Der hessische Ombudsmann Meinhard Korte rät Opfern von sexuellem Missbrauch unbedingt dazu, die Vorfälle zu melden.
Herr Korte, die Ombudsstelle für Fälle von Missbrauch in ärztlichen Behandlungen der Landesärztekammer Hessen ist die erste und bisher einzige ihrer Art. Warum wurde sie gegründet?2012 hat die Landesärztekammer Hessen die Berufsordnung um den Begriff der Abstinenz erweitert. Der Begriff der Abstinenz bedeutet, dass der Arzt oder die Ärztin auf die Befriedigung persönlicher Wünsche und Bedürfnisse im Rahmen der Arzt-Patienten-Beziehung verzichten muss. Die Idee bei der Einrichtung der Ombudsstelle war, Patient:innen eine Unterstützung bei Abstinenzverletzungen zu bieten.
Woran liegt es, dass es so etwas nicht auch in anderen Bundesländern gibt?Ein Grund dafür könnte die Vorstellung sein: Wenn wir keine Ombudsstelle haben, dann haben wir auch keine Missbrauchsfälle. Auch hier im Präsidium wurde damals die Frage laut: Warum brauchen wir das, wenn alle anderen das nicht haben? Die Sorge war, dass es dann heißen könnte: „Wenn die Hessen das machen, dann ist das Problem dort besonders groß." Unabhängig davon ist es aber ganz wichtig, dass die Ärztekammern das Problem von Missbrauch nicht verharmlosen und sagen: „Ach komm, so schlimm ist das doch nicht. Das hat es doch früher auch gegeben, da hat sich keiner drüber beschwert." Solche Aussagen können Sie heute noch hören. Dagegen muss man etwas tun.
Missbrauch in der Medizin: Oft geht es um Atmosphärisches Wo fängt Missbrauch im medizinischen Bereich Ihrer Einschätzung nach an?Das kann man nicht an einer bestimmten Verhaltensweise festmachen. Grundsätzlich gilt: Was zur ärztlichen Arbeit gehört und der Erfüllung des Auftrags dient und nicht bestimmt ist durch ein persönliches Bedürfnis des Arztes oder der Ärztin, ist in der Regel nicht übergriffig. Aber sobald etwas nicht mehr dieser Aufgabe und dem Behandlungsziel dient, liegt die Überschreitung der Grenze zum Missbrauch nahe. Das kann zum Beispiel der Gynäkologe sein, über den Patientinnen berichten, dass er bei einer Untersuchung seine Hand etwas zu lang an der Brust gelassen hat.
Wie gehen Sie vor, wenn sich eine betroffene Person an Sie wendet?In der Regel geht es bei denjenigen, die mich kontaktieren, nicht nur um eine einzelne Berührung, sondern um etwas Atmosphärisches; zum Beispiel wenn ein Arzt einer jungen Patientin in einer Situation, in der das nicht dazu gehört, Fragen zu ihrem Liebesleben stellt, oder ihr sogar Angebote macht, sich privat zu treffen. Ich höre den Patient:innen zu, lasse mir das Geschehene genau schildern. Wenn ich den Eindruck habe, dass es sich um eine Grenzverletzung oder einen Übergriff handelt, berate ich, was sie tun können. Das niedrigstschwellige Angebot ist ein Gespräch zwischen mir und dem betreffenden Arzt oder der Ärztin. Der Arzt oder die Ärztin ist allerdings nicht verpflichtet, mit mir zu sprechen, denn die Ombudsstelle ist kein Ermittlungsorgan. Ich versuche, eine Klärung zu ermöglichen. Wenn es gewünscht wird, führe ich auch Dreiergespräche mit dem Arzt oder der Ärztin und der betroffenen Patientin oder dem Patienten.
Missbrauch beim Arzt: Rechtliche Schritte einleiten Welche Möglichkeiten gibt es noch?Die zweite Möglichkeit ist die offizielle Beschwerde bei der Rechtsabteilung der Landesärztekammer. Und die dritte Möglichkeit ist die der strafrechtlichen und der zivilrechtlichen Klage. Die meisten Betroffenen nehmen das Vermittlungsangebot in Anspruch. Und in den meisten Fällen sind die Ärzt:innen auch bereit, mit mir zu sprechen.
