Roland Peters

Journalist, Korrespondent und Reporter

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Der Mittelsmann

Ernste Miene: Martin Schulz stellte sein Buch "Was mir wichtig ist" vor. (Foto: imago/IPON)

Martin Schulz will Bundeskanzler werden. Eine Aufgabe, die schwierig erscheint ohne harten Kontrastwahlkampf. Schulz hat Erfahrung mit der großen Politik in Europa und mit der lokalen in NRW. Er sucht die Mitte, die für die SPD die Wahl gewinnt.

Von Roland Peters

Martin Schulz ignorierte den fachlichen Rat. Er machte einfach weiter, obwohl der Arzt gesagt hatte, er dürfe wegen seines Knies nicht mehr Fußball spielen. Schulz wollte unbedingt seinen Traum erreichen, Profi werden und zum 1. FC Köln wechseln. Er schaffte es nicht, heute ist sein Knie kaputt. Das sagt der Mann, der die SPD an die Macht bringen soll, im Plauderton und übereinandergeschlagenen Beinen. Und an den Wahlabenden der vergangenen Landtagswahlen, fügt er unter Lachen des Publikums hinzu, habe er sich schon gewünscht, es hätte mit dem Fußball doch geklappt.

Zwei Stühle stehen auf der Bühne des Berliner Theaters am Schiffbauerdamm; auf einem sitzt die Moderatorin ein Stück weit rechts, Schulz ein wenig links von der Mitte. Zweimal liest er während des Gesprächs aus seinem neuen Buch, einmal geht es um die Schlacht von Verdun und die Wurzel seiner Überzeugung für Europa, das andere Mal um die digitalisierte Welt, um die konzentrierte Macht der Konzerne über die Bürger und damit um eine totalitäre Tendenz. Europa, die Welt; Die große Politik kann Martin Schulz, der "Instinkteuropäer". So nennt er sich selbst.

Schulz ist zwischen Extremen eingeklemmt. Positionieren muss er sich trotzdem - punktgenau dazwischen, damit sich die Wähler im September für ihn entscheiden und nicht erneut für Angela Merkel. Mit der Verortung in einer "neuen Mitte" zog schon Gerhard Schröder 1998 für die SPD ins Berliner Kanzleramt ein. Die Frage für Schulz ist, ob er eine findet bis zum Urnengang im September, weil die SPD unterschiedliche Milieus bedienen muss, "Arbeitnehmer, aufgeklärtes Bürgertum und linke Intellektuelle", wie er sagt. Mittelsmann zu sein ist schwer, so ohne Amtskraft, nur über die Zukunft redend. Die Pole reißen an ihm von allen Seiten.

Europa ist eines der Extreme, ein anderes die Lokalpolitik. Daraus besteht sein Effeff: aus dem ganz Großen und dem ganz Kleinen. Dazu kommen die Blicke der Partei ins Ausland, zu Emmanuel Macrons Sensationserfolgen nach Frankreich, zum Altlinken Jeremy Corbyn und dessen 40 Prozent in Großbritannien. Schulz muss nun die richtige Mitte finden und sie seinem Lebensrepertoire hinzufügen. Für diese dritte Etappe spricht er von einer Vision, ab und zu auch konkret. "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen", diesen abfälligen Ausspruch Helmut Schmidts lehnt er ab. Ohnehin ist Schulz' Vorbild eher Willy Brandt, der immer präsent ist, wenn man sich mit dem ehemaligen Bürgermeister Schulz beschäftigt.

Zwischen Trump und China

Schon jetzt basierten 70 Prozent der nationalen Gesetzgebung in Deutschland auf EU-Entscheidungen, sagt Schulz und fordert, nationale Kompetenzen müssten in Richtung EU-Kommission und -Parlament abgegeben werden. Alleine hätten Deutschland und seine Nachbarn keine Chance, sie könnten zerdrückt werden zwischen Donald Trumps neuem Protektionismus und dem chinesischen Staatskapitalismus. Es gebe deshalb nur eine Richtung: Europa.

"Die EU vom Kopf auf die Füße stellen" und "Europa neu gründen", das sind so zwei große Sätze, die Schulz schreibt, wenn er sich an seinem internationalen, visionären Pol befindet. Schulz hat einen unschätzbaren Vorteil: Wenn er das als ehemaliger EU-Parlamentspräsident und Karlspreisträger beschreibt, wirkt es authentischer, als es bei Sigmar Gabriel oder Olaf Scholz der Fall gewesen wäre. Auch, weil Schulz die Worthülsen mit Inhalten füllt: Eine gemeinsame Klima- und Friedenspolitik will er, und einen Mindeststeuersatz für Unternehmen in der EU, damit internationale Konzerne die Mitgliedsländer nicht so gegeneinander ausspielen können wie etwa im Fall Apple und Irland. Die Asyl- und Einwanderungspolitik müsse ebenfalls europäisch geregelt werden. Schulz weiß, was das bedeuten würde: Das Amt des Bundeskanzlers würde auch ein wenig mehr das eines Bürgermeisters werden.

Was die Menschen in Deutschland definiere, dies sei ihr Name und ihr Beruf, schreibt er. Und er sei eben Martin Schulz, Parteivorsitzender der SPD und Kanzlerkandidat. Als er antrat, lag seine Partei in den Umfragen bei 20 Prozent. "Der Sprung ins Wasser war kalt", sagt er. Noch immer sieht es so aus, als dürfe er nicht auf das Amt des deutschen Regierungschefs hoffen. Beim Stern-RTL-Wahltrend etwa liegen die Sozialdemokraten bei 24, CDU und CSU bei 38 Prozent. Aber Schulz ignoriert die Prognosen. Er macht einfach weiter, sieht das Rennen offen. Und als er am Ende gefragt wird, mit wem er denn regieren wolle, antwortet er: "Mit der SPD."

Quelle: n-tv.de


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