Die Reaktion der serbischen Regierung, beziehungsweise des Staatspräsidenten Aleksandar Vucic, der nahezu jede Pore des politischen Lebens in Serbien usurpiert und um seine Person herum konzentriert hat, fiel erwartbar aus. Aufgrund der eigenen außenpolitischen Interessen im Kontext der Nichtanerkennung des Kosovo vertritt Serbien die Position, die territoriale Integrität eines jeden Staats zu achten und dementsprechend auch die der Ukraine.
In der Argumentation ließ man es sich aber nicht nehmen, auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1999 hinzuweisen. Die Einführung von Sanktionen gegen Russland wurde hingegen abgelehnt, mit dem Argument, das würde den Interessen Serbiens schaden.
Und wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?Die Stimmung innerhalb der serbischen Bevölkerung ist geteilt, weshalb auch die meisten mit der offiziellen Stellungnahme ganz gut leben können. Es gibt zwar rechtskonservative Kreise, vor allem im Umfeld der orthodoxen Kirche oder rechtsradikale Klein- und Splitterparteien, die sich für eine unzweideutige Unterstützung Russlands aussprechen und kleinere Demonstrationen oder Autokorsos organisieren. Doch diese Form der prorussischen Parteinahme ist eher selten.
Es gab proukrainische Demonstrationen, aber auch da würde ich nicht unbedingt von einer Massenbewegung sprechen. Hinzu kommt natürlich, dass die serbische Bevölkerung aus eigener Erfahrung die Wirkung von Wirtschaftssanktionen kennt. Auch deshalb ist die Unterstützung von Sanktionen gegen Russland ein eher marginaler Standpunkt in der Öffentlichkeit.
Serbien müsste in einem Dilemma stecken: Einerseits kann Belgrad es nicht gutheißen, dass Russland die "Volksrepubliken" anerkannt hat - Stichwort Kosovo -, andererseits wird eine brüderliche Verbindung zum slawisch-orthodoxen Russland beschworen. Wie manövriert das Land in diesen Untiefen?Aus Sicht der politischen Elite funktioniert die Navigation zur Zeit zufriedenstellend. Der russische Botschafter beispielsweise hat sein Verständnis für die schwierige Position Serbiens geäußert und die Anerkennung der territorialen Integrität der Ukraine als einen nachvollziehbaren politischen Standpunkt Serbiens bezeichnet. Wie es bei etwaigen Sanktionen aussehen würde, bleibt offen, aber es kann angenommen werden, dass sie in Russland nicht auf Verständnis stoßen werden.
Das Lavieren des serbischen Staates offenbart sich besonders grotesk im Mediensystem. Die gefürchtete serbische Boulevardpresse, etwa die Tageszeitungen Informer, Srpski telegraf, Novosti und Kurir, bedienen sich nahezu schamlos der russischen Propaganda, sprechen auf ihren Titelseiten unverhohlen davon, die Ukraine habe Russland angegriffen und dass Moskau die Ukraine entnazifizieren wolle und dergleichen. Da all diese Tageszeitungen unter mehr oder weniger direkter Kontrolle durch die regierende SNS von Vucic stehen, kann angenommen werden, dass die erwähnte "brüderliche Verbindung" zu Russland zumindest in solchen Presseerzeugnissen ein Ventil findet.
Der Druck auf Serbiens Regierung wächst von seiten des Westens. Die Außenministerin der BRD, Annalena Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen, reiste deshalb erst kürzlich nach Belgrad. Doch das Land will nicht nachgeben. Wie lange kann Serbien seine Position noch aufrechterhalten?Das ist eine gute Frage, aber unklar bleibt ohnehin, was die EU von Serbien überhaupt erwartet. Wirtschaftssanktionen gegen Russland? Die ökonomische Verflechtung Serbiens mit Russland ist marginal, lediglich im Energiesektor ist Serbien auf Russland angewiesen und Gasprom ist Mehrheitseigner des serbischen Energieunternehmens NIS. Gas- und Erdöl stehen bisher aber selbst bei der Bundesregierung nicht auf der Sanktionsliste. Fordert man hier also etwas von Serbien, was man bisher selbst nicht gewillt ist anzuwenden?
Es kann aber natürlich sein, dass nach den Wahlen der Druck auf die serbische Regierung zunimmt, und ein Beitritt des Landes zur EU mit Verhängung von Sanktionen gegen Russland konditioniert wird. Im Endeffekt würde Serbien, je nachdem wie stark die Drohkulisse gegenüber dem Land ist, in den sauren Apfel beißen und Sanktionen einführen. Aber wohl auch nur, wenn es eine konkrete Beitrittszusage gibt.
In Europa steigen die Rohstoff- und Energiepreise. Vucic hat im vergangenen Jahr mit Russlands Präsident Wladimir Putin einen günstigen Gasdeal abgeschlossen. Bleibt Serbien von der Teuerung verschont?Ich bin kein Experte, was Energiepreise angeht. Aber auch nach dem sogenannten Deal mit Putin gab es in Serbien Stimmen, die meinten, dieser Deal sei gar nicht so günstig für Serbien gewesen, wie es in der Öffentlichkeit dargestellt wurde. Fakt ist, die Preise steigen auch in Serbien, sie werden auch weiter steigen und damit breite Teile der ohnehin relativ armen Bevölkerung treffen.
Aus einigen Ländern machen sich Freiwillige und Söldner auf, um im Ukraine-Krieg mitzukämpfen. Gibt es auch Serben, die dort zu den Waffen griffen?Offiziell ist die Teilnahme von serbischen Bürgern an kriegerischen Konflikten im Ausland verboten und steht unter Strafe. Ob es dennoch vereinzelte Söldner gibt, kann nur vermutet werden. Bisher deuten darauf Bilder im Internet hin, auf denen Personen aus dem rechten, neokonservativen und prorussischen Lager zu sehen sind. Schon 2014 gab es serbische und kroatische Söldner, die auf russischer beziehungsweise ukrainischer Seite gekämpft haben. Es soll sogar Söldner aus beiden Ländern geben, die gemeinsam auf russischer oder ukrainischer Seite kämpfen. Die Zahl dürfte aber insgesamt eher gering sein.
Und wie positioniert sich die Linke in Serbien zum Krieg?Da kommt es drauf an, was unter links verstanden wird. Die serbische Linke ist, wie soll es auch anders sein, in sich gespalten. Diese Spaltung findet ihren Widerhall in den Positionierungen zum russischen Angriff auf die Ukraine. Einige Gruppierungen äußern ein gewisses Maß an Verständnis für den russischen Angriff, da sie der NATO die Hauptschuld an der Eskalation zuschreiben. Andere wiederum sind für eine strikte Neutralität, kritisieren sowohl den russischen als auch den westlichen Imperialismus und sehen in deren Interessenkonflikt die Ursache.
In der Koalition "Moramo" sind linksliberale und linke Akteure unter einem Dach versammelt, und zumindest der linke Flügel kritisiert gleichermaßen sowohl den russischen Angriff als auch die NATO-Osterweiterung und die Sanktionen gegen Russland. Auch hier spielt natürlich die eigene Erfahrung eine große Rolle sowie das Wissen, dass Sanktionen vor allem die Bevölkerung treffen und eher selten die politischen und wirtschaftlichen Eliten.
Krunoslav Stojakovic ist Historiker und Leiter des Regionalbüros Südosteuropa der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Belgrad