Sarah Stein

Head of Search Experience, SWR, Mainz

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Kein "Baci, Baci" an der Adria

Wir dürfen wieder in unser Lieblingsurlaubsland Italien fahren! Aber auf Partys am Strand und Gedränge in der Aperitivo-Bar müssen wir in diesem Jahr verzichten. Wird es ein ruhiger Sommer? Es wird anders, berichtet uns Anna-Maria Vaccaro aus ihrem Heimatland.

Anfang Juni war Anna-Maria Vaccaro aus dem Norden des Saarlandes eine der ersten, die die Grenze in der Schweiz nach Italien passierte. Die Sehnsucht nach ihrem Heimatland war groß. Die Autobahnen waren ungewohnt frei bis nach Mailand, von dort ging es entspannt über Bologna und Rimini weiter entlang der Adria in den Süden der mittel-italienischen Region Marken.

Gelbe Sonnenblumenfelder, üppige Olivenhaine und kleine mittelalterliche Dörfer, die wie Schwalbennester auf den sanften Hügeln sitzen, prägen das ländliche Bild der Marken im Landesinneren. Ein schöner Kontrast dazu: die blaue Küste der Adria mit Starndbars und Restaurants und pulsierenden Städten wie San Benetto del Tronto. Der Reiseführer Lonely Planet hat die Marken zu den 10 Orten weltweit gekürt, die man im Jahr 2020 gesehen haben muss.

Doch dann kam alles anders. In den Marken gibt es bislang knapp 7.000 gemeldete Corona-Fälle, etwas mehr als 1000 Menschen starben hier an den Folgen von Covid-19.

Die Strände sind ungewohnt leer

Am Strand von Cupra-Marittima ist in diesem Jahr daher auch alles anders, berichtet Anna-Maria Vaccaro. In normalen Jahren ist der Juni schon Teil der Hochsaison. Jetzt sind die Strände leer.

Pietro Prichiò (42) ist Koch und Besitzer des Chalet "Alta Marea" in Cupra-Marittima. „Von meinen 180 Sonnenschirmen darf ich in diesem Jahr nur die Hälfte aufstellen, zwischen den Liegen muss ein Abstand von 1,50 Meter eingehalten werden. Ich habe also nur halb so viele Einnahmen." Dennoch habe Prichiò die Preise für zwei Liegen und einen Sonnenschirm - un ombrellone - nicht erhöht. 10 Euro wie im Vorjahr zahlt man dafür bei ihm für einen Tag.

„Die Italiener, die hier vor allem Urlaub machen, sind so von der Krise gebeutelt, Preiserhöhungen bringen niemandem was", sagt Prichiò. Auch die Anzahl der Plätze in seinem Fischrestaurant habe er halbieren müssen. Damit er hier einigermaßen auf seine Kosten kommt, hat er jetzt zwei Schichten eingeführt, in welchen man zum Essen kommen kann. Zum Pranzo, dem Mittagessen, ist das zwischen 12 Uhr und 13.30 Uhr und zwischen 13.30 Uhr und 15 Uhr. Aber die Italiener sind noch verhalten, man geht im Moment viel seltener essen. „Alle haben Angst, das merkt man", sagt Prichiò: "Alle tragen Masken, alle halten Abstand."

Corona verändert die Baci-Kultur

Einen Ort weiter in Grottammare steht Piermarino im Chalet "Sottocoperta" an der Anmeldung. Wer sich hier am Strand einen Schirm und zwei Liegen leihen möchte, muss erst seine Daten hinterlassen. Name, Adresse, Geburtstag und Geburtsort. Auf der Terrasse des Restaurant markieren schwarze-gelbe Klebestreifen den notwendigen Abstand von 1,50 Meter. Die Speisekarte ist digital und kontaktlos über einen QR-Code aufrufbar.

Corona hat auch in Italien die Digitalisierung sichtbar vorangetrieben, aber auch die Baci-Kultur zurückgedrängt: Küsse und Handschlag sind tabu, berichtet Anna-Maria Vaccaro. Man begrüßt sich außerhalb der Familie nun mit dem Ellenbogen.

Masken und Abstand halten - überall

Und man trägt überall Masken. Auf den Straßen in den kleinen ländlichen Dörfern in den Marken sieht man die Menschen überall maskiert - niemand verlässt das Haus ohne seine Maske. Zu tief sitzen die Erinnerungen an die kaum vergangene Zeit, als Italien der Hotspot der weltweiten Coronapandemie gewesen ist. So steht man also mit Masken vor Lebensmittelläden in der Schlange, vor Banken und auch vor Mode-Geschäften.

Auch im Schönheitssalon "Beauty Concept - Istituto di Bellezza" in Cupra Marittima. Besitzerin Cecilia begrüßt sonst ihre Kundinnen herzlich mit Umarmungen und Küsschen, jetzt steht sie mit weißer Maske neben der Flasche mit Desinfektionsmitteln an ihrer Theke. Mehr als drei Monate war ihr Geschäft geschlossen. Wer keine Ersparnisse hatte, der hatte wirklich Probleme in der Krise, erzählt sie Anna-Maria Vaccaro. Sie sei froh, dass es nun weitergehen kann, dass ihr Familie gut durch den Lockdown gekommen sei und dass ihre Eltern, die in Rom leben und oft in die Marken kommen, gesund seien. Angst vor einem zweiten Lockdown haben hier in den Marken viele.

Auch Chalet-Besitzer Pietro Prichiò ist besorgt.

Erst vor wenigen Tagen haben 10 junge Marchiciani, wie man die Menschen aus den Marken nennt, einen Geburtstag in seinem Restaurant gefeiert. Wegen der strengen Corona-Regeln in Italien dürfen Personen aus verschiedenen Haushalten nur mit einem Abstand von einem Meter um einen Tisch herum sitzen. Nach einem Glas Vino waren die Abstandsregeln passé.

„Es sind die jungen Menschen in Italien, die jetzt wieder feiern wollen und die Lockerungen und die Gefahren, die damit verbunden sind, unterschätzen", sagt Prichiò.

Un' estate Italiana (ein italienischer Sommer) wird in diesem Jahr für alle ein anderer.

Anna-Maria Vaccaro ist die Mutter unserer SWR-Redakteurin Sarah Stein. Anna-Maria Vaccaro wurde 1955 auf Sizilien geboren. Ihre Eltern kamen als Gastarbeiter Ende der 1950er Jahre nach Deutschland und sind hier geblieben. Anna-Maria hat ihre italienische Staatsangehörigkeit nie aufgegeben. Sie lebt heute in beiden Ländern und in beiden Kulturen.

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