Biobäuerin Elisabeth Fresen spricht über die Rolle ihrer Branche beim Klima- und Umweltschutz, angemessene Bezahlung und die Frage, wie man 83 Millionen Menschen gesund ernähren kann. Ein Artikel der FR-Serie zur Bundestagswahl.
Frau Fresen, Sie haben Ihren Hof vor eineinhalb Jahren von Ihrem Vater übernommen. Inwiefern hat sich die Arbeit mit den Jahren verändert?Was meinen Vater immer stärker belastet hat, war diese unendliche Bürokratie, alles wird reguliert. Dazu kommen die schlechteren Preise, die die Landwirt:innen für ihre Produkte bekommen. Beziehungsweise haben sich nicht die Preise verändert, aber alles andere wurde teurer: die Reparatur des Traktors zum Beispiel oder die Betriebsmittel. Ich bin den Weg in die Direktvermarktung über meinen Hofladen gegangen, um mich davon frei zu machen. Ich begreife den Hof als Raum, in dem mir ganz viele Ressourcen gegeben werden, und in dem ich das Privileg habe, meine Ideale umzusetzen. Ohne die Direktvermarktung könnte ich mir das nicht leisten.
Was ist aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung, vor der Landwirt:innen heute stehen?Zum einen gibt es ein Problem bei der Weiterführung oder Neugründung von Betrieben. Für junge Leute ist es sehr schwierig, an Höfe zu kommen. Manche haben wie ich das Privileg, dass sie erben können. Wenn man das nicht hat, ist es fast unmöglich. Man hat diese Millionen Euro einfach nicht, um sich Land und einen Hof kaufen zu können. Das zweite Problem ist der Klimawandel. Auf mich kommt das vierte Dürrejahr zu, das vierte Jahr, in dem unsere Ernten massiv einbrechen. Dass ich 100 Mutterkühe von 170 Hektar Land kaum noch satt kriege, ist bedrohlich.
Biobäuerin Fresen: „Wir werden immer mehr Betriebe in der Landwirtschaft verlieren" Was passiert, wenn wir nichts unternehmen?Wir werden immer mehr Betriebe verlieren. Ich sehe das aber lieber positiv: Was würde passieren, wenn dieser Trend sich umkehrt oder stoppt? Dann hätten wir weiterhin viele Betriebe mit Bäuer:innen, die Ideen haben, die ihre eigenen Ideale leben und umsetzen. Wir hätten gesunde Lebensmittel aus der Region, weil die Betriebe vielfältig wären und nicht nur hochspezialisiert und damit risikoanfällig.
Was genau läuft im Moment falsch?Das wichtigste Steuerungsinstrument wird nicht richtig eingesetzt: die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union. Von dort kommen die Subventionen, die im Moment fast die Hälfte der Einnahmen in den Betrieben ausmachen, weil die Preise so schlecht sind. Das Geld müsste dafür eingesetzt werden, dass ich klimaschonenden Ackerbau betreiben kann, dass ich meine Tiere artgerecht halten kann. Ein vielfältiger Ackerbau führt wiederum dazu, dass wir vielfältige Lebensmittel vor Ort haben. Es müssten weniger Pestizide eingesetzt werden. Unsere Agrarlandschaft wäre divers und damit Lebensraum für Flora und Fauna. Mit diesem Geld könnte man viel machen, aber im Moment wird es einfach nur für Flächenbesitz gezahlt.
„Aus meiner Sicht müsste es 20, 30 verschiedene Ökoregelungen geben" Über die Umsetzung der EU-Agrarreform bis 2027 in Deutschland wird derzeit beraten. Wo sehen Sie noch Ansatzpunkte, um etwas zu ändern?Es gibt eine Chance: die „Eco Schemes", also die Ökomaßnahmen in der sogenannten ersten Säule der reformierten GAP. Bisher werden ungefähr 300 Euro pro Hektar gezahlt, unabhängig davon, was auf der Fläche passiert. Jetzt soll ein Teil der Mittel aus der ersten Säule für Ökoregelungen ausgegeben werden. Bislang steht aber nicht fest, welche Regelungen das sind. Da gibt es noch die Gelegenheit zur Einflussnahme. Aus meiner Sicht müsste es 20, 30 verschiedene Ökoregelungen geben, sodass ich als Bäuerin mir die zehn aussuchen kann, die für mich am besten passen: zum Beispiel einen Blühstreifen anlegen oder meine Tiere auf der Weide halten. Außerdem wird es darauf ankommen, während der ganzen Förderperiode zu evaluieren, wie die Maßnahmen ankommen und das dann eventuell anzupassen.
