Ruth Herberg

Redakteurin Politik, Frankfurt

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Weg von der „Kultur der weißhaarigen Männer"

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Fränzi Kühne ist die jüngste Aufsichtsrätin eines börsennotierten Unternehmens in Deutschland. Die 35-Jährige fordert andere Auswahlkriterien für die Vorstände.

„Ich kann es echt nicht mehr lesen." Fränzi Kühne wirkt genervt, wenn sie daran denkt, was im vergangenen Jahr über sie geschrieben worden ist. Und es wurde viel geschrieben über die 35-Jährige, seit sie im Juni 2017 in den Aufsichtsrat des Telekommunikationsunternehmens Freenet eingezogen ist - als jüngste Frau auf diesem Posten eines börsennotierten Unternehmens in Deutschland.

Seitdem geht es zwar auch um ihre Qualifikation als Digitalexpertin, vor allem aber um ihr Outfit, das sie bei ihrer Wahl in den Aufsichtsrat anhatte. „Es ärgert mich, dass die Frage, ob man den Job machen kann, obwohl man nicht die typische Aufsichtsrätin ist, an Klamotten aufgehängt wird." Das sei banal. „Es geht doch um inhaltliche Kompetenz!"

Der typischen Vorstellung einer Aufsichtsrätin, wie sie vermutlich viele haben, entspricht Fränzi Kühne allerdings tatsächlich nicht. Das eine Bein auf dem Stuhl angewinkelt, sitzt sie an diesem Nachmittag in Sneakers und einer schwarzen Hose - einem ähnlichen Outfit wie bei ihrer Wahl - im Konferenzraum ihres Berliner Unternehmens und erzählt von ihrer „Mission": „Ich will jungen Frauen zeigen, dass man nicht erst 50 werden muss, um in Spitzenpositionen kommen zu können."

Kühne selbst ist das beste Beispiel dafür. Mit 25 schmiss sie ihr Jurastudium, um mit zwei Freunden eine Digitalagentur zu gründen: Torben, Lucie und die gelbe Gefahr, kurz TLGG. Das war 2008. Mittlerweile ist das Unternehmen auf rund 190 Mitarbeiter angewachsen, die Kunden sind zahlreicher und namhafter geworden. Die Lufthansa, der Musikstreamingdienst Spotify und die Deutsche Bahn haben sich bereits von Kühne und ihren Kollegen die Kommunikation im digitalen Zeitalter erklären lassen.

Ende 2016 kam der Anruf von Freenet. Der Konzern wollte seinen Aufsichtsrat mit Digitalkompetenz verstärken und hatte dafür Fränzi Kühne auserkoren. „Ein Aufsichtsratsmandat zu haben, empfand ich als Ehre und finde das nach wie vor sehr spannend", erzählt sie. „Ich habe damals einfach zugesagt und hatte kurz darauf das erste Bewerbungsgespräch meines Lebens."

Knapp sechs Monate später stellte sie sich den Aktionären von Freenet vor. „Die erste Hauptversammlung war eine extreme Erfahrung für mich", erinnert sich Kühne. Seit ihrer Kindheit spricht sie nicht gerne vor vielen Menschen - bei der Hauptversammlung hörten ihr 600 Aktionäre zu. Sie zog es trotzdem durch.

Auf der Suche nach Balance zwischen Kontrolle und Beratung

Nach ihrer Wahl wurde Fränzi Kühne, wie bei neuen Aufsichtsratsmitgliedern üblich, vom Freenet-Vorstand an das Unternehmen herangeführt. Weil sie sich trotzdem unvorbereitet fühlte, schaute sie sich auf eigene Faust verschiedene Standorte an und besuchte die Personalabteilung. „Die fanden das super, weil man das von Aufsichtsräten wohl nicht so gewohnt ist", sagt Kühne.

Seitdem versucht sie, für ihren neuen Posten die Balance zu finden zwischen Kontrolle und Beratung. Eine Kontrollfunktion zu haben, aber nicht zu operativ eingreifen zu dürfen - diese Gratwanderung sei „megaschwer", sagt sie. „Da mache ich mir noch viele Gedanken, wie das funktionieren kann."

