Saskia Aleythe

Journalistin, München und Berlin

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Umziehen für den Beruf: Die neue Heimat war ein Schock

Nach dem Pendeln der Umzug - und ein neuer Job: Stefanie Stotz

Wer für den Job umzieht, muss mit der neuen Stadt erst warm werden. Da drohen Einsamkeit und Enttäuschungen. Und wenn der Jeck nicht zum Karneval kommen kann, kommt der Karneval eben zum Jecken. Das klappt sogar in Bayern. Drei Zugezogene erzählen.

Auf einmal wird es ganz sentimental. Die stampfenden Bässe und klirrenden Gitarrenriffs von eben sind verklungen. Die kölsche Mundart-Band Brings stimmt einen ruhigen Song an, und die kleine Publikumsschar verwandelt sich in einen selig schunkelnden Pulk. Es weht ein Hauch rheinischen Karnevals.

In Köln füllen Brings locker ein Stadion mit 50.000 Plätzen, an diesem Herbstabend spielen sie auf einer Bühne, wo Jecken selten sind: in München, in der Theaterfabrik. Die fasst gerade mal 1000 Zuschauer. Nun ist sie voll mit Zugereisten, die sich ein bisschen Rheinland nach Bayern geholt haben.

"Das ist ein Highlight hier." Elke Tietz, 42, strahlt. Sie hat Brings in den Süden gebracht. Im Jahr 2000 siedelte die Versicherungskauffrau von Köln nach München um - berufsbedingt, als Angestellte bei der Allianz. "Ich wollte die Gelegenheit nutzen, um in einer anderen Stadt etwas Neues zu machen." Unterstützung für den freiwilligen Umzug bekam sie vom Arbeitgeber, ein Apartment in den Anfangsmonaten wurde ihr gestellt, auch vorübergehenden Mietzuschuss gab es. Gute Voraussetzungen also. Die gebürtige Sauerländerin tat sich dennoch schwer mit dem Einleben.

Der Neugier auf das Unbekannte folgte Enttäuschung: "Die offene Art der Kölner habe ich total vermisst. Es ist hier schwerer, Leute kennenzulernen." Ein paar Arbeitskollegen waren bei ihrem Start in München die einzigen Kontakte. Nach einem Dreivierteljahr hat Tietz mit anderen Zugereisten, die sie bei einem Kölner Stammtisch regelmäßig traf, die rettende Idee. Sie gründeten den "Köln-Münchner Karnevalsverein".

So exotisch, wie das klingt, scheint die Idee nicht zu sein. Aus zunächst elf wurden mittlerweile über 250 Mitglieder, die der Verein unter anderem an den selbstorganisierten Konzertabenden zusammenbringt. Tietz fühlte sich plötzlich wohl in München.

Besser umziehen als pendeln

"Die Bevölkerung wird mobiler", sagt Tanja Buch vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Vor allem das tägliche oder auch Wochenend-Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort hat deutlich zugenommen. Doch wer kann, entledigt sich dieser Last gern - und sei es durch einen Umzug.

Jahrelang gependelt ist Stephanie Stotz, über 50 Kilometer pro Strecke. "Das war sehr nervenaufreibend", sagt die Konfigurationsmanagerin. Nach vier Jahren entschied sie sich für einen Umzug von Pfaffenhofen nach München - für die 45-Jährige eine Befreiung. "Auf einmal wohnte ich nur noch acht Minuten Fahrtzeit vom Büro entfernt", sagt sie, "das war grandios."

Die Freiheit währte nur ein Jahr. Als der Betrieb Stellen strich, wechselte sie den Job. Nun pendelt sie wieder, drei Stunden täglich - am alten Wohnort vorbei. Trotzdem bleibt Stotz in München: "Ich habe hier eine höhere Lebensqualität, und das Umfeld stimmt auf jeden Fall."

