Nun gibt es kein Zurück mehr. Die Reihe ist an mir. Oracio, der im Schneidersitz auf einer fleckigen Matratze sitzt, gießt die rostrote Flüssigkeit in ein Schnapsglas und streckt es mir entgegen. Mein Leben lang habe ich mich von potenten Drogen ferngehalten, und nun stehe ich kurz davor, eines der stärksten Halluzinogene überhaupt hinunterzukippen.
Ayahuasca heißt der Cocktail, eine Mischung aus zwei im Urwald des Amazonas wachsenden Pflanzen. Seit Urzeiten wird sie von den indigenen Völkern hier im Osten Perus verwendet - zu Heilungszwecken, aber auch für Ausflüge zu den Ahnen und anderen Geistern. Die Flüssigkeit im Schnapsglas stinkt grauenvoll - die Vorstellung, das Zeug zu trinken, schnürt mir die Kehle zu. Beim ersten Versuch vor drei Tagen erinnerte das Ayahuasca noch an Lakritz, bei dem der Zucker vergessen wurde. Beim zweiten Mal war der Geschmack herb, aber erträglich. Heute riecht der Trank, als sei etwas darin gestorben.
Dann hebt Oracio sein Glas, und wir, die unter einem Wellblechdach auf einer Veranda in der peruanischen Stadt Pucallpa hocken, nicken uns zu: ein 54-jähriger Lebens- und Gesundheitscoach, ein 42-jähriger Anlageberater, eine 24-jährige Kleinkinderbetreuerin und ich. Prost.
NEBENWIRKUNGEN Ex und weg. Hastig greife ich nach der Wasserflasche, um den Mund auszuspülen und um in den Plastikeimer am Kopfende meiner Matratze zu spucken. Die Kübel gehören zu den üblichen Utensilien beim Trinken von Ayahuasca, denn Übelkeit ist eine häufige Nebenwirkung. Die andere, so unappetitlich es auch klingen mag: Durchfall. Über die Schulter messe ich die Distanz zum Klohäuschen. Es steht zwar nur wenige Meter entfernt von der Veranda; aber vor der Tür ist eine kleine Vertiefung im Boden, wie dafür gemacht, hineinzufallen.
Ich nehme ein paar Züge aus meiner Pfeife, genau wie die anderen es tun. Nicht nur meine bleichgesichtigen Begleiter, sondern auch der dunkelhäutige Oracio sowie die drei Indianer, die mit ihm gekommen sind: der schmächtige Mariano mit seinem ermutigenden Lächeln, die schlanke und stille Alexandrina sowie die rundliche Manuela, die die Gabe besitzt, sofort einzuschlafen, wo auch immer sie sich niederlässt.
Der Tabakrauch hüllt uns ein und kratzt in meinem Hals. Ich greife nochmals nach der Wasserflasche. Nur wenn man rauche, kämen die „Mareaciones", die Visionen, ermahnt mich Oracio. Ich paffe also noch ein paar Züge, blase den Rauch, wie ich es bei den erfahreneren Ayahuasca-Trinkern abgeschaut habe, über meine Brust und die Arme zum Schutz gegen die bösen Geister oder - meinem Verstand etwas zugänglicher - gegen negative Energien. „Mapacho ist Medizin", sagt Oracio, lacht und schlägt sich mit der Faust auf die Brust, „dieser Tabak tut gut, nicht wie der in Europa."