Besonders treibt sie derzeit die Frage nach der Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsräten und Vorständen um - weniger bei Freenet als vielmehr generell, bedingt durch die Erfahrungen, die sie im eigenen Unternehmen gemacht hat. Beraten die Digitalexperten von TLGG einen Kunden, sind sie mit ihrem Projekt bei den Vorständen angegliedert. Die langjährige Zusammenarbeit mit Vorständen und Aufsichtsräten habe ihr gezeigt, dass die Aufsichtsräte vieler Unternehmen zwar oft viel Expertise vereinten. Die werde aber von den Vorständen nur selten genutzt. „Die wissen oft nicht mal, welche Fragen sie uns stellen sollen, weil sie einfach keine Kompetenz im Digitalen haben", sagt Kühne.

Es ist nicht nur die digitale Kompetenz, die nach Einschätzung von Kühne in den Führungsetagen fehlt. Ginge es nach ihr, säßen dort auch mehr Frauen. Seit März ist Kühne Mitglied im Stiftungsrat der Allbright-Stiftung, die regelmäßig Berichte über die Situation von Frauen in Führungsgremien veröffentlicht. Die jüngste Bilanz ist ernüchternd: Vergleicht man den Frauenanteil in den Vorständen der 30 führenden Börsenunternehmen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Polen, den USA und Schweden, belegt Deutschland den letzten Platz.

Zu stressresistent: Kühne flog bei Polizeiprüfung durch

Die eigene berufliche Erfahrung habe ihr gezeigt, „dass es keinen Sinn macht, Aufsichtsräte und Vorstände nur nach Seniorität, Erfahrung in anderen Konzernen und persönlichen Kontakten auszuwählen", erklärt Kühne. Auch andere Faktoren wie das Geschlecht, das Alter oder die Biografie müssten berücksichtigt werden. „Sonst kommen wir nie weg von dieser Kultur der weißhaarigen Männer."

Dass sie selbst irgendwann einmal eine der wenigen Frauen in Spitzenpositionen sein würde, war allerdings nicht geplant. Karriere zu machen oder gar Aufsichtsrätin in einem großen Unternehmen zu werden, war nichts, womit sich Kühne in jungen Jahren beschäftigt hat - denn eigentlich wollte sie zum Bundeskriminalamt.

Mit Stress kann Kühne umgehen

Beim Tatort-Schauen wusste sie immer als Erste, wer der Mörder war und fühlte sich zur Kriminalkommissarin berufen. Also fing sie ein Jurastudium an und spezialisierte sich auf Strafrecht. Bei der Eignungsprüfung der Polizei allerdings flog sie in der ersten Runde raus. Der Grund: Sie sei zu stressresistent. „Später hat mir dann jemand auf einer Party erzählt, dass das ein Synonym für eine zu hohe Frauenquote im Einstellungsjahr ist", sagt Kühne rückblickend.

Mit Stress dürfte Kühne aber dennoch gut umgehen können. Neben ihrem Job in der eigenen Agentur und den Posten bei Freenet und der Allbright-Stiftung ist Kühne seit gut zwei Jahren Mutter einer Tochter. Noch vor ihrer Schwangerschaft haben sie und ihr Partner geklärt, wer sich irgendwann mal um die Kinder kümmern wird. „Da war klar, dass ein großer Teil der Verantwortung bei ihm liegen wird und dass auch TLGG mein Baby ist", sagt die 35-Jährige. Zwei Wochen nach der Geburt ihrer Tochter hat Kühne die ersten Termine wahrgenommen, nach drei Monaten ist sie wieder komplett eingestiegen.

Gründerin und Geschäftsführerin, Aufsichtsrätin eines TechDax-Unternehmens, Mutter - und das mit 35 Jahren. Macht sie das zu einem Vorbild? „Klar", sagt Kühne. „Das will ich auch sein."

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