Sascha Gorhau

Freier Journalist, München und Augsburg

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Vielfalt und Regionalität: Wie Brauereien auf die Absatzkrise reagieren

Vielfalt und Regionalität: Wie Brauereien auf die Absatzkrise reagieren

Die Deutschen trinken immer weniger Bier. Experten sind sicher: Der Gerstensaft-Konsum wird weiter sinken. Doch das liegt weniger am Bier, als vielmehr am Zeitgeist - und manchmal auch am Wetter. Eine Analyse.


Deutschland verändert sich. Die Gesellschaft wird immer älter, die Zahl der Single-Haushalte steigt. Und wir trinken immer weniger Bier. Laut Erhebungen der Statista GmbH aus Hamburg ist der Pro-Kopf-Bierkonsum in Deutschland zwischen 2000 und 2013 von 125,6 Liter pro Jahr auf 106,6 Liter gesunken. Das ist einerseits eine logische Folge den beschriebenen Entwicklungen. Senioren trinken weniger Bier als junge Menschen, Alleinstehende kaufen eher einen Sixpack, als eine Kiste mit 20 Halbliter-Flaschen.


Aber auch die Haltung gegenüber Alkohol generell hat sich gewandelt. Galten im Nachkriegsdeutschland Promillefahrten mit dem Auto noch als Kavaliersdelikt, so schrecken heutzutage drakonische Strafen und soziale Ächtung Autofahrer vom Alkoholkonsum ab. Vor allem in ländlichen Regionen, wo die Menschen oft auf ihren Wagen angewiesen sind, sind nach dem Fußballtraining vom Dorfclub inzwischen eher eine Apfelschorle oder ein alkoholfreies Weißbier als frisch Gezapftes vom Fass angesagt.


Alkohol auf dem Rückmarsch

Auch tagsüber ist der Alkohol auf dem Rückmarsch aus unserer Mitte. Beim Mittagstisch ist ein kühles Pils inzwischen eher verpönt, die Bierautomaten sind aus den Werkshallen genauso verschwunden wie die Aschenbecher. Die Wirte spüren das ebenfalls. "Das Verhalten unserer Gäste hat sich verändert. Rituale wie der Frühschoppen nach dem Kirchgang oder das Feierabendbier fallen häufiger weg," sagt Christopher Lück vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband. "Der Gast von heute ist generell mobiler, weiß mehr und fordert mehr Auswahlmöglichkeiten", so Lück.


Doch das ist völlig normal. "Neue Generationen leben immer anders als ihre Vorgänger und natürlich entwickeln sie ihre eigenen Konsumgewohnheiten," sagt Günter Birnbaum von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Das Nachkriegsdeutschland konsumierte freizügig und öffentlich, in den 2000er Jahren kam die "Geiz-ist-Geil"-Mentalität. Plötzlich parkten Luxuslimousinen auf Parkplätzen von Discount-Märkten und Bier musste vor allem billig sein. Es begann eine ruinöse Rabattschlacht in den Supermarktregalen. "Der Biermarkt wurde von Billigangeboten förmlich überschwemmt," sagt Marktforscher Birnbaum. Daraus konnten nur die Großbrauereien als Sieger hervorgehen. Viele kleine Anbieter mussten aufgeben. Emotionslos gesagt: Der Markt bereinigte sich selbst.


Billigbier ist keine Lösung

Doch die Talsohle ist durchschritten, ist sich ein Branchenkenner sicher: "Wer sein Bier verramscht, dem nimmt irgendwann keiner mehr ab, dass er ein gutes Produkt verkauft." Gerade der Qualitätsaspekt spielt in der Gegenwart eine weitaus wichtigere Rolle. Denn der aktuelle Verbraucher-Trend im Biermarkt geht ganz klar zu mehr Klasse und weniger Masse. "Momentan beobachten wir eine interessante Entwicklung im Biermarkt: Handwerklich gut gemacht und lokal oder regional verwurzelt, da liegen die höchsten Zuwachsraten," sagt Marktforschungsexperte Birnbaum. Das passt zum Zeitgeist: Hippe Großstädter entdecken die Kleingartenkultur, Discount-Supermärkte machen große Gewinne mit eigenen Bio-Marken, Natur- und Gartenmagazine werden zu Verkaufsschlagern. Der Verbraucher der Gegenwart will Authentizität und Individualität, Spezialitäten mit Bio-Touch und das am besten aus der Region. Dafür sei er auch bereit, Geld zu zahlen, so Birnbaum. Er bezeichnet diese Entwicklung als die "Welle der Wertigkeit".


