Für den Eisenhüttenstädter FC Stahl waren die Fußballjahre um die Wende wilde Zeiten. Die Qualifikation zur 2. Bundesliga verpasste der Verein in der letzten DDR-Oberliga-Saison nur knapp. Im Pokal sorgten die Stahlstädter 1991 dagegen für Furore. Von Robert Schwaß
In den einstigen Sportanlagen der Hüttenwerker ist es ruhig geworden. Unmittelbar vor den Toren des Eisenhüttenstädter Stahlwerkes liegt das Stadion an der Waldstraße, das früher bis zu 10.000 Zuschauer fasste. Heute sind die Sitzschalen auf der Gegengerade teilweise herausgerissen. Ein Gebäude neben der altehrwürdigen Haupttribüne verfällt zunehmend.
Harry Rath kennt die Spielstätte noch aus besseren Tagen. Seit knapp 40 Jahren ist der 65-Jährige als Spieler, Trainer und Funktionär im Verein tätig - egal, ob als Betriebssportgemeinschaft, EFC Stahl oder seit 2016 FC Eisenhüttenstadt. Etwas wehmütig betritt er den Rasenplatz. "Das sieht schon alles sehr mitgenommen aus. Trotzdem denke ich hier auch gerne an erfolgreiche Zeiten vor vollem Haus zurück!"
Vereins-Steckbrief- 1989 Aufstieg in die DDR-Oberliga
Ewiger DDR-ZweitligistAls Betriebssportgemeinschaft spielt Stahl Eisenhüttenstadt 18 Spielzeiten in Folge in der zweitklassigen DDR-Liga, liegt dort in der ewigen Tabelle auf Platz zwei hinter der BSG Wismut Gera. Im Regierungsbezirk Frankfurt (Oder) steht die BSG im Schatten des FC Vorwärts Frankfurt. Mehr als einmal werden gute Spieler aus Eisenhüttenstadt zum Armeesportklub in die Oderstadt delegiert. Trotzdem gelingt den Stahlstädtern 1989 überraschend der Aufstieg in die DDR-Oberliga, wo die Mannschaft 1989/90 nur aufgrund des um zwei Tore besseren Torverhältnisses gegenüber Wismut Aue die Klasse hält.
Nach der deutschen Wiedervereinigung trat der Deutsche Fußballverband der DDR dem DFB bei. 1990/91 spielten die Ost-Klubs in der letzten Oberliga-Saison deshalb neben der Meisterschaft vor allem um den Einzug in den gesamtdeutschen Profifußball. Hansa Rostock als Meister und der Zweitplatzierte Dynamo Dresden schafften damals den Sprung in die 1. Bundesliga. Als Außenseiter hatte Eisenhüttenstadt bis zum letzten Spieltag eine minimale Chance auf die direkte Qualifikation für die 2. Bundesliga. Doch ein 3:3 gegen Dynamo Dresden am 25. Mai 1991 reichte nicht aus. Der 9. Platz in der Tabelle bedeutete den Gang in die Relegation. Dort kamen die Stahlstädter nicht an Lokomotive Leipzig vorbei. Der Traum vom Profifußball platzte, dem Erfolg laufe man bis heute hinterher, ärgert sich Harry Rath.
Stahl-Urgestein Harry Rath. Fußball und Stahlwerk - eine Einheit?Die letzte Oberliga-Saison war eine turbulente Spielzeit. Viele Fußballer wollten sich für einen Bundesligaverein empfehlen oder waren bereits gewechselt. "Auch bei uns war der eine oder andere mit dem Kopf sicher schon woanders", sagt Harry Rath. Er erlebte die letzten Oberligajahre verletzungsbedingt vom Seitenrand, bereitete sich auf seine Trainerkarriere vor. Doch nicht nur die Spieler, auch die Vereine spürten die Umbrüche der Wendezeit am eigenen Leibe. Aus der BSG wurde der EFC Stahl, ausgegliedert aus dem Trägerbetrieb, dem Stahlwerk. Das blieb vorerst Hauptsponsor. Trotzdem wurde die finanzielle Situation komplizierter, erinnert sich Rath. Für die vorher im Werk angestellten Spieler mussten neue Geld- und Arbeitgeber gefunden werden, erinnert sich Rath. Trotzdem: "Ohne das Werk würde es den Verein heute nicht geben."
Auch das Eisenhüttenkombinat hatte nach der Wende zu kämpfen. "Stirbt das Werk, stirbt auch die Stadt", hieß es damals. Von ehemals über 10.000 Angestellten im EKO arbeiten heute noch 2.500 im Stahlwerk. In solchen unsicheren Zeiten bot Fußball eine willkommene Abwechslung. Doch durch den Bevölkerungsrückgang und den ausbleibenden Erfolg schwand in den folgenden Jahren auch das Interesse der Eisenhüttenstädter Zuschauer.
Mehr zur Serie Achtungserfolg im PokalWährend der Sprung in den Profifußball 1991 verpasst wurde, schaffte der Eisenhüttenstädter FC Stahl im letzten DDR-Fußballpokal eine kleine Sensation und zog ins Finale ein. Dort musste man sich Hansa Rostock mit 0:1 geschlagen geben. "Der Zusammenhalt war groß und wir hatten eine gute Truppe zusammen", erinnert sich Steffen Menze an das Pokalduell. Der Ex-Fußballprofi lief in der Saison 90/91 für den EFC Stahl auf. Das Pokalspiel war für den damals jungen Spieler ein echtes Highlight. "Obwohl danach vielleicht auch die Kraft für die Relegationsspiele zur 2. Liga gefehlt hat", sagt Menze, der 2001 als Fußballprofi mit dem 1. FC Union Berlin nochmals in ein Finale einzog. Im DFB-Pokal hatten die Eisernen mit 0:2 gegen Schalke das Nachsehen.
Weil Hansa Rostock als letzter DDR-Meister für den Europapokal der Landesmeister, dem Vorgänger der Champions League, qualifiziert war, durfte Stahl Eisenhüttenstadt in der kommenden Saison im Europapokal antreten. Niemand geringeres als Galatasaray Istanbul wurde den Eisenhüttenstädtern in der ersten Runde zugelost. Doch nur knapp 3.500 Zuschauer wollten den türkischen Rekordmeister sehen. Ein paar Galatasaray-Fans pilgerten im Autokorso aus Berlin nach "Hütte" zum Hinspiel am 18. September 1991. Lange schlug sich Eisenhüttenstadt wacker gegen den Istanbuler Top-Klub und musste sich zu Hause nur knapp mit 1:2 geschlagen geben. Im Rückspiel bei Galatasaray war der inzwischen drittklassige EFC mit 0:3 dann chancenlos.
Alltag im AmateurfußballNach den Highlights im Europapokal ging es langsam aber stetig bergab mit dem Fußball in Eisenhüttenstadt. In den 90ern konnte sich der Verein noch in der Regionalliga Nordost halten, im folgenden Jahrzehnt stürzte Stahl dann bis in die Landesliga ab. Nach einer Fusion mit mehreren lokalen Fußballmannschaften tritt der Klub seit 2016 als FC Eisenhüttenstadt in der sechsthöchsten deutschen Spielklasse, der Brandenburgliga, an.
Sendung: rbb UM6, 27.05.2021, 18 UhrBeitrag von Robert Schwaß