Die SerieZur Bundestagswahl am 26. September will die FR denjenigen Gehör verschaffen, die sich auch jenseits der Parteien engagieren: für neue Formen des Wirtschaftens, die den Planeten nicht zerstören. Für wohnliche Städte, gesunde Ernährung, umweltfreundliche Mobilität. Für mehr politische Teilhabe und Gleichberechtigung. Diese Menschen haben den Mut , auch das zu wählen, was nicht zur Wahl steht. Oft sind es nachdenklich-leise Töne, die von den Mächtigen in Politik und Wirtschaft arrogant ignoriert und von rechtspopulistischen Lautsprechern übertönt werden. Die FR-Serie „Wir können auch anders" soll ein Verstärker für diese inspirierenden Stimmen sein. Auch Sie, die Leserinnen und Leser, können sich an unserer Serie beteiligen. Was wäre das erste, das die nächste Bundesregierung tun sollte? Schreiben Sie Ihre Antwort in einem bis drei Sätzen auf und schicken Sie sie an bundestagswahl21@fr.de . Eine Auswahl veröffentlichen wir im Rahmen der Serie.
In der nächsten Folge geht es um Kunst und Kultur. Sie erscheint am Freitag, 4. Juni Zuletzt erschienen: eine Folge zum Schwerpunkt Verkehr am Freitag, 28.Mai. Alle Teile zum Nachlesen unter fr.de/Bundestagswahl
Sie sind Mitglied in der Zukunftskommission Landwirtschaft, die auf Initiative der Bundesregierung Vorschläge für eine produktive und ressourcenschonende Landwirtschaft erarbeiten soll. Die 31 Mitglieder kommen auch aus der Industrie, dem Umwelt- und Tierschutz sowie der Wissenschaft. Wie kann man sich da einigen?Ich würde dort nicht arbeiten und so viel Zeit investieren, wenn ich nicht daran glauben und die Perspektive sehen würde, dass wir wirklich etwas zustande bringen. Überraschenderweise finde ich es gar nicht so schwierig, sich zu einigen. Der springende Punkt ist eher: Wenn wir im Sommer den Abschlussbericht mit Empfehlungen vorlegen, was macht dann die Politik?
Für Sie sind die Ergebnisse der Kommission ein Auftrag für die neue Bundesregierung?Das müssen sie sein. Ich glaube daran, dass es gute Lösungen gibt, jedenfalls für einen Großteil der Mitglieder der Kommission. Und wenn wir die haben, verlange ich von der Politik, dass sie das umsetzt.
„Die Landwirtschaft kann Teil der Lösung sein" Was muss in dem Abschlussbericht der Kommission stehen, damit Sie sagen: Das war ein Erfolg?Es muss drinstehen, dass es wirtschaftliche Perspektiven für Höfe gibt. Dass Verbraucher:innen gute Lebensmittel aus der Region bekommen können. Und dass wir mit der Landwirtschaft die großen Herausforderungen unserer Zeit anpacken können: Die Landwirtschaft kann Teil der Lösung sein für Klimaschutz, für Artenschutz, für Wasserschutz, für Tierschutz. Bäuer:innen müssen befähigt werden, das zu leisten und dafür entlohnt werden.
Stichwort angemessene Bezahlung: Denken Sie dabei ausschließlich an die EU-Mittel, die anders verteilt werden müssten, oder auch an eine Tierwohlabgabe?Es muss eine Mischung geben. Für den erzeugten Liter Milch oder das Kilo Rindfleisch schwebt mir nicht die GAP vor. Das muss an der Ladenkasse bezahlt werden, da muss es eine Tierwohlabgabe oder eine Weideprämie geben. Was die GAP in Zukunft abdecken sollte, ist der klimaschonende Ackerbau oder die Hecken, die ich für die Artenvielfalt pflanze. Die GAP-Mittel sind Steuermittel, und die sollten im Sinne der Gesellschaft eingesetzt werden.
Biobäuerin Frese: „Im Moment wird ein Großteil der Lebensmittel verschwendet" Lassen sich so 83 Millionen Menschen ernähren?Ja. Nur so können wir das machen. Im Moment wird ein Großteil der Lebensmittel verschwendet. In Deutschland werden die allermeisten Menschen zwar satt, aber sie sind auch krank, sie sind übergewichtig oder haben andere Krankheiten. So, wie das System im Moment ist, führt es nicht dazu, dass wir uns alle gesund ernähren. Mit einer anderen Art von Landwirtschaft wird die Lebensmittelversorgung besser.
Das Landwirtschaftsministerium ist seit 16 Jahren in Unions-Hand. Was würde sich ändern, wenn es nach der Wahl von einer anderen Partei geführt würde?Es ist mir letztendlich egal, welche Partei das Ministerium hat. Wichtig ist, dass die GAP verändert werden muss. Ich verlange, dass es für alle tierischen Produkte eine verpflichtende Kennzeichnung für die Haltebedingungen der Tiere gibt. Wir brauchen ein Instrument, um die Milchpreise zu stabilisieren. Wir brauchen eine Offensive für junge Menschen, damit sie in die Landwirtschaft einsteigen können. Generell muss der Zugang zu Land einfacher werden - auch für die Bäuer:innen, die schon vor Ort wirtschaften. Denn Land wird immer teurer, auch weil Investor:innen es für riesige Summen erwerben.
Das Interview führte Ruth Herberg