Die Brauer reagieren darauf unterschiedlich. Manche entwickeln ihre Produktpalette in die Breite und brauen beispielsweise in Norddeutschland plötzlich Biersorten wie Hefe-Weizen, die eigentlich aus Süddeutschland stammen und traditionell einen starken regionalen Bezug haben. Andere setzen konsequent auf eine sehr junge Zielgruppe und bieten trendige Mischgetränke oder alkoholfreie Biere an. Manche Großbrauereien richten ihre verschiedenen Marken konsequent lokal aus.


Trends: Wertigkeit und Vielfalt

Aufgrund ihrer Historie haben Brauereien aus Süddeutschland einen Vorteil. Denn viele Erzeuger aus dem Rest Deutschlands stellen seit ihrer Gründung hauptsächlich Pils her, wirtschaften als sogenannte Monobrauereien. Vor allem in Bayern und Baden-Württemberg jedoch sind es die Produzenten gewohnt, unterschiedliche Biersorten parallel und saisonbezogen zu brauen. Hefe-Weißbier und Helles, Märzen und Starkbier werden unter demselben Dach hergestellt. Diese Erfahrung hilft ihnen jetzt.

Als Ergebnis des Trends hin zur Vielfalt bietet der deutsche Markt aktuell etwa 5.000 verschiedene Biere. "Die Anzahl der Braustätten hat zugenommen," sagt Marc-Oliver Huhnholz vom Deutschen Brauer-Bund (DBB). Es gibt mehr Hersteller, mehr Sorten, vor allem Klein- und Kleinsterzeuger drängen auf den Markt. Sie beleben das Geschäft und bieten Spezialitäten mit klarer Ausprägung und hoher Exklusivität - und können dafür auch einen entsprechenden Preis verlangen.


Alkoholfreie Biere als Chance

Das schlägt sich auch in den Zahlen nieder. Die Anzahl der Braustätten ist inzwischen konstant. Nach Erhebungen des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden hat ihre Anzahl seit 2009 zugenommen. Die Kleinen aber spielen für die Menge des gebrauten Bieres kaum eine Rolle: "900 von 1.455 Brauereien sorgen für weniger als ein Prozent des Gesamtausstoßes," sagt DBB-Mann Huhnholz. Der lag nach Angaben der Beamten aus Wiesbaden 2013 bei fast 79,9 Millionen Hektolitern. Er beinhaltet allerdings nur alkoholhaltigen Gerstensaft. Doch gerade der Markt der alkoholfreien Biere hat in den vergangenen Jahren deutlich an Relevanz gewonnen. Davon profitieren die Hersteller. "Die alkoholfreien Biere konkurrieren nicht mit anderen Bieren, sondern mit Softdrinks wie Limonaden oder Apfelschorlen. Das eröffnet den Brauern ganz neue Kundenkreise," sagt Getränke-Experte Birnbaum.


Die Deutschen werden auch in Zukunft auf einem Platz an der Weltspitze im internationalen Bierkonsum stehen. "Der Pro-Kopf-Verbrauch wird sich perspektivisch auf einen Wert zwischen 80 und 100 Litern pro Person und Jahr einpendeln," sagt Marc-Oliver Huhnholz. Deutsche mögen immer noch gerne Bier. Doch sie wollen nicht nur Pils oder Hefe-Weizen. Die Angebotspalette hat sich darum verbreitert, gerade Spezialitäten in geringer Auflage boomen. Aktuell ist noch völlig unklar, welche Trends in den kommenden Jahrzehnten den Verkauf bestimmen werden. Doch wie in der Vergangenheit werden sich konkurrenzfähige und kluge Unternehmen auch in Zukunft durchsetzen. Dieses Gesetz gilt für die Brauer genauso wie für jedes andere Geschäftsfeld. Das Braugewerbe gilt ohnehin als eines der ältesten und zähesten der Welt. Die Bayerische Staatsbrauerei Weihenstephan in Freising braut seit dem Jahr 1040 Bier. Dazu gehört sicherlich Geschick und nachhaltiges Wirtschaften. Manchmal aber sind es ganz banale Dinge, die den Umsatz voranbringen, wie Hans-Walter Janitz vom Baden-Württembergischen Brauerbund sagt: "Der beste Außendienstmitarbeiter jeder Brauerei ist seit jeher gutes Wetter".

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