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Wieder jüdischer Militärseelsorger: "Ein Zeichen gegen Antisemitismus"

Zsolt Balla wird der erste Militärrabbiner in der Geschichte der Bundeswehr sein. In der Leipziger Synagoge wird er ins Amt eingeführt. Neun weitere orthodoxe und liberale Militärrabbiner sollen ihm folgen. WDR-Religionsredakteur Gerald Beyrodt ordnet ein.


WDR: Der Präsident des Zentralrats der Juden spricht von "einem neuen Kapitel", das aufgeschlagen wird. Wie historisch ist diese Amtseinführung?

Beyrodt: Das muss sich erst noch zeigen. Die reine Amtseinführung sagt noch nicht so viel darüber aus, wie stark die Rabbiner mit ihren Aufgaben bald in die Bundeswehr hineinwirken werden. Das wird sich auch daran zeigen, wie groß das Bedürfnis nach Seelsorge bei den etwa 300 jüdischen Soldatinnen und Soldaten sein wird. Aus den jüdischen Gemeinden heraus habe ich aber gerade noch den Eindruck, dass es weitaus dringendere Aufgaben gibt, als Militärrabbiner einzusetzen. Synagogen zum Beispiel müssen besser geschützt werden!


WDR: Was soll ein Militärrabbiner in der Bundeswehr genau machen?

Beyrodt: Einmal die klassische Seelsorge - für Soldatinnen und Soldaten ein offenes Ohr haben. Im Dienst können Menschen sterben, und zum Beispiel bei Fragen der Beerdigung können diese Rabbiner sehr wichtig sein. Aber es wird auch um alltäglichere Fragen gehen - zum Beispiel, wie der Dienst mit den jüdischen Traditionen vereinbart werden kann, ob in den Kantinen koscheres Essen angeboten wird. Oder auch Gebetspraktiken. Außerdem werden sie im "Lebenskundlichen Unterricht" lehren. Der ist Pflicht für alle Soldaten.


WDR: Warum gab es bisher keine jüdischen Seelsorger beim Militär?

Beyrodt: Die letzten deutschen Militärrabbiner gab es im Ersten Weltkrieg. Da waren knapp 100.000 Juden für Deutschland im Krieg. Unter anderem durch die Dolchstoßlegende wurden sie dann aber auch für den verlorenen Krieg verantwortlich gemacht. Über den Zweiten Weltkrieg müssen wir nicht sprechen. In der Nachkriegszeit gab es winzige jüdische Gemeinden in Deutschland, und in vielen dieser Gemeinden ist das Vertrauen in den Staat bis heute recht begrenzt. Gerade bei einer Institution wie der Bundeswehr schwingt sicherlich auch die dringende Bitte mit, dieses Vertrauen wieder aufzubauen und etwas gegen Antisemitismus zu tun.


WDR: Diese Amtseinführung kommt ja in einer Zeit, da der Bundeswehr rechtsextreme Tendenzen im Inneren vorgeworfen werden. Welches Signal geht davon aus?

Beyrodt: Wenn es jetzt einen Militärrabbiner gibt, dann heißt das auch, dass innerhalb der Bundeswehr eine entsprechende Infrastruktur geschaffen wird - zum Beispiel für Soldatinnen und Soldaten, die Erfahrung mit Diskriminierung machen. Es ist jetzt ein fester Ansprechpartner da. Daher ist das schon ein Zeichen gegen Antisemitismus. Ein Militärrabbiner kann ja schon aufklären, wie zum Beispiel Traditionen im Judentum aussehen. In die Bundeswehr hinein, aber auch in die gesamte Gesellschaft.

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