Sabine Schlimm

Redakteurin, Texterin, Autorin, Hamburg

1 Abo und 1 Abonnent
Artikel

Grünkohl wiederentdeckt

Entspannt genießen unter ostfriesischen Palmen

Kale, Kale, Kale. Seit Jahren werden in den USA verzückte Loblieder auf ein grünes Superfood gesungen: Mehr Vitamin C als eine Zitrone! Gesunde Ballaststoffe! Krebsvorbeuger! Cholesterinsenker! Bei nordamerikanischen Healthfood-Jüngern kommt das Grünzeug von morgens (im Green Smoothie) bis abends (als Pesto zur Pasta) auf den Tisch.

Während die Welle des Hypes drüben schon wieder abebbt und Kale manche nur noch zum Gähnen reizt, scheint sie die Reise über den großen Teich hierher nicht so recht zu schaffen. Kale roh als Salat, kurz blanchiert, als Pesto, gewokkt, gebraten? Aber - „das ist doch Grünkohl!"

Da staunen die Norddeutschen, und die Süddeutschen wundern sich. Erstere kennen ihren Gröönkohl (oder Braunkohl) als ewig gekochte graugrüne Pampe, die im Grunde der Rechtfertigung für den Verzehr von Fleischbergen und ordentlich Schnaps dient. Letztere betrachten das Wintergemüse entweder als Viehfutter oder als Bestandteil seltsamer Riten, die Eingeborene der polarnahen Gebiete Deutschlands rund um den hemmungslosen Verzehr von Fleisch und Schnaps abhalten. Von einem Feinschmeckerthema ist der Grünkohl bei uns bisher weit entfernt.

Entsprechend gering ist das Interesse an der Frage, welche Geschmacksnuancen das Gemüse bietet - kein Wunder, dass im Großen und Ganzen nur noch eine einzige Sorte angebaut wird. Der Grüne Krause lässt sich hervorragend maschinell ernten, und die Bitterstoffe wurden ihm aus Rücksicht auf den Verbrauchergeschmack und die Bedürfnisse industrieller Verarbeitung weitgehend herausgezüchtet.

Bitter: der Verlust von Sortenvielfalt

Denn auch wenn in Norddeutschland traditionell der erste Frost als Beginn der Grünkohlsaison herbeigesehnt wird: Dass Temperaturen unter 0 °C im Kohl Bitterstoffe in Zucker umwandeln, ist ein Gerücht. Richtig ist: Fallen die Temperaturen unter 5 °C, schaltet die Kohlpflanze auf Winterruhe um. Sie hört auf, Bitterstoffe gegen ihre Fraßfeinde zu produzieren, baut die vorhandenen allerdings sukzessive ab. Was weitergeht, ist die Photosynthese in den grünen Blättern, bei der Fructose gebildet wird.

Im Lauf der winterlichen Erntesaison wird der Kohl also immer weniger bitter und immer süßlicher - was uns Menschen bekanntlich schmeckt.

(Fortsetzung: Link zum Originalartikel folgen)

Zum Original