Der Ort war geschickt gewählt. Am 24. März lief in Erfurt ein Roboter aus Metall auf vier Beinen die Domstufen herunter - mit einer Fernbedienung gesteuert von einem Menschen. Das Gerät, dessen Statur entfernt an die eines großen Hundes erinnert, bewegte sich sicher die Stufen nach unten und drehte eine Runde auf dem Domplatz - beäugt von neugierigen Passanten. Seine menschlichen Begleiter gaben bereitwillig Auskunft - und dann verschwanden sie mit ihrem "Tierchen" wieder.
Videos des Ausflugs in Erfurts guter Stube machten schnell die Runde und landeten bald bei MDR THÜRINGEN - jedoch ohne die Information, wer diese sonderbare "Gassirunde" organisiert hat. Nachfragen bei allen relevanten Stellen blieben in den kommenden Tagen ergebnislos - weder Polizei noch Feuerwehr, noch Stadtverwaltung oder Stadtwerke hatten etwas damit zu tun.
Robotik-Professoren identifizieren Modell und Hersteller
Die beiden Thüringer Robotik-Professoren Oksana Arnold von der Fachhochschule Erfurt und Horst-Michael Groß von der Technischen Universität Ilmenau konnten das Gerät zwar identifizieren. Es handelte sich um das Modell Spot des US-Herstellers Boston Dynamics - ein sogenannter autonomer Laufroboter, der mit dieser Ausstattung weit über 100.000 Dollar koste. Mit Hinweisen zum Besitzer konnten aber auch die beiden Wissenschaftler nicht dienen.
Erst ein Video mit den Aufnahmen der Passanten auf den Domstufen, das MDR THÜRINGEN in sozialen Netzwerken veröffentlichte, brachte den Durchbruch: Eine Augenzeugin hatte mit einem der Begleiter des Roboters gesprochen, es handele sich um das Sicherheitsunternehmen Ciborius-Gruppe. Die bekannte umgehend gut gelaunt, dass es ihr Roboter war - und ließ durchblicken, der Ausflug habe durchaus nur Passanten auffallen sollen, nicht unbedingt den Medien, und damit in den sozialen Netzwerken landen sollen.
Sicherheitsdienstleister Ciborius will neuen Markt erschließen
Denn die Ciborius-Gruppe - 2006 von Andreas Ciborius in Gera gegründet und seit 2011 in Berlin ansässig - braucht Aufmerksamkeit für ihren Spot: Das Unternehmen mit 100 Standorten bundesweit und 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern will mit dem Laufroboter einen Markt erschließen, den es nach Aussage von Thilo Leuthner, Geschäftsführer der Frankfurter Ciborius-Tochter Security & Service Solutions, in Deutschland, vermutlich sogar in Europa noch nicht gibt: Autonome Roboter im Wach- und Objektschutz einsetzen.
Vorführung bei Kunden in ganz Deutschland
Aktuell führt Ciborius den Spot seinen Kunden vor, Unternehmen der Chemie-, der Auto- oder der Logistikbranche etwa, für deren "hochsensible Bereiche" ein Einsatz des Roboters in Frage kommt. Am Dienstag war der Spot, der übrigens keinen Namen hat, in Thüringen zu Gast: An der Logistikhalle des Elektronikversandes Redcoon in Erfurt-Linderbach taperte der Roboter zwischen Mitarbeitern umher, die draußen Pause machten.
Ein Mitarbeiter des Ciborius-Entwicklungsteams führt den Roboter mit einer Fernbedienung von der Größe einer Handheld-Spielkonsole. 37 Kilogramm schwer ist der Spot und maximal sechs km/h schnell, berichtet er. Zum Wechsel des Akkus legt sich der Roboter eigenständig in eine Position, die seine Unterseite mit dem Akkuschacht gut zugänglich macht. Fünf Minuten dauert es nach dem Akkuwechsel, bis das System wieder komplett hochgefahren ist - wird der Spot vorher mit dem Stromnetz verbunden, gibt es keine Zwangspause nach dem Akkutausch.
Entführer müssen mit einem widerspenstigen Roboter rechnen
Geschäftsführer Leuthner sagt, gegen menschliche Angreifer setze sich das Gerät nicht offensiv zur Wehr, habe auch keine eingebaute Fluchtautomatik. Wer den Roboter aber mitnehmen wolle, stehe vor einer großen Herausforderung: Der Roboter könne sich passiv verteidigen, indem er etwa einprogrammierte Bewegungen ausführe, die potenziellen Entführern den "Hundediebstahl" umgehend verleideten.
Stetiger Abgleich zwischen Daten-Norm und Realität
Ein Angriff auf den Roboter ist für Ciborius ohnehin kein wahrscheinliches Szenario. Leuthner sagt, zuerst gehe es darum, den Roboter mit seinen hochsensiblen Kameras und Sensoren und der dahinter stehenden Rechentechnik anzulernen - im Streifendienst mit einem menschlichen Begleiter. Der Roboter sende seine Messdaten permanent an die Zentrale und bekomme von dort digital die Information zurück, was er gerade sieht: Dieser Zaun ist unversehrt, dieser hat ein Loch, diese Tür ist geschlossen, diese offen.
Je mehr Bilder und Daten bei den Streifengängen anfallen und bewertet werden, desto sicherer wird der Roboter in seinem Urteil - so der Plan von Ciborius. Künstliche Intelligenz wird dieses Verfahren meistens genannt, maschinelles Lernen trifft es eher. Später soll der Spot auf vorgegebenen Routen allein und autonom auf Streife gehen, überwacht nur von Menschen in der Notruf- und Servicezentrale von Ciborius. Weichen die Kameradaten vom vorgegebenen Normalzustand ab, gibt der Spot selbstständig Alarm - und die Zentrale kann Wachleute losschicken, die vor Ort die Lage prüfen. Die Datenschutzvorschriften würden dabei eingehalten, versichert Ciborius.
Sicherheitsbranche könnte als Arbeitgeber attraktiver werden
Bleibt die Frage, ob der hohe Preis des Geräts es für die Ciborius-Kunden nicht auch in Zukunft günstiger macht, Menschen für den Wach- und Objektschutz zu buchen. Geschäftsführer Leuthner hält dem entgegen, dass die Preise in der Branche schon heute sehr unterschiedlich seien. Kunden, die die Vorteile des Roboters schätzten - etwa, dass er niemals krank werde und auch keinen schlechten Tag habe - dürften bereit sein, für den Einsatz zu bezahlen.
Leuthner setzt auch darauf, dass der Preis für den Roboter fallen wird, wenn die Nachfrage nach den Geräten steigt. Und auf lange Sicht rechne es sich eben doch, statt kontinuierlich anfallender Lohnkosten nur die überschaubaren Betriebskosten zahlen zu müssen - zumal mit solchen Spezialaufgaben die Sicherheitsbranche als Arbeitgeber attraktiver werde.