Sabine Hebbelmann

Freie Journalistin, Sandhausen

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„Genauso habe ich es empfunden“

Wie schafft man es, möglichst wenig aufzufallen, wenn man als Einziger krauses Haar, eine dunkle Haut und dazu noch einen ungewöhnlichen Vornamen hat? Literaturkritiker Ijoma Mangold wuchs in den siebziger Jahren in Dossenheim auf. Seine Mutter stammt aus Schlesien. Sein Vater, ein Kinderchirurg aus Nigeria, kehrte nach einem Studienaufenthalt bald wieder nach Afrika zurück und gründete dort eine neue Familie.
In der proppenvollen Stadtbücherei in Walldorf las der Kulturkorrespondent der Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ aus seinem autobiographischen Roman ‚Das Deutsche Krokodil‘ und erzählte Anekdoten aus seiner Lebensgeschichte. Dass die „so einen guten Plot hat“ sei ihm erst beim Schreiben klar geworden.
In ebenso unterhaltsamer wie gewählter Ausdruckweise beschreibt der 48-jährige selbstironisch, wie sein kindliches Bedürfnis nach Normalität zusätzlich herausgefordert wurde durch eine Mutter, die „die einfachsten Standards nicht erfüllte“. Sie hatte keinen Ehemann, kein Auto, keinen Fernseher. Dafür nahm sie ihn mit in klassische Konzerte und zum Wandern in den Odenwald. Wenn sie beschwingt ‚Memories of Heidelberg‘ sang berührte ihn das ebenso peinlich wie der zur Schau gestellte Bildband mit den afrikanischen Masken oder das Krokodil aus Ebenholz auf dem Fenstersims im Wohnzimmer. Dass niemand in Dossenheim ihm sagen konnte, „wie man mit diesem Kraushaar umgehen soll“, machte die Lage nicht einfacher. Sein gestochenes Hochdeutsch habe er gesprochen in der Erwartung, „dass es danach keine Fragen mehr gibt“.

Für andere spielte sein exotisches Aussehen weniger eine Rolle, schon gar nicht im weltoffenen Heidelberg, wo er am Kurfürst-Friedrich-Gymnasium bald zu einer angesagten Clique gehörte. Hier habe sich die Schülerschaft zwar in einer „irrsinnigen Hackordnung“ ausgesprochen hierarchisch sortiert, aber weniger nach ethnischen denn nach sozialen Kriterien. Als Außenseiter fühlte er sich erst, als er einen Hang für Thomas Mann und Richard Wagner entwickelte und begann, Schubert und Bruckner zu hören.
Als er 22 Jahre alt war bekam Mangold plötzlich ein Kuvert aus Nigeria. Es sei Zeit für die ‚große Heimkehr‘, schrieb sein Vater, von dem er bis dato nie etwas gehört hatte, aus der Position des Patriarchen heraus. Er war der Chief seines Dorfes, besaß dort auch ein Krankenhaus und hatte sich auf der Suche nach einem Nachfolger an ihn erinnert. Dabei berief er sich ganz selbstverständlich auf die Blutsbande, die in Nigeria eine große Rolle spielen. „Das Blut meiner Mutter zählte dabei nicht“, sagt der Literaturkritiker. Sie und ihre Dreizimmerwohnung habe sein Vater als „so etwas wie ein sehr gutes Internat“ angesehen.
Mangold, der in München studierte, ließ sich zu einer zweimonatigen Reise nach Nigeria bewegen, als er erfuhr, dass sich sein Vater zur gleichen Zeit in Bochum einer Nierentransplantation unterziehen wollte. Noch vor der Abreise traf er ihn in der Bochumer Klinik, wo er gleich ein Kostüm anziehen sollte für ein gemeinsames Foto: Häuptling und Thronfolger. Wenn er nicht nach Nigeria ziehen wolle reiche es auch, einmal im Jahr zu kommen, kam ihm sein Vater entgegen In Nigeria lernte er seine große Verwandtschaft kennen und war teilweise mit unerwartetem Reichtum, aber auch mit Herausforderungen konfrontiert.
Dass sein Vater ihn nicht als Individuum, sondern lediglich als Position im Familienverband sah, störte den Sohn. „Er hat mich nicht einmal gefragt, wie die letzten 22 Jahre gewesen waren.“

Durch seine Buchveröffentlichung lernte er andere Afrodeutsche kennen und erfuhr, dass seine Biographie so ungewöhnlich gar nicht ist. Die Väter sind als Mediziner oder Ingenieure nach Deutschland gekommen und sind dann zurück nach Afrika gezogen. Gerade von ihnen habe er viel Zustimmung bekommen: „Genauso ist es, genauso habe ich es empfunden.“