Zur Person und SacheMeinhard Korte ist Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Facharzt für Allgemeinmedizin. Er arbeitet als niedergelassener Psychotherapeut in Hanau. Seit der Gründung der Ombudsstelle für Fälle von Missbrauch in ärztlichen Behandlungen in Hessen 2013 ist er deren Beauftragter. Die Ombudsstelle wurde von der Landesärztekammer Hessen eingerichtet. Betroffene können sich direkt und unbürokratisch an die Ombudsstelle wenden. Alle Anfragen unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht. Zu erreichen ist die Ombudsstelle unter der Telefonnummer 069 / 976 723 47 oder per E-Mail unter ombudsstelle-missbrauch@laekh.de. Weitere Informationen: www.laekh.de
Wie reagieren diese auf solche Vorwürfe?Sehr unterschiedlich. Es geht von „Das bildet sich die Person nur ein, da war gar nix" bis hin zu nachvollziehbarer Einsicht und Betroffenheit und dem Versuch, das mit dem Patienten oder der Patientin zu klären und wiedergutzumachen. Manchmal sind die betroffenen Ärzt:innen auch erschrocken darüber, dass das eigene Verhalten solch eine Wirkung hat. Mir fällt da ein Beispiel eines Hausarztes ein, über den sich eine Patientin beschwerte, weil er sie nach ihrem Privat- und Liebesleben ausfragte, was sie vollkommen übergriffig fand. Im Gespräch erklärte der Arzt mir dann aber für mich nachvollziehbar, dass das gar nicht seine Absicht gewesen sei. Er wollte sie etwas aufmuntern, weil die Patientin so deprimiert war. Zwischen den beiden gab es danach ein Gespräch, in dem sie das klären konnten.
Wie viele Fälle landen vor Gericht und wie häufig gibt es berufsrechtliche Verfahren?Einen Gerichtsprozess streben nur sehr wenige betroffene Patient:innen an. Für viele Patient:innen geht es auch nicht primär darum, den betreffenden Arzt oder die Ärztin bestraft zu sehen. Sondern darum, angehört zu werden und Verständnis entgegengebracht zu bekommen. Das kann zum Beispiel durch ein Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin gelingen. Oft wollen die Betroffenen sich auch einfach nicht dem Stress eines Prozesses aussetzen. Und es gibt Patient:innen, die Sorge haben, dass ihnen vor Gericht niemand glaubt. Bei den berufsrechtlichen Verfahren ist die Schwelle etwas niedriger. Es gibt durchaus einige Betroffene, die Beschwerde bei der Kammer eingereicht haben.
Ärzte: Missbrauch der beruflichen Autorität Müsste es Ihrer Meinung nach mehr Möglichkeiten für Konsequenzen für die betreffenden Ärzt:innen geben - schon allein, um erneuten Missbrauch zu verhindern?Ja, absolut. Es wäre wichtig, da noch mehr zu tun. Allerdings ist schon die Tatsache, dass es die Ombudsstelle gibt und ich als Ombudsmann mit den betroffenen Ärzt:innen spreche, für einige „ein Schuss vor den Bug" - selbst wenn sich daraus erst einmal keine offiziellen Konsequenzen ergeben. Grundsätzlich kann ich sagen: Es liegt an den Patient:innen, ob nach einem Missbrauch etwas passiert.
Inwiefern?Es ist ein riesiger Unterschied, ob es in fünf Jahren eine Beschwerde über einen Arzt oder eine Ärztin gibt oder in einem Jahr drei. Sie können sich vorstellen, wie problematisch es ist, wenn ein Patient oder eine Patientin über einen Vorfall berichtet und ich als Ombudsmann dann das Gefühl habe, der betreffende Arzt oder die Ärztin macht das nicht versehentlich oder nur einmal, sondern es könnte sich um jemanden handeln, der immer wieder seine berufliche Autorität missbraucht. Aber als Ombudsmann bin ich daran gebunden, dass der Patient oder die Patientin mich beauftragt, etwas zu tun. Ich muss respektieren, dass manche Patient:innen nicht gegen den Arzt oder die Ärztin vorgehen wollen. Ich glaube, es würden insgesamt mehr Betroffene aktiv werden, wenn man die Patient:innen besser über die Ombudsstelle und die Möglichkeiten aufklärt und wenn ein Klima entsteht, in dem man über Missbrauch und übergriffige Verhaltensweisen sprechen kann, auch zwischen Arzt und Patient.
Sie sagen, es liege an den Patient:innen, ob nach einem Übergriff etwas passiert. Aber spielt zum Teil nicht auch ein mangelnder Aufklärungswille unter Ärzt:innen eine Rolle?Doch, auf jeden Fall, das darf nicht falsch verstanden werden. Manchen Ärzt:innen mangelt es an Sensibilität für die notwendige Grenzwahrung in der Arzt-Patient-Beziehung. Die Existenz der Ombudsstelle in Hessen ist ein Hinweis darauf, dass wir das als Problem sehen; wichtig ist, dass andere Landesärztekammern ebenfalls aktiv werden. Wenn ich sage, es liegt an den Patient:innen, dann ist das kein Vorwurf. Sondern die Patient:innen haben es in der Hand, viel mehr zu erreichen, aber dazu müssen sie aktiv werden. Gleichzeitig wird häufig unterschätzt, wie schwer Missbrauchserfahrungen verarbeitet werden können und wie lange das dauert - dabei brauchen Betroffene unbedingt mehr Unterstützung.
Interview: Ruth Herberg und Helen Schindler