Salomé Meier

Kulturjournalistin, Zürich

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Artikel

Iranisches Filmfestival - Düsternis im Lichttempel

Süddeutsche Zeitung, 16. Juli 2019

Das Filmfestival "Cinema Iran" gibt fünf Tage lang erhellende Einsichten in die bewegte Geschichte des Landes.

Als das Cinema Rex am 19. August 1978 in der iranischen Stadt Abadan in Flammen steht und 430 Menschen einschliesst, berühren sich Fiktion und Realität auf gespenstische Weise: Die Abschlussbilder des Films auf der Leinwand zeigen körnige Schwarz-Weiss-Aufnahmen eines brennenden Hauses. Verantwortlich für das Feuer und den Tod der beiden Protagonisten in dem Sozialdrama "Gavanzha" (Hirsche) ist der Staat, der die beiden politischen Aktivisten von Polizisten erschiessen und deren Haus in Brand setzen lässt.
Die Furcht vor Widerständigen auf Seiten der Machthaber wird zur unheilvollen Mise en abyme, zur Scharnierstelle zwischen Film und Wirklichkeit, denn der reale Anschlag, so wird bald deutlich, ist einer von mehr als 130 Brandanschlägen auf Kinos in ganz Iran. Das Datum des 19. August ist nicht zufällig gewählt, sondern markiert den 25. Jahrestag des Sturzes von Mohammad Mossadegh und die Spekulationen, die in Folge mal den Monarchen Mohammad Reza Schah, mal den religiösen Führer Ruhollah Musawi Chomeini beschuldigen, überschlagen sich. Tatsache ist, dass der Brand im Cinema Rex einen Wendepunkt in der Iranischen Revolution skizziert und die Zerstörung des modernen Lichtspielhauses zum Symbol der Kulturrevolution erhebt. 
Von eben jener bewegten Zeit, die vor rund 40 Jahren die iranischen Hoffnungen auf eine Demokratie grundlegend erschütterte, erzählte beim fünften iranischen Filmfestival "Cinema Iran" die Theater- und Kulturwissenschaftlerin Maryam Palizban. Und sie schilderte ebenso, wie sich diese Zeit auf Form und die Inhalte iranischer Filme auswirkte. "Ende der Siebzigerjahre prägte ein Bild die Innenstädte: Die Menschen gingen zwar zu den Kinos, tummelten sich aber nur bei den Eingängen und schauten die Filmplakate an. Das Kino tatsächlich zu betreten, trauten sie sich nicht.", sagt Palizban. Beim fünften "Cinema Iran", das Silvia Bauer unter das Motto "Halbvergessene Erinnerungen" stellte, waren im Gasteig neun iranische Filme zu sehen, die sich in Komödien, Dramen, Dokumentar- und Essayfilmen der iranischen Geschichte widmeten. Ergänzt wurden diese durch verschiedene diskursive Beiträge, wie den Vortrag von Maryam Palizban. 
Aus künstlerischer Perspektive näherte sich der österreichische Fotograf Josef Polleros den Ruinen der modernen Unterhaltungstempel im Iran. Die Bilder der Ausstellung, die noch bis zum 27. Juli in der Stadtbibliothek im Gasteig zu sehen sind, zeigen wirkungsvoll die Folgen der Iranischen Revolution durch die dem Verfall überlassenen alten Kinos. Für die mit Khomeini 1979 an die Macht gekommenen Kleriker war das Feuer in den Kinos gleichbedeutend mit einem Reinigungsprozess, der die Bilder der Unzucht und Unheil fortan unter Zensur stellte und sie so aus dem öffentlichen Raum verbannen sollte. Doch die dystopisch wirkenden, leeren Hallen und Trümmer in Polleros' Fotografien stellen deren Verheerung in ihrer ganzen Destruktivität dar. 
Bis heute untersteht der Film im Iran einer engmaschigen Zensur und einige der Filme, mit denen iranische Filmschaffende hierzulande Preise gewinnen, sind in ihrer Heimat verboten. Die Zensur stellt iranische Filmschaffende immer wieder vor Darstellungsschwierigkeiten: "Ist es überhaupt möglich, den Privatraum Irans zu medialisieren, wenn Männer und Frauen sich nicht berühren dürfen?", fragte etwa Maryam Palizban in den Saal. Abhalten lassen sich die Filmschaffenden trotzdem nicht von ihrer Arbeit. Das Kino, das zwischen privatem und öffentlichem Raum vermittelt, wird in Iran zum komplexen Zwischenraum: So tragen die Frauen im Film zu Hause Hijab, obwohl sie diesen im echten Leben dort -  und nur dort - ablegen würden. 
Einen satirischen und wunderbar schwarz-humorigen Blickwinkel auf die iranische Filmgeschichte seit Ende der Siebzigerjahre nahm der Regisseur, Philosoph, Autor und Schauspieler Mani Hahighi in seiner Komödie "Khook" (Pig) ein, mit ihr wurde das Festival am Mittwochabend eröffnet. Darin geht in Teheran ein Serienkiller um, der es wortwörtlich auf die Köpfe der iranischen Filmschaffenden abgesehen hat: Er enthauptet sie. Warum, fragt sich da Regisseur Hasan Majuni, ist er dann selbst noch am Leben?
Das Festival fand in Kooperation mit der Münchner Stadtbibliothek statt. Diese bietet unter dem Label "Cinema International" regelmässig Filmveranstaltungen im Gasteig an, die so jenseits des kommerziellen Kinos eine Plattform bekommen sollen.   


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