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AfD-Vertreter liebäugeln mit extremistischer Bewegung

Berlin Als der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, Mitte August verkündete, die Identitäre Bewegung (IB) stünde unter Beobachtung, hatten die meisten Bundesländer die Gefahr schon erkannt.

Der bayerische Verfassungsschutz schreibt in seinem Bericht von 2015: "Die IB hat eine starke Nähe zu der Ideologie von Rechtsextremisten." Sachsen-Anhalt nennt die Organisation "fremdenfeindlich", der Berliner Verfassungsschutz fügt "islamfeindlich" hinzu und Nordrhein-Westfalen erklärt, die IB richte sich "gegen Menschenrechte."

RÜCKENDECKUNG VON DER AFD

Daniel Fiß, ehemaliges Mitglied der Jugendorganisation der NPD, nun zweiter Vorsitzender der IB, gibt sich ratlos angesichts dieser Vorwürfe. Er nennt sie "völlig unbegründet" und vermutet parteipolitische Motive hinter der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Rückendeckung bekommt er dabei von Vertretern der AfD. Die Vizechefin der AfD in Baden-Württemberg, Christina Baum, sagt über die IB im Südwesten, sie sehe keine handfeste Grundlage zur Beobachtung. Zwischen der AfD und der IB treten immer wieder Verbindungen zu Tage, auch wenn beide Seiten eine Zusammenarbeit bestreiten. Die IB nennt die Partei eine "legitime parlamentarische Vertretung".

Die Organisation richtet sich nach eigenen Angaben an junge Leute zwischen 16 und 35 Jahren. Für die Umsetzung ihrer politischen Ideale sucht die IB "kluge und opferbereite Aktivisten, die willens sind, ihre Heimat zu erhalten und zu verteidigen." Das Durchschnittsalter der rund 300 Mitglieder in Deutschland liegt eigenen Angaben zufolge bei 24 oder 25 Jahren. Den Frauenanteil schätzt Fiß auf 20 Prozent, was sein Mitstreiter Martin Sellner als "sehr optimistisch" kommentiert.

"MULTI-KULTI-WAHN" UND "MASSENEINWANDERUNG"

Vor vier Jahren formierten sich die ersten lokalen Gruppen der IB nach dem Vorbild der französischen Identitären. 2014 gründeten sie einen Verein und bastelten zunächst an ihrem Internetauftritt, drehten Videos, wo blonde Jungs im winterlichen Wald boxen. Dann kam der Sommer 2015 und mit ihm die Flüchtlinge. Die IB übernahm den Begriff des "großen Austauschs" und machte ihn neben "Multi-Kulti-Wahn" zu ihrem Kennzeichen, mit dem sie illegal Hauswände und SPD-Parteizentralen plakatierte. Auf Flyern warnt die IB: "Globalisierung, Masseneinwanderung und Kulturverfall werden unseren Kontinent zerstören."

AfD-Abgeordnete Baum begrüßt die Bewegung: "Wenn sich junge Menschen Gedanken um die Gefahren der Masseneinwanderung in Deutschland machen, ist das eher eine Chance als eine Bedrohung." Der Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke von der FU Berlin nennt die Aktionen der IB "Hetze gegen Flüchtlinge in all seiner Schärfe" und spricht von einem Gewaltpotenzial, das sich in der Rhetorik von führenden Köpfen der IB wie dem Österreicher Martin Sellner offenbare. Als Jugendlicher war der 27-Jährige dem Holocaust-Leugner Gottfried Küssel nach eigenen Angaben eng verbunden. Heute sitzt Küssel wegen seiner rechtsradikalen Aktivitäten im Gefängnis. Sellner leitet die IB Österreich, ist aber auch in der deutschen Organisation aktiv. Er nennt die IB gerne "patriotisches Greenpeace".

RECHTSPOPULISTISCHE WEITERBILDUNGEN

Sellner hat den Onlineshop Phalanx gegründet, wo er auch Bücher seines Freundes Götz Kubitschek vertreibt. Der 46-jährige Publizist unterstützt die IB mit Begeisterung, unter anderem in Artikeln seiner Zeitschrift "Sezession". Auf einem Rittergut in Sachsen-Anhalt hat Kubitschek das Institut für Staatspolitik (IfS) gegründet. Der Leiter der Einrichtung, Erik Lehnert, erzählt in einem Video: "Das Institut betreibt Bildungsarbeit mit jungen Menschen, die durch Schulen und Universität ungebildet, verbildet sind, was die historisch-politischen Tatsachen betrifft." Die "Sommerakademie" des Instituts stand unter dem Thema: "Wer hat Interesse an der Flutung Deutschlands mit sogenannten Flüchtlingen?" Unter den Rednern war Andreas Lichert, Geschäftsführer des IfS und Beisitzer des hessischen AfD-Landesvorstands. Neben Lichert pflegen Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der Thüringer AfD, und Andre Poggenburg, Vorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt und Mitglied des Bundesvorstands, enge Beziehungen zum IfS. Höcke bezeichnet die Akademien des IfS als sein "geistiges Manna", für die IB sind sie "Orte des Austauschs und der Vernetzung".

FORDERUNGEN NACH ZUSAMMENARBEIT VON AFD UND IB

Kubitschek hat auch Einprozent initiiert. Die Initiative will mindestens ein Prozent der Deutschen gegen die "Flüchtlingsinvasion" mobilisieren und stellt Wahlbeobachter, die der AfD Stimmen sichern sollen. Einprozent unterstützt die IB nach Angaben von Kubitschek finanziell, Identitäre helfen als Wahlbeobachter aus. Mitglied ist auch Hans-Thomas Tillschneider, AfD-Abgeordneter in Sachsen-Anhalt und Sprecher der parteiinternen Bewegung Patriotische Plattform (PP). Die PP spricht sich "gegen die Herausbildung einer multikulturellen Gesellschaft aus" und plädiert für eine Zusammenarbeit ihrer Partei mit den Identitären. Die AfD in Mecklenburg-Vorpommern dürfte im Sinne der PP gehandelt haben, als sie für ihre Wahlparty das IB-Mitglied Melanie Schmitz engagierte. Schmitz hatte als Reaktion auf einen Anti-AfD-Song der Band Jennifer Rostock einen AfD-Fan-Song gedichtet, den sie bei der Wahlparty mit den Zeilen "Gegen diese Invasion hilft nur eins: Remigration" zum Besten gab. Auf Fotos ist IB-Mitglied Mario Müller im Publikum zu sehen. Er stand schon mehrfach wegen rechtsextremistisch motivierter gefährlicher Körperverletzung vor Gericht.

Neonazis wie Müller auf einer AfD-Wahlparty sind für Experte Funke nicht verwunderlich: "In der Partei geht die prägende Dynamik vom rechtsextremen Flügel rund um Höcke aus." Sellner kann die Verortung der IB von Verfassungsschützern im äußersten rechten Spektrum nicht verstehen: "Wenn man uns als rechtsextremistisch definiert, dann kann man auch die AfD als rechtsextremistisch definieren."

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