Sascha Gorhau

Freier Journalist, München und Augsburg

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Trauer um erschossene Kuh: Warum "Bavaria" nicht zur Ruhe kam

Polizisten erschossen am Dienstag in München Kuh "Bavaria". Dabei hat das Tier lediglich auf eine vermeintlich bedrohliche Umwelt reagiert. Von Sascha Gorhau

Die Trauer um die am Dienstag getötete Kuh in München nimmt inzwischen absurde Züge an: Unbekannte haben spontan einen Traueraltar errichtet, ein Stofftier soll das Opfer auf seiner letzten Reise geleiten und ein ewiges Licht brennt. Der Grund: Die Münchner Polizei hat eine Kuh erschossen. Sie war aus dem Schlachthof entkommen, rannte wild durch die Straßen der Landeshauptstadt und umkreiste zweimal den Bavaria-Ring rund um die Münchner Theresienwiese. Während der Flucht verletzte das Rindvieh eine Joggerin, attackierte weitere Passanten und demolierte einen Streifenwagen. Als es sich nach der kräfte- und nervenraubenden Jagd immer noch nicht beruhigen wollte, erschossen Polizisten das Tier schließlich.

Die Kuh an der Wiesn hatte keine Chance, zur Ruhe kommen

Dabei hat das Tier völlig natürlich auf seine Umwelt reagiert. "Schon der Transport zum Schlachthof bedeutet eine enorme Stresssituation. Das Rind steht unter extremer Anspannung durch die veränderte Umgebung", sagt Klaus Reiter vom Bayerischen Landesamt für Landwirtschaft. Zudem würden die Tiere bei Gefahr über die Haut Pheromone absondern, die Artgenossen warnen sollen, so der Experte für Tierverhalten.

Zur weiteren Eskalation der Situation hätten Bauweise des Schlachthofes und das Verhalten der Beteiligten beigetragen. "Menschen müssen Abstand nehmen und das Tier sich beruhigen lassen. Das dauert mindestens eine halbe Stunde. Erst dann kann man versuchen, ruhig und langsam auf die Kuh zuzugehen", sagt Reiter. Man müsse zudem bedenken, dass ein Rind bis zu 1,5 Meter hoch springen und somit viele Zäune überwinden könne.

"Bavaria" im Überlebens-Modus

Doch "Bavaria", wie das Tier getauft wurde, konnte nicht zur Ruhe kommen und ging daraufhin in den Überlebensmodus über. Kühe sind Fluchttiere und so tat Bavaria das, worauf sie in einer solchen Stresssituation biologisch getrimmt ist: fliehen. Die Straßen Münchens verstärkten die Stressfaktoren nur weiter: der Lärm, die Autos, die Gerüche, das Geschrei und vor allem die vielen bewegenden Objekte. Als nichts anderes nämlich nähme eine Kuh Menschen oder Autos wahr, so Klaus Reiter. Biologisch sei dies durch ihr gegenüber einem Menschen völlig anderes Wahrnehmungsfeld begründet, erklärt der Experte. Die Tiere sähen schlecht, wären aber umso sensibler bei Geräuschen und Gerüchen.

Die Kuh hat also lediglich ihre Einflüsse gemäß ihrer biologischen Codierung verarbeitet. Eine Ansammlung von Vorfällen in den vergangenen Tagen und Wochen werfen dennoch ein anderes, negatives Licht auf die Tiere: Vor vier Tagen trampelten 60 Kühe und ein Bulle einen Bauern tot, der die Tiere morgens von der Weide in den Stall treiben wollte. Am 31. Juli hatte eine Kuh eine deutsche Urlauberin in Österreich getötet, nachdem die Herde die Touristin und ihre Familie eingekesselt und bedrängt hatte. Dieselbe Gruppe soll eine Woche zuvor bereits Wanderer aus Italien angegriffen haben. Doch Klaus Reiter ist sicher: "Die Zwischenfälle mit Kühen haben nicht zugenommen, aber die Wahrnehmung der Leute hat sich geändert.

"Die Alm ist kein Streichelzoo"

Der Bayerische Bauernverband rief Spaziergänger als Folge zu besonderer Vorsicht auf und rät den Bürgern, Abstand zu Weidetieren zu halten. Auch die Behörden in Österreich haben reagiert: Die Landwirtschaftskammer Tirol hat eine Informationsbroschüre zum Verhalten auf Weiden zusammengestellt, rät im Notfall Wanderern zu einem gezielten Schlag auf die Nase der Kuh. Das Werk heißt "Die Alm ist kein Streichelzoo". Die Münchner Innenstadt auch nicht.

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