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Frei - und bald besser versichert?

Arbeiten wann man will, wo man will und wie viel man will - die berufliche Selbstständigkeit klingt ein bisschen wie ein Traum. Kein Chef, Unabhängigkeit und größtmögliche Flexibilität. Doch die Freiheit hat auch ihre Schattenseiten.

Manche Selbstständige müssen um Aufträge kämpfen, bei vielen schwankt das Einkommen stark. Mit der Unabhängigkeit ist es auch nicht immer weit her, oft sagen die Auftraggeber, wo es langgeht. Um die teure Absicherung für Krankheit, Rente und Arbeitslosigkeit muss man sich selbst kümmern.

Im Alter pleite?

Im Krankheitsfall kann das heißen: nicht zum Arzt gehen oder selbst zahlen. Im Alter kann das bedeuten: Rente auf Hartz-IV-Niveau. Geht es nach der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, wird sich das bald ändern. Sie hat im Bundestag einen Antrag eingebracht, der die Situation der Selbstständigen verbessern soll. Er wurde am 10. November im Bundestag diskutiert (Erste Lesung) und zur weiteren Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen.

Was fordern die Grünen?

Die Grünen fordern die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der gesetzlich versicherte Selbständige bei den Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen entlastet. Außerdem sollen Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden, wenn sie nicht anders abgesichert sind. Und Selbständige, die sich freiwillig über die gesetzliche Arbeitslosenversicherung versichern, sollen geringere Beiträge zahlen.

Künstler und Übersetzer

Wer wäre von den neuen Regeln betroffen? Auf jeden Fall die über 1,3 Millionen Selbstständigen, die sogenannte "freie Berufe" ausüben. Freie Berufe sind zum Beispiel Ärzte, Journalisten, Übersetzer, Künstler, Architekten, Rechtsanwälte und noch ein paar andere. Wichtigstes Merkmal der freien Berufe ist: Sie basieren vor allem auf dem Einsatz von eigener Arbeit und nicht auf dem von Kapital.

Zu den Selbständigen zählen jedoch auch die Schneiderin, die ihr eigenes Mode-Atelier betreibt oder der Ein-Mann-Hausmeisterservice. Versicherungstechnisch haben sie unter Umständen die gleichen Probleme wie diejenigen, die freie Berufe ausüben.

Klempner und Software-Experten

Neben diesen Solo-Selbstständigen, die ihr Unternehmen alleine führen, gibt es auch Selbstständige, die Angestellte haben - zum Beispiel Inhaber einer Klempnerfirma, einer Auto-Werkstatt oder einer Software-Schmiede. Statistisch gesehen machen sich übrigens vor allem Hochschulabsolventen selbstständig, 17 Prozent tun das sogar direkt nach oder schon während des Studiums.

Seit Jahren steigt die Zahl der Selbstständigen in freien Berufen. Das bedeutet: Immer mehr Menschen müssen sich um ihre Sozialversicherungen selbst kümmern.

Krankenversicherung

In Deutschland besteht Krankenversicherungspflicht. Das heißt, dass sich alle Bürger mit nur wenigen Ausnahmen bei einer gesetzlichen oder privaten Krankenkasse versichern müssen. Die meisten Deutschen sind bei gesetzlichen Krankenkassen versichert. Die monatlichen Beiträge (knapp 16 Prozent des Einkommens) teilen sich bei Festangestellten Arbeitgeber und Arbeitnehmer etwa zur Hälfte. Selbstständige müssen die Summe alleine aufbringen. Außerdem wird bei ihnen unabhängig von ihren tatsächlichen Einkünften ein Mindesteinkommen vorausgesetzt - selbst wenn das tatsächlich mal niedriger ist.

Die Grünen fordern daher, dieses Mindesteinkommen für Selbstständige zu senken. Laut der Fraktion sind auch die Beitragsregelungen der privaten Krankenkassen für Selbstständige mit geringen Einkommen nicht besser.

Rentenversicherung

Anders als bei der Krankenversicherung müssen nicht alle Bürger eine Rentenversicherung abschließen, es gibt viele Ausnahmen. So kommt es, dass über die Hälfte der Solo-Selbstständigen nicht für das Alter vorsorgt, wie eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt.

Das kann nicht nur für sie persönlich von Nachteil sein. Wenn sie im Alter nicht genug Geld zum Leben haben, muss der Staat sie mit Steuergeldern unterstützen. Deshalb wollen die Grünen, dass alle Selbstständigen, die nicht anderweitig für das Alter vorsorgen, in die gesetzliche Rentenversicherung eingegliedert werden. Damit die Selbstständigen sich das leisten können, sollten sich den Grünen zufolge die Beiträge oberhalb des Mindestbeitrags, der derzeit bei gut 80 Euro pro Monat liegt, am jeweiligen Einkommen orientieren.

Außerdem schlagen die Abgeordneten vor, Zusatzzahlungen in guten Geschäftsmonaten zu erlauben, damit die Selbstständigen in schlechten Zeiten geringere Beiträge leisten können.

Arbeitslosenversicherung

Die Arbeitslosenversicherung ist für alle Selbstständigen freiwillig. Die meisten nehmen sie nicht in Anspruch. 2015 waren weniger als 100.000 Selbstständige arbeitslosenversichert. Damit hat sich die Zahl innerhalb von fünf Jahren mehr als halbiert. Ein Grund ist wahrscheinlich, dass sich die Versicherungskosten für Selbstständige seit einem neuen Gesetz von 2011 fast verfünffacht haben. Die Grünen fordern daher unter anderem, dass Selbstständige freiwillig nur die halben Beiträge zahlen. Das wären rund 40 Euro im Monat.

Warum jetzt handeln?

Eine bessere Absicherung für Selbstständige ist nach Ansicht der Grünen nötig, weil diese Arbeitsform immer üblicher wird. "Für die wirtschaftliche Dynamik in unserer Gesellschaft, für neue Ideen, für Wettbewerb und für das Entstehen neuer Arbeitsplätze ist es enorm wichtig, dass es immer wieder Menschen gibt, die den Schritt in die Selbständigkeit wagen", schreibt die Bundestagsfraktion in ihrem Antrag.

Offene Ohren

Bei den anderen Fraktionen stoßen die Grünen auf offene Ohren. Auch die Union will etwas ändern. "Es gibt einen dringenden sozialpolitischen Handlungsbedarf, um zu verhindern, dass immer mehr Selbstständige im Alter nichts haben und auf Grundsicherung angewiesen sind", sagte Peter Weiß in der Debatte.

Sabine Zimmermann von der Linksfraktion mahnte in Richtung CDU/CSU und SPD: "Bei den großen Risiken des Lebens wie Krankheit und Altersarmut lassen Sie die Selbstständigen im Stich; denn diese können sich nur sehr schwer dagegen absichern."

Michael Gerdes (SPD) zeigte sich optimistisch: "Liebe Kolleginnen und Kollegen, vieles von dem, was die Grünen im vorliegenden Antrag zu Papier gebracht haben, geht in die richtige Richtung". Er schloss mit den Worten: "Ich freue mich auf die weitergehenden Diskussionen."

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