"Ich muss an meinem Lebensqualität arbeiten"

Kneipen, Kinos, Parks und Schwimmhallen in der Nähe - für Umzugswillige sind das Schlüsselfaktoren, sagt Arbeitsmarktforscherin Buch. Unter dem Strich hätten Umzüge für den Job in den letzten Jahren nicht zugenommen. Dennoch gewinnen die größeren Metropolen wie München, Hamburg oder Köln immer mehr Arbeitnehmer hinzu - westdeutsche Städte also. Der Osten dagegen verliert Arbeitskräfte.

So wie Markus Neuenfeld*, 30, ihn zog es im Januar 2011 von Leipzig nach Hamburg - unter eher widrigen Bedingungen. Er hatte gerade seine Abschlussprüfung als Speditionskaufmann bestanden, am folgenden Tag musste er bereits in Hamburg sein. "Der Arbeitsvertrag war dann nicht so wie vereinbart, vor allem die Bezahlung", erzählt er. Auch die Atmosphäre im Betrieb, das Verhältnis zwischen Chef und Angestellten, stellte sich als ungemütlich heraus. Und das, obwohl Neuenfeld seinen Vorgesetzten bereits aus einer früheren Beschäftigung kannte: "Das war ein Schock, als ich nach Hamburg gekommen bin."

Wohnen konnte er in einem Zimmer innerhalb einer Monteurswohnung, aber gemütlich war das nicht: "Die Mitbewohner waren nicht mein Menschenschlag." Nach einem Vierteljahr endlich fand er eine kleine eigene Wohnung, fast zeitgleich wechselte er den Arbeitgeber innerhalb Hamburgs.

"Das war eine enorme Verbesserung", so Neuenfeld. Laue Abende am Cospudener See in Leipzig vermisst er trotzdem noch immer: "Ich habe damals eine tolle Stadt zurückgelassen, mit vielen Freunden." Mittlerweile ist seine Freundin nach Hamburg nachgekommen, ab und zu besuchen sie ein befreundetes Pärchen, doch insgesamt will das Einleben noch nicht recht gelingen.

Die verflixten ersten sechs Monate

"Das liegt aber nicht an den Leuten, die sind hier relativ offen", sagt Neuenfeld. Den neuen Lieblingsmexikaner finden, einen passenden Sportverein finden, schöne Ecken entdecken - das alles erfordert Zeit. Und die ist knapp: "Ich habe gemerkt, dass ich daran arbeiten muss, um auf dieselbe Lebensqualität wie in Leipzig zu kommen."

"Sich auf den Weg zu machen, an einem Tag, an dem man viel gearbeitet hat, das ist ein Problem", sagt Werner W. Wilk. Er ist Geschäftsführer von Pecon und bietet Unternehmen psychologische Dienste an. "Am besten ist es, ganz gezielt Kontakt zu einer Betriebssportgruppe oder einem Chor innerhalb des Unternehmens aufzunehmen", empfiehlt er, "oder man organisiert sich vor Ort. Das muss relativ schnell passieren, innerhalb des ersten halben Jahres." Insgesamt seien eher Singles in Gefahr, nach einem Umzug in soziale Isolation zu geraten.

Als Single kam auch Karnevalsfan Elke Tietz nach München. "Ich habe hier meinen Mann kennengelernt und habe mittlerweile zwei Kinder." Sie fühlt sich in der Stadt inzwischen heimisch, auch wenn ihr die rheinische Mentalität ab und an immer noch fehlt.

Außer natürlich wenn Brings spielen. Tietz trägt ein T-Shirt, auf dem das Logo ihres närrischen Vereins prangt: Kölner Dom und Münchner Frauenkirche, die mit Kölsch und Weißbier anstoßen. Auf einer großen roten Plane steht in weißer Schrift geschrieben: "Ob Kölle oder München, janz egal - drinke, bütze, danze, dat jeiht överall."

(*Name von der Redaktion geändert)

KarriereSPIEGEL-Autorin Saskia Aleythe (Jahrgang 1986) arbeitet als Journalistin in München - nach einem Umzug von Hamburg.

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