Deutschlandfunk, 30.8.2014. - Der Terror Islamistischer Milizen droht den ganzen Nahen und Mittleren Osten zu destabilisieren. Das könnte Israel und sämtliche gemäßigten arabischen Kräfte zusammenbringen, meint die freie Journalistin Ruth Kinet in einem Kommentar für den DLF. Für taktische Spielchen sei keine Zeit mehr.
Als Mattia und seine Eltern am Flughafen Ben Gurion in die El-Al-Maschine Richtung Berlin einsteigen, ist es schwül. Es war ein ruhiger Tag in Tel Aviv, ein Tag ohne Luftalarm, ein Tag ohne Bunker, ein Tag ohne Panik. Mattia hatte nicht viele davon in den vergangenen Wochen. Er ist sieben Jahre alt, ein jüdisch-israelischer Junge, der sich am liebsten in Bücher über Astronomie vertieft und seine Fantasiewelt mit den Star-Wars-Charakteren Anakin Skywalker und Obi Wan Kenobi bevölkert. Die El-Al-Maschine startet planmäßig. Ein paar Stunden später ist Mattia in Berlin-Kreuzberg. Es ist dunkel, die Luft kalt, ein fremder großer Mann zeigt seinen Eltern die Ferienwohnung, in der er die nächsten zwei Wochen verbringen wird. Als der Mann geht, schmiegt Mattia sich an seine Mutter, seine Stimme bricht als er fragt: "Mama, bist Du sicher, dass wir hier sicher sind? Dass wir hier nicht sterben müssen?"
Nach sieben langen Wochen des Raketenbeschusses und der Bombardements haben Israel und die Hamas ihren Krieg mit einem Waffenstillstandsabkommen beendet. Die Führung der israelischen Armee hat ihre Antwort auf den anhaltenden Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen "Operation Schutzlinie" genannt. Aber der Krieg war kein chirurgischer Eingriff unter keimfreien Bedingungen. Menschen sind getötet und verletzt worden. Auch diejenigen, deren Körper unversehrt geblieben sind, haben Wunden davon getragen. So wie Mattia.
Der Nahe Osten ist eine aufgewühlte Gegend. Zu aufgewühlt für ein Sprechen über erlittene Traumata im Perfekt. Kaum ist der Waffenstillstand mit der Hamas unterzeichnet, nehmen syrische Rebellen 43 Blauhelmsoldaten auf den Golan-Höhen gefangen. Es heißt, sie kontrollierten jetzt Kuneitra, eine verminte und seit dem Ende des Yom-Kippur-Kriegs von 1974 zerstörte und verwaiste Stadt auf syrischem Boden direkt an der Grenze zu Israel.
Islamistische Terrormilizen gefährden die politische Ordnung im gesamten Nahen und Mittleren Osten. Das könnte Israel mit den Palästinensern unter Führung von Mahmud Abbas und sämtlichen gemäßigten arabischen Nachbarn in der Region von Marokko über Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien bis zu den arabischen Emiraten in einem gemeinsamen Interesse zusammenschmieden. Denn sie alle sind vom radikalen politischen Islamismus, von Isis, El Kaida und Muslimbrüdern in ihrer Existenz bedroht. Die Hamas hat sich längst als ein Teil dieses radikalen politischen Islamismus zu erkennen gegeben.
Israel bleibt jetzt keine Zeit mehr für taktische Spiele. Benjamin Netanjahu bietet sich die Chance, ein neues Bündnis und eine neue Ordnung im Nahen und Mittleren Osten zu stiften. Er muss sich lossagen von seinen rechtsnationalen Partnern und neue Allianzen wagen. Im Innern und nach außen. Wenn ihm das gelänge, könnten sich die Politiker in Jerusalem auch endlich einmal der langen Liste drängender innenpolitischer Probleme zuwenden: den überfüllten Grundschulklassen, den Fällen von Machtmissbrauch im orthodoxen Rabbinat und der wachsenden Armut. Die will so gar nicht zum Bild von der hochglanzpolierten Start-Up-Nation passen. Nach Erkenntnissen der OECD leben in Israel knapp 21 Prozent der Bevölkerung unter dem Existenzminimum, jedes dritte israelische Kind gilt als arm.
Eine Integration Israels in ein Bündnis mit gemäßigten arabischen Nachbarstaaten könnte regionalem Handel den Weg ebnen. Israel hat jetzt die historische Chance sich aus seiner Isolation in der Region zu befreien. Ein gemeinsamer Feind kann manchmal Gutes bewirken. Wenn er als solcher erkannt wird.