Sandra Weber

Freie Journalistin, Stuttgart/Mexiko-Stadt

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Korruptionswelle in Mexiko: Tut die Regierung genug im Anti-Korruptionskampf?

Mexiko-Stadt, 29. November 2016 – Mehr und mehr mexikanische Gouverneure sind in Korruptionsskandale verwickelt. Dass die mexikanische Regierung ernsthaft gegen Korruption vorgeht, wird von Menschenrechtlern, Oppositionspolitikern und Politologen bezweifelt. Denn wenn die PRI ihre Politiker einsperrt – was bleibt dann noch übrig von der Regierungspartei?

Von Sandra Weber

Es ist keine Neuigkeit, dass Politiker in Mexiko bisweilen kräftig mitmischen bei Korruptionsdelikten wie Geldwäsche, Veruntreuung öffentlicher Gelder, Bestechung oder auch dem organisierten Verbrechen. In den letzten Monaten mehren sich die Meldungen über Gouverneure mexikanischer Bundesstaaten, die in Korruptionsskandale verwickelt sind. 

Von korrupten Gouverneuren regiert und in Mitleidenschaft gezogen wurden in den letzten Jahren vor allem die Bundesstaaten Veracruz, Quintana Roo, Chihuahua, Durango, Tamaulipas, Nuevo Léon, Sonora und Coahuila. Während sich ihre Regierenden bereichert haben, sind die Schulden in diesen Bundesstaaten zusammen um 186,5 Milliarden Pesos (rund 8,5 Mrd Euro) angewachsen, wie das mexikanische Finanzministerium mitteilte. Zwei der angeblich in Korruption verwickelten Politiker gehören der christlich-konservativen Partido Acción Nacional (PAN) an, acht der regierenden Partido Revolucionario Institucional (PRI), die sich selbst als sozialdemokratisch bezeichnet. 

Der Anti-Korruptionskampf der Regierung Enrique Peña Nieto steht schon länger in der Kritik. Die mexikanischen Politologen José Antonio Crepo, Ivonne Acuña und Salvador Mora konstatierten kürzlich, korrupte Politiker der Regierungspartei würden nur im Ausnahmefall einer angemessenen Strafverfolgung unterzogen. Unternehme die PRI ernsthafte Anstrengungen zur Bekämpfung der Korruption, würde die Partei aufhören zu existieren, so die These der Wissenschaftler. Für viele Parteimitglieder sei Korruption eine gängige Praxis, denn Straflosigkeit sei weit verbreitet.

Weiter behaupten die Wissenschaftler, bei den Versuchen, den flüchtigen Ex-Gouverneur von Veracruz, Javier Duarte, dingfest zu machen, handele es sich lediglich um Ablenkungsmanöver. Damit wolle die mexikanische Regierung verloren gegangene Glaubwürdigkeit im Anti-Korruptionskampf wiederherstellen. Duarte sei von der Regierung zum Sündenbock gemacht worden, um von der weitgehenden Tatenlosigkeit der Regierung im Anti-Korruptionskampf abzulenken. 

In den Bundesstaaten Tabasco, Sonora, Veracruz, Quintana Roo und Chihuahua spielten sich die wohl spektakulärsten Fälle von Korruption auf höchster Regierungsebene ab.

Andrés Granier Melo, Ex-Gouverneur von Tabasco, PRI

Einer der wenigen Inhaftierten ist Andrés Granier Melo, der seit 2013 im Gefängnis sitzt. Die US-amerikanische Zeitung Forbes bezeichnete ihn im selben Jahr als „einer der zehn korruptesten Menschen in Mexiko“. Tabasco, das er von 2007 bis 2012 regierte, hatte er derart ausbluten lassen, dass am Ende seiner Amtszeit den Krankenhäusern die Medikamente fehlten und den Ruheständlern ihre Renten nicht mehr ausgezahlt werden konnte.

Guillermo Padrés Elías, Ex-Gouverneur von Sonora, PAN

Der PAN-Politiker wurde erst kürzlich wegen Geldwäsche und Steuerbetrugs hinter Gitter gebracht. Auch Verstrickungen ins organisierten Verbrechen werden ihm und seinem Sohn vorgeworfen. Als Padrés im Jahre 2009 die Regierung Sonoras übernahm, beliefen sich die Schulden des Bundesstaates auf 11,3 Milliarden Pesos (rund 540 Millionen Euro), als er 2015 ging, hatten sie sich auf 22,8 Milliarden Pesos (rund 1,1 Milliarden Euro) verdoppelt.

Javier Duarte de Ochoa, Ex-Gouverneur von Veracruz, PRI

Javier Duarte wird der Geldwäsche und des organisierten Verbrechens beschuldigt. Die PRI schloss ihn am 25. Oktober aus der Partei aus, ein Strafbefehl gegen ihn wurde erlassen. Momentan auf der Flucht, konnte er der mexikanischen Generalstaatsanwaltschaft entkommen. Auch mit der hohen Zahl an ermordeten und verschwundenen Journalisten im Bundestaat Veracruz wird er in Verbindung gebracht - die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ nahm Veracruz in die „Top Ten“ der zehn gefährlichsten Orte für Journalisten auf. Während Duartes Amtszeit vergrößerten sich die Schulden des Bundesstaats Veracruz von 21,5 Milliarden Pesos (rund 980 Millionen Euro) im Jahre 2010 auf 45,8 Milliarden Pesos (rund 2,1 Milliarden Euro) zum Zeitpunkt seines Rücktritts im Oktober 2016.

