Sandra Weiss

Lateinamerika Reporterin, Puebla-Mexiko

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Artikel

Geschäfte im Schatten des Todes

Kolumbiens Gangsterkapitalismus mit deutscher Finanzierung
Reportage aus Buenaventura
Buenaventura. Vor der Holzhütte von Benancio Rentería und Ana Rosa Nosquera zieht der Fortschritt vorüber: Enorme Containerschiffe, so gross wie Häuserblocks. Sie bringen Autos aus Korea, Kleider aus Taiwan, Spielzeug aus China. Eineinhalb Kilometer weiter, im Hafen von Buenaventura, wird alles von grossen Kränen abgeladen. Tag und Nacht, 24 Stunden. Der Welthandel schläft nicht. Zwölf Millionen Tonnen Güter jährlich werden im grössten kolumbianischen Pazifikhafen umgeschlagen. 43 Prozent des gesamten kolumbianischen Handels. Und es soll noch viel mehr werden. Asien boomt, Kolumbien auch. Der Handel hat sich vervielfacht. Für zehn Container importierten Nippes aus Asien schickt Kolumbien drei Container Blumen, tropische Früchte, Kaffee und Zucker. Das hat Zukunft, meinen Investoren. Die Spanier haben bereits mit Finanzierung der West-LB einen Container- und Logistikumschlagplatz gebaut, der nun ausgebaut werden soll; weitere Geschäftsleute wollen in den nächsten Jahren 700 Millionen Dollar ausgeben.
Und dabei stören Benancio und Ana Rosa. „Neulich kamen junge Leute vorbei und haben Zettel ausgeteilt, auf denen steht, dass wir hier weg müssen“, erzählt der 76jährige. Doch die beiden Alten wollen bleiben. 30 Jahre leben sie schon am Ufer in ihrer selbstgebauten Pfahlhütte aus Holz. Nicht, dass es hier besonders luxuriös wäre. Der Strom ist illegal abgezweigt, das Abwasser geht ins Meer, sauberes Trinkwasser müssen sie kaufen. Einen ordentlichen Besitztitel haben sie nicht. Aber sie fühlen sich wohl. Vor 30 Jahren kamen sie hier an, in einem schäbigen Boot, nur mit den Kleidern auf dem Leib und einer zerschundenen Seele. Auf der Flucht vor den Todesschwadronen, die in ihr Heimatdorf eingefallen waren, um vermeintliche Guerilla-Sympathisanten zu jagen und sich das Land der Vertriebenen unter den Nagel zu reissen. Fast alle in Bajamar, dem Ufergebiet von Buenaventura, sind Bürgekriegsflüchtlinge wie Benancio und Ana Rosa, fast alle mussten hier von vorne anfangen, manche zum zweiten oder dritten Mal. Und jetzt sollen sie wieder weg.
Das Stadtbild bietet einen krassen Gegensatz zum hypermodernen Hafen: Eine Ansammlung heruntergekommener Häuser, von denen der Putz abblättert und deren Wellblechdächer vor sich hinrosten. Von vergänglichem Wohlstand zeugen einige von Feuchtigkeit und Salz zerfressene Betonbauten, vor allem Kasinos, Bordelle, Banken und Hotels. Es gibt 65% Arme und 63% Arbeitslose, die Hälfte der Bewohner hat kein fliessend Wasser, die Hälfte der Kinder bricht die Schule ab, die Lebenserwartung liegt bei 51 Jahren. Über das Meer und die verschlungenen Flussmündungen und Mangroven wird rund ein Drittel des kolumbianischen Kokains gen Norden geschmuggelt. Wenn es dunkel wird, erfüllt ohrenbetäubende, tropische Musik die schummrige Innenstadt. Leichtbekleidete Mädchen flirten mit halbstarken Jungs auf Motorrädern, unter manchem Hosenbund zeichnet sich eine Pistole ab. Auf den Gehsteigen mischen sich Betrunkene mit Bettlern und Sozialhilfeempfängern, die schon am Vorabend Schlange stehen vor der staatlichen Bank, um am nächsten Morgen unter den ersten zu sein, die ihre paar Pesos abholen können.
Nachts wird es gefährlich in Buenaventura. Dann fliegen die Kugeln, und es gibt immer einen Grund zu sterben. Weil sich gerade zwei Drogenbanden um ein Viertel streiten, weil die Guerilla den Paramilitärs die Vorherrschaft streitig machen will, weil ein Drogenboss mit einem Politiker oder einem betrügerischen Strohmann ein paar Rechnungen offen hat. Bis zu 400 Tote gibt es pro Jahr in einer Stadt von 350.000 Einwohnern. In letzter Zeit sterben besonders viele in den Vierteln von Bajamar, in denen die Bauvorhaben geplant sind. Oder sie verschwinden spurlos. Aktivisten, Menschenrechtler, aber auch normale Jugendliche, Alte oder Männer – so wie der Sohn von Benancio und Ana Rosa, der vor vier Jahren ermordet wurde. Bis die Leute in Bajamar verkaufen - zu Spottpreisen, einer nach dem anderen. An die Chefs ihrer Peiniger. Die dann fürs doppelte oder dreifache weiterverkaufen – an die Mittelsmänner der Investoren. Geschäfte mit der Gewalt. Das kolumbianische Modell des Gangsterkapitalismus. Ihm sind die Menschen schutzlos ausgeliefert. Die Verstrickungen zwischen Polizei, Stadtverwaltung, Drogenmafia und Paramilitärs sind undurchsichtig, aber effektiv. Keiner der Morde wurde je aufgeklärt. Neulich setzte eine mutige Sonderstaatsanwältin den Bürgermeister kurzerhand wegen Korruption ab. Daraufhin explodierte eine Bombe vor ihrem Büro. Das ausgebrannte schwarze Skelett des Gebäudes steht wie ein Mahnmal an der Ecke schräg hinter dem Rathaus. Die Staatsanwältin wurde versetzt.
Im Rathaus amtiert nun ad interim Jaime Murillo. Es ist ein mehrstöckiger Glas- und Betonbau, dem das feuchte Meerklima nicht bekommt. Ab und zu brechen ohne Vorwarnung Glasbrocken aus den Fenstern und zersplittern auf dem Gehsteig mit lautem Klirren in tausend Stücke. Das stört Murillo nicht wirklich: „Wir machen aus Buenaventura ein internationales Handelszentrum“, schwärmt er. „So kommt endlich der Fortschritt!“ Dabei wäre Geld für öffentliche Investitionen schon länger da. Zumindest theoretisch. Die Stadt hält 15 Prozent Anteil an der Hafengesellschaft, einem ehemaligen Staatsunternehmen, das in den 90er privatisiert wurde. Von den einst 10.000 Arbeitsplätzen sind 6000 übriggeblieben, ohne Anspruch auf Sozialleistungen, ausgelagert an Zeitarbeitsfirmen - die Gewerkschaft wurde damals gleich mit entsorgt. Dafür ist die Hafengesellschaft nun ein rentables Unternehmen, das für Aktionäre und Teilhaber eine gute Rendite abwirft.
Aber die Investoren wollen mehr: der Kanal soll ausgebaggert werden von acht auf 12 Meter Tiefe, damit künftig auch die Supertanker der Post-Panamax-Klasse anlegen können. Eine Strandpromenade, ein neues Logistikzentrum, ein weiteres Hafenterminal sind in Planung. Platz wird gebraucht, für die Container und Lastwagen, viel Platz. Rund 4000 Menschen sollen deshalb weichen und umgesiedelt werden, 25 Kilometer landeinwärts. Dort steht bereits ein einsames Pilothaus, ohne Strom- und Wasseranschluss. “Was sollen wir dort?” fragt sich Gilberto, ein junger Menschenrechtspromotor, der mit Unterstützung von Misereor ausgebildet wurde. “Wir sind in Bajamar geboren, haben das Meer und den Wind. Jeder kennt jeden, und die Menschen helfen einander. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das nach der Umsiedlung so bleibt. “

