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Dr. Trabert und die Armut

„Sein Schlafplatz war ein Strohhaufen." Die Stimme von Dr. Trabert (59) zittert, als er von einem Obdachlosen redet, der in den rheinland-pfälzischen Wäldern hauste. Wochenlang sprach der Mann kein Wort mit Trabert und seinem Team. „Als er es schließlich tat, hatte ich das Gefühl, ihn schon ewig zu kennen", erzählt der Mainzer Arzt bei einem Vortrag im Atrium Hotel am vergangenen Sonntag.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat Trabert und seinen Verein „Armut und Gesundheit" vergangene Woche für ihren gesellschaftlichen Einsatz ausgezeichnet. Der EWSA ist ein beratendes Organ der Europäischen Union, in dem auch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände vertreten sind. Der Mainzer Verein teilt sich die 23 000 Euro Preisgeld mit einer finnischen Stiftung.

Gerhard Trabert hat „Armut und Gesundheit" 1998 gegründet. Der Verein kümmert sich um die medizinische Versorgung armer und sozial benachteiligter Menschen in Mainz. Dabei steht die Behandlung von Obdachlosen besonders im Vordergrund.

Arztmobil durch Popstarspende

Mit ihrem Arztmobil fahren Trabert und sein Team regelmäßig durch die Stadt und checken die auf der Straße lebenden Menschen durch. „Wir stoßen auch auf gravierende Krankheiten wie Tuberkulose", erzählt der Allgemein- und Notfallmediziner. Die Infektionskrankheit sei ein sehr verlässlicher Armutsindikator.

Trabert zeigt ein Foto von Gregor aus Polen, einem Obdachlosen mit Erfrierungen an Händen und Füßen. „Ich hatte ein sehr inniges Verhältnis zu Gregor, er ist letztes Jahr verstorben", sagt der Mediziner leise. Seine Stimme hebt sich wieder, als er von Phil Collins erzählt. Der Popstar habe mit einer großzügigen Spende von 200 000 Dollar an die Caritas das Mainzer Arztmobil finanziert.

Ambulanz ohne Grenzen

Neben dem Arztmobil hat „Armut und Gesundheit" 2013 auch eine medizinische Ambulanz in der Zitadelle aufgebaut. Dort kümmern sich 25 Ärzte und fünf Krankenschwestern kostenlos um Patienten. Sie empfangen unter anderem Menschen, die nicht krankenversichert sind, weil sie kein Dach über dem Kopf haben, oder Ausländer, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen in Deutschland haben.

"Wer trauert um die Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken?" - Gerhard Trabert

Während seines Vortrags im Atrium Hotel kommt Trabert schnell auf die Flüchtlingskrise zu sprechen: „Alle trauern um die Opfer der schrecklichen Attentate in Paris, aber wer trauert um die Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken?"

Hilfe auf hoher See

Vergangenen Sommer war der Arzt auf dem privaten Rettungsschiff „Sea Watch" im Einsatz und kümmerte sich um die medizinische Versorgung der in Seenot geratenen Flüchtlinge. „Durch die aggressive Mischung aus Trinkwasser, Urin und Salzwasser in den Schlauchbooten der Flüchtlinge entstehen auch sehr schnell Hautkrankheiten", erklärt Trabert.


Der Vater von der sechsjährigen Hadil ist bei einem Raketenanschlag auf ihre Heimatstadt Idlib gestorben. Hadil war die erste, die den zerfetzten Körper ihres Vaters erblickte. Traberts Stimme fängt wieder an zu zittern, als er von der jungen Syrerin erzählt. Er klagt über die Abschottungspolitik der EU, nennt die Flüchtlingsregelungen in Deutschland unmenschlich. "Wir brauchen ein stärkeres Miteinander", fordert der Mediziner.

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