Sascha Rose

Journalist, Finanzredakteur, München

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Eine Frage des Gewissens

Hast du etwas Zeit für mich, dann singe ich ein Lied für dich von 99 Luftballons" - wer kennt ihn nicht, den Hit von Nena aus dem Jahr 1983. Ein Song, der in einer Zeit entstand, als viele Menschen ein Ende des Kalten Krieges forderten. Und heute? Gibt es zwar keinen Kalten Krieg mehr, dafür aber reichlich Konflike und Terrorgefahren auf der Welt. Und so werden weiter fleißig Kampfjets, Panzer, U-Boote & Co. produziert. Aktien großer Rüstungskonzerne liefen deshalb zuletzt sogar besonders gut. Doch darf man überhaupt in solche Firmen investieren?

Gewissen ... Diese Frage muss wohl jeder für sich selbst beantworten. Fest steht: Immer mehr Anleger haben ein Problem damit, sich an Unternehmen zu beteiligen, deren Erzeugnisse oft nur einem Ziel dienen - zerstören, verletzen, töten. Bei den meisten Nachhaltigkeitsprodukten werden Aktien von Rüstungsfirmen sogar explizit ausgeschlossen. Denn mit ethisch oder sozial korrektem Investieren haben diese nur wenig zu tun - auch wenn klar sein dürfte, dass eine Welt ohne Waffen vorerst eine Illusion bleibt.

... oder Rendite? Auf der anderen Seite gibt es Anleger, die der Ansicht sind, dass nicht die Waffe tötet, sondern derjenige, der sie benutzt. Und die damit argumentieren, dass jedes Land in der Lage sein muss, sich zu verteidigen. Für sie sind Rüstungsaktien ein Investment wie jedes andere. Und ein ausgesprochen lukratives noch dazu. Denn die Kurse großer Rüstungsfirmen brachten zuletzt weit überdurchschnittliche Renditen. Das zeigt unter anderem der Dow-Jones- US-Defense-Index, der die sieben größten US-Rüstungskonzerne umfasst. Er legte in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 260 Prozent zu (s. rechte Seite oben).

Dass Rüstungsaktien auch künftig gut laufen, erscheint angesichts steigender Rüstungsausgaben sehr wahrscheinlich. So machen inzwischen viele Regierungen wieder deutlich mehr Geld für den Ausbau und die Modernisierung der Streitkräfte locker. Klarer Spitzenreiter ist hierbei die USA. Laut dem Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) betrugen die Militärausgaben der USA 2019 stolze 732 Milliarden Dollar - was rund 38 Prozent der weltweiten Summe entspricht (s. Grafik rechts unten).

Doch auch Europa rüstet auf. Oder besser gesagt: muss aufrüsten. Denn die meisten Nato-Länder geben für ihr Militär weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Eine Quote, die einst für alle Nato-Mitglieder verbindlich eingeführt wurde und auf die gerade Donald Trump viel Wert legt. Mehr noch: Der US-Präsident wünscht sich, dass der Anteil auf vier Prozent steigt. Immerhin macht der Verteidigungshaushalt der USA rund 3,4 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung aus, der von Deutschland gerade einmal 1,3 Prozent (Stand: 2019).

Der Branchenprimus. Anleger, die keine Bedenken haben, sich Rüstungsaktien ins Depot zu legen, können auf den derzeit größten Rüstungskonzern der Welt setzen, Lockheed Martin. Das Unternehmen beschäftigt mehr als 100 000 Mitarbeiter und ist der Haus- und Hoflieferant der US-Streitkräfte. Heißt: Das meiste Geld wird mit Aufträgen durch die US-Regierung verdient. Und: Lockheed Martin profitiert direkt von steigenden Verteidigungsausgaben.

Die Produktpalette reicht von modernen Kampf- und Transportflugzeugen, Hubschraubern und Raketen über Radar- und Zielerfassungssysteme bis hin zu Satelliten und ferngesteuerten Waffen. Zu den Verkaufsschlagern zählt der Tarnkappenbomber F-35, für den Lockheed Martin erst im März einen 4,7 Milliarden Dollar schweren Auftrag von der US-Marine erhalten hat. Dass China jüngst Sanktionen gegen den Konzern ankündigte, mag problematisch klingen. Mit Donald Trump als Freund und Präsident der USA dürften die finanziellen Folgen jedoch überschaubar bleiben.

Was allerdings die Folge von zu viel militärischem Aktionismus sein kann, beschreibt Nena in ihrem Song so: „99 Jahre Krieg ließen keinen Platz für Sieger. Kriegsminister gibt's nicht mehr und auch keine Düsenflieger. Heute zieh ich meine Runden, seh die Welt in Trümmern liegen. Hab'n Luftballon gefunden. Denk an dich und lass ihn fliegen."

Adobe Stock, Can Stock Photo

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