Dr. Ruth Kinet

Journalistin | Autorin | Moderatorin | Interkulturelle Trainerin

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Das Unternehmen Kongo

Leopold II. von Belgien

Die Zeit, Zeitläufte, Juni 1999 - Eine Kolonie ganz für sich allein: König Leopold II. von Belgien und sein turbokapitalistisches Abenteuer im Herzen Afrikas

Im Sommer 1876 belächelte der Chef des königlichbelgischen Kabinetts die afrikanischen Neigungen seines Dienstherrn noch. Afrika sei für den König der Belgier nur ein Spielzeug, das keinem weh tun werde, schrieb er. Leopold II., ein Verlierer im Poker um die Einflußsphären in Übersee. Bis ihm das Glück dann doch einmal hold war und er ein gigantisches Territorium gewann. Im Herzen Afrikas, am Reißbrett konstruiert, so groß wie Westeuropa.

Der königliche Spieler aus dem Hause Sachsen-Coburg agierte aus Passion. Seit seiner Jugend in den 1850er Jahren glaubte Leopold unerschütterlich an eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit, Absatzmärkte in Übersee zu erschließen. In seiner kolonialistischen Leidenschaft nahm er weltweit alle Territorien ins Visier, die verfügbar schienen. Als 26jähriger Herzog von Brabant schrieb der spätere König der Belgier 1861 kühn: "Eines Tages muß die belgische Flagge auf allen fünf Kontinenten wehen. Belgien muß die Hauptstadt des belgischen Imperiums werden, das sich mit Gottes Hilfe aus den pazifischen Inseln, Borneo, einigen Punkten in Afrika und Amerika und schließlich Teilen Chinas und Japans zusammensetzen wird." Erst 1875 erkannte er, daß weder die Spanier noch die Portugiesen, noch die Holländer bereit waren, ihm Gebiete zu verkaufen, und folgerte: "Ich werde mich diskret informieren, ob in Afrika nichts zu machen ist."

Mit einem pathetischen Credo eröffnete Leopold im September des darauffolgenden Jahres im Königlichen Palast der belgischen Hauptstadt ein dreitägiges Treffen sogenannter amis de l'humanité, Freunde der Menschheit. "Der Zivilisation den einzigen Erdteil zugänglich zu machen, in den sie noch nicht vorgedrungen ist, und die Finsternis zu durchdringen, die noch ganze Völker umhüllt, dies ist ein Kreuzzug, der unseres Jahrhunderts des Fortschritts würdig ist." Elegant verschleierte der Gastgeber gegenüber den Konferenzteilnehmern sein Gier nach Kolonien und äußerte nur den bescheidenen Wunsch, Brüssel möge "das Hauptquartier der zivilisatorischen Bewegung" werden.

Die Geographische Konferenz hob die Association Internationale Africaine, die Internationale Afrika-Vereinigung, aus der Taufe und erkor Leopold zu deren Präsidenten. Diese Vereinigung sollte künftig Unternehmungen zur "wissenschaftlichen Erforschung der unbekannten Teile Afrikas", zur "Zivilisierung des inneren Afrika" und zur "Unterdrückung des Sklavenhandels" koordinieren. Für den belgischen König war die Geographische Konferenz von Brüssel ein grandioser Triumph, das Fundament seiner späteren kolonialpolitischen Erfolge.

In weiten Teilen Europas nahm die Öffentlichkeit das Engagement Leopolds wohlwollend zur Kenntnis. Man kannte Seine Majestät fortan als selbstlosen Wohltäter, als einen, der seine Privatschatulle strapazierte, um "arme Wilde" vom Joch der Sklaverei zu befreien und den "dunklen Kontinent" mit dem "Licht der Zivilisation" zu erhellen. Dieser vordergründige Altruismus kam nicht zuletzt bei den durch und durch kolonialskeptischen Belgiern gut an. Die Bürger des trotz europaweiter Depression prosperierenden Landes hatten zwar keinerlei Interesse an Risikoinvestitionen in Übersee, begeisterten sich aber für das Vorhaben, die Segnungen westeuropäischer Kultur im "unzivilisierten Afrika" zu verbreiten. Dabei blieben ihnen die eigentlichen Absichten ihres abenteuerlustigen Königs aber im wesentlichen verborgen. Denn sein Engagement für die Erforschung der vermeintlichen Terra incognita im Herzen Afrikas und sein Bemühen um den Glorienschein des Philanthropen waren ihm lediglich Mittel zum Zweck. Es verwundert also kaum, daß die Internationale Afrika-Vereinigung weder in der Bekämpfung des Sklavenhandels noch in der Erforschung der weißen Flecken auf Europas Afrika-Karte durchschlagende Erfolge verzeichnen konnte. Schnell zur Briefkastenassoziation verkommen, markiert sie dennoch einen Meilenstein in der Geschichte der europäischen Expansion - das Debüt Leopolds auf der Bühne der Kolonialmächte.

Dabei war diese Vereinigung nur die erste von insgesamt drei Organisationen, unter deren Etikett der König seine Kolonialpolitik de facto im Alleingang verfolgte. Auf Initiative Leopolds konstituierte sich im November 1878 das Comité d'Études du Haut-Congo, das Komitee für die Erforschung des Oberen Kongo, das dank belgischer, niederländischer und britischer Subskriptionen mit einem für damalige Verhältnisse stattlichen Kapital von einer Million Belgischer Franc bestückt wurde. Das Geld sollte klug investiert werden: in den Giganten der Afrika-Forschung persönlich, den amerikanischen Journalisten Henry Morton Stanley.

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