Roberto Borge Angulo, Ex-Gouverneur von Quintana Roo, PRI

Gegen den PRI-Politiker liegt eine Anzeige der Generalstaatsanwaltschaft wegen der unrechtmäßigen Veräußerung eines 9500 Hektar großen touristischen Gebietes vor. Fremde Grundstücke soll er geplündert und Immobilienfirmen übergeben haben. Die Verschuldung des Bundesstaates Quintana Roo stieg unter ihm von 10 Milliarden Pesos (rund 455 Millionen Euro) im Jahre 2011 auf 22,4 Milliarden Pesos (rund 1,2 Milliarden Euro) im Jahre 2016.

César Duarte Jáquez, Ex-Gouverneur von Chihuahua, PRI

Der Ex-Gouverneur von Chihuahua ist unter anderem wegen Unterschlagung, illegaler Bereicherung und missbräuchlicher Ausübung seines Amts angezeigt. Es liegt jedoch kein Haftbefehl gegen ihn vor. Unter ihm stieg die Verschuldung des Staates Chihuahua von 12,5 Milliarden Pesos (rund 569 Millionen Euro) auf 55 Milliarden Pesos (rund 2,5 Milliarden Euro). Das Geld, das er bei seinem Amtsrücktritt im Oktober 2016 hinterließ, reichte noch nicht einmal mehr, um das Benzin für die Polizeiautos zu bezahlen. 

Ähnlich verhält es sich mit Jorge Herrera Caldera, Ex-Gouverneur von Durango, Egidio Torre Cantú, Ex-Gouverneur von Tamaulipas, Rodrigo Medina de la Cruz, Ex-Gouverneur von Nuevo León und Humberto Moreira Valdés, Ex-Gouverneur von Coahuila – allesamt gehören sie der PRI an, alle haben sie Gelder veruntreut, Gelder gewaschen, Steuerbetrug begangen oder waren ins organisierte Verbrechen verwickelt. In allen vier Bundesstaaten sind die Schulden während ihrer Amtszeit immens gestiegen – und alle scheinen sie glimpflich davon zu kommen. Bisher jedenfalls wurden sie ihrer Verbrechen noch nicht angemessen strafrechtlich belangt.

Wie erst kürzlich bekannt wurde, laufen seit einigen Wochen Ermittlungen gegen verschiedene PAN-Politiker: Francisco Domínguez, Gouverneur von Querétaro, Miguel Márquez, Gouverneur von Guanajuato, Emilio González Márquez, Ex-Gouverneur von Jalisco sowie Francisco Vega de Lamadrid, seit 2013 Gouverneur des Bundesstaates Baja California – allen wird Korruption vorgeworfen. Gegen Vega ermittelt die Bundesregierung wegen angeblicher illegaler Bereicherung. Es besitzt mehrere Luxus-Grundstücke. Es scheint, der Anti-Korruptionskampf der mexikanischen Regierung würde auf Angehörige anderer Parteien strenger angewendet als auf PRI-Mitglieder.

Menschenrechtler, Oppositionspolitiker und Politologen fordern mehr Engagement der Regierung Peña Nieto im Anti-Korruptionskampf. „Wir sind uns darüber einig, dass der Kampf gegen die Korruption und die Eindämmung der Straflosigkeit nicht mit der Inhaftierung des einen oder anderen Ex-Gouverneurs beendet ist; das Wichtigste einer Anti-Korruptionspolitik muss sein, dem Vaterland das zurückzugeben, was ihm weggenommen worden ist“, so Javier Corral Jurado, Gouverneur von Chihuahua und PAN-Politiker. Jeder Korruptionsfall solle, ohne Ausnahme und konsequent verfolgt werden.

Auch Salvador Mora Velázquez, Politololge an der Fakultät für Politik- und Sozialwissenschaften an der Autonomen Nationalen Universität von Mexiko (UNAM), kritisiert Peña Nieto: Wenn der Präsident der Republik sagt, dass niemand völlig frei ist von Korruption, sendet er eine unangemessene Botschaft zugunsten der Straflosigkeit aus." 

Dass Javier Duarte flüchten konnte, ist äußerst blamabel für die mexikanische Regierung, dass er noch nicht gefasst wurde, ebenso – oder Absicht, wie der mexikanische Priester und Menschenrechtler Alejandro Solalinde meint. Er hatte den Behörden gemeldet, dass Duarte sich auf seiner Ranch in Chiapas befände. Daraufhin nahm die Generalstaatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung vor, fand Duarte jedoch nicht vor – was nicht heißen muss, er sei nicht dagewesen, so Solalinde: „Die Behörden wissen, wo Duarte steckt.“