rumänien. von Sebastian Kempkens
Junge Menschen in Iran fühlen sich isoliert und kontrolliert. Manche versuchen, Kontakt zu Ausländern aufzubauen, um sich mit der Welt zu verbinden.
In Omids Keller riecht es nach Zigarettenqualm. Im Perserteppich, in den Matratzen und den Sitzkissen, überall hat sich der Rauch festgesetzt. Fenster gibt es nicht. Wenn der junge Iraner hier unten sitzt und diskutiert, will er ungestört sein - so wie jetzt mit seinem Freund Sinaa und zwei Studenten aus Wien.
Die vier sprechen über iranische Politik, über den religiösen Führer Ajatollah Said Ali Chamenei, den Omid nur "Teufel" oder "fucking Mullah" nennt. Es ist schon zwei Uhr in der Nacht, doch der 23-Jährige aus Isfahan, einer Millionenstadt im Zentrum Irans, steckt sich eine Zigarette nach der anderen an. Er sagt, dass er süchtig sei, nach Nikotin natürlich. Aber vor allem auch nach Kontakt zu Ausländern: "Ohne diese Diskussionen wären wir nichts." Es sei schlimm genug, sagt er, dass sich Iran international isoliert.
Deshalb hat Omid gemeinsam mit Sinaa im Keller seines Elternhauses einen Raum für Touristen hergerichtet: 90 Quadratmeter groß, sogar eine Musikanlage hat er angeschlossen. Hier kann jeder kostenlos schlafen, der sich über die Internetseite Couchsurfing.org bei ihm meldet. "Wenn es hart auf hart kommt, könnten wir 20 bis 30 Leute gleichzeitig unterbringen", erzählt der junge Schreiner. Seit 2009 habe er mit Sinaa über 40 Rucksacktouristen beherbergt, insgesamt waren es mehr als 100 - Spanier, Deutsche, Chilenen und Australier.
Kontaktzu Ausländern"über das normale Maß" hinaus ist verbotenOmid und Sinaa* wollen erfahren, was außerhalb Irans passiert, aber auch das Missverständnis ausräumen, in ihrem Land seien alle wie Ahmadineschad. In Österreich oder Deutschland, glaubt Omid, könne man von einer konservative Regierung auf ein einigermaßen konservatives Volk schließen. In Iran sei das vollkommen anders. "Wir haben nichts, aber auch wirklich gar nichts mit den durchgedrehten Mullahs und diesem verrückten Präsidenten zu tun." Nach einer Pause ergänzt er: "Außer, dass wir es noch nicht geschafft haben, sie zu stürzen."
Omid und Sinaa leben unter einer Regierung, die ihre Bevölkerung seit der islamischen Revolution 1979 möglichst gut von westlichen Einflüssen abschirmen möchte. Die meisten Filme aus Hollywood werden zensiert, internationale Nachrichtenseiten im Internet sind gesperrt. Und die Kontrolle nimmt zu: Die iranische Führung verbietet ihren Bürgern seit Anfang 2010 "über das normale Maß" hinaus Kontakt zu ausländischen Besuchern zu pflegen.
"Es gibt so viele Regeln", sagt Sinaa, der Englisch und Deutsch studiert, "dass man gar nicht gegen alle gleichzeitig protestieren kann." Die Herberge in Omids Keller steht deshalb auch für die Sehnsucht nach einem offeneren, toleranteren Lebensstil, als ihn das Gesetz in Iran erlaubt. Die beiden jungen Männer kennen sich schon aus der Schule. Sie trinken heimlich auf dem Schwarzmarkt gekauften Jack Daniels Whisky, rauchen Haschisch oder reden über Liebe und ihre Erfahrungen mit vorehelichem Sex.
Seit dem Sommer 2009, als überall im Land Tausende junge Iraner gegen die offensichtlich gefälschte Wahl von Präsident Ahmadineschad protestierten, hat sich im Land einiges verändert, erzählt Omid. Er war damals unter den Demonstranten in Isfahan: "Erst waren wir hundert, am nächsten Tag kamen schon zweitausend - hauptsächlich Studenten - dann konnte man sie nicht mehr zählen."
Doch ebenso schnell, wie es begonnen hatte, war alles wieder vorbei. Die Basiji-Miliz, eine paramilitärische Einheit, prügelte die Demonstranten gnadenlos nieder. Auch Omid bekam Schläge ab, bevor er wegrennen konnte. Laut Amnesty International starben im ganzen Land Dutzende Menschen, über fünftausend wurden im Laufe der Proteste inhaftiert.
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