Gilberto hat nichts gegen den Fortschritt. Er selbst ist Computertechniker und einer der wenigen aus dem Viertel, die einen sozialen Aufstieg geschafft haben. Selbstbewusst hat er damals das schnelle Geld für Handlangerdienste für die Guerilla abgelehnt und sich stattdessen mit Knochenarbeit eine Ausbildung an einer Abendschule finanziert. „Fortschritt ist gut, aber wir Menschen dürfen davon nicht ausgeschlossen werden“, sagt er. Unterstützt von Menschenrechtsorganisationen und der Kirche haben die Anwohner unter Berufung auf die Verfassung gerichtlich erstritten, dass sie befragt werden müssen, bevor weiter gebaut wird. Und sie haben ein alternatives Modell vorgelegt, das ohne Umsiedlungen auskommt und den Anwohnern Arbeitsplätze als Händler und Restaurantsbetreiber bietet.
Wie und in welcher Form die Bevölkerung befragt und beteiligt werden soll, ist freilich nirgendwo genau festgelegt. Interims-Bürgermeister Murillo hat deshalb sein eigenes Schema entworfen:„Wir haben die Stadtteilvertreter bereits befragt, und es gibt keine grösseren Einwände.“ „Sie wurden gekauft, vermutet Pfarrer Adriel Ruiz. Der mutige Gottesmann kämpft an der Seite der Bevölkerung für eine ordentliche Volksbefragung und prangert immer wieder Morde und Menschenrechtsverletzungen an. Seine kleine Kirche im Stadtteil Lleras ist Versammlungsort und Anlaufstelle für alle, die wie Gilberto für ihre Rechte kämpfen. Mehrfach hat der von Misereor unterstützte Pfarrer schon Morddrohungen erhalten. Dass die Paramilitärs hinter den Drohungen stecken, ist Padre Adriel klar. Doch wer kann das schon beweisen, und die Gerichte der Hauptstadt Bogotá sind weit weg. Nur dreimal in der Woche geht ein Flieger, und die einzige Verbindungsstrasse ist wegen Erdrutschen oft unterbrochen. Doch Padre Adriel ist niemand, der sich einschüchtern lässt. Mit Gilberto und den anderen Menschenrechtspromotoren geht er weiterhin von Haus zu Haus, klärt die Menschen auf, stärkt ihr Selbstbewusstsein. “Wir wollen, dass die Bevölkerung gut vorbereitet in die Verhandlungen geht. Denn bisher machen die Betreiber, was sie wollen. Und das ist nicht fair. Alle Menschen sollen gleichermassen eine Chance bekommen, am Fortschritt teilzuhaben”, fordert Gilberto.