1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Goldrausch im Netz

Youtube ist immer noch eine Plattform für Amateurvideos, aber auch längst mehr als das. Einige Youtube-Stars verdienen Millionen. Sie werden von Vermarkungsnetzwerken unterstützt, die ihrerseits ordentlich am Youtube-Hype verdienen. Auch Fernsehsender mischen mittlerweile mit. Ungewiss ist nur, wie lange der Video-Hype noch anhält. VON ROBYN SCHMIDT UND NILS WISCHMEYER

Marlene Rümpker schaut auf das Notizbuch in ihrer Hand, reckt dann den Kopf in Richtung Kamera. Die steht auf einem Dreibeinstativ, das auf einem grünen Barhocker balanciert, der wiederum auf einem niedrigen Wohnzimmertisch ruht. Hinter der Kamera lehnt am Sofa ein Spiegel, in dem die Rückseite der Kamera und das Display zu sehen sind. Marlene erkennt in der Spiegelung, dass sie noch im Bild ist. „Ist es o.k.", fragt sie in die Kamera, „dem Partner nicht zu sagen, dass man mit dem besten Freund schon mal was hatte?"

Seit Juli 2014 ist Marlene Rümpker auf Youtube unterwegs. Allerdings nicht als Marlene Rümpker, sondern als Miss Pandamonia. Die ersten Videos produziert sie für Freunde - und hat schnell eine Handvoll Fans. So wie die Lippstädterin haben auf Youtube fast alle angefangen: Mit Amateurvideos aus dem Wohn- oder Kinderzimmer, meist nur mittelmäßig beleuchtet und ohne kommerzielle Ambitionen.

Doch Youtube ist längst nicht mehr das kleine Amateurportal, das es mal war. Vier Milliarden Dollar soll die Google-Tochter jährlich mit der Plattform umsetzen. Hat man mit seinen Wackelvideos den Durchbruch geschafft, winken Kameraleute und Drehbuchautoren, saftige Werbedeals, Einnahmen in ungeahnter Höhe und sogar Plattenverträge oder eigene Kinofilme.

Von diesem Teil der Youtube-Welt ist Marlene Rümpker noch ein paar Millionen Klicks entfernt. Sie backt in ihren Videos Thunfisch-Brötchen, kauft einen neuen Klodeckel, redet über die Homo-Ehe oder stellt ihre „Ist es ok?"-Fragen. Ihr letztes Video haben 264 Leute angeklickt.

Mittlerweile hat Marlene etwas mehr als 1700 Abonnenten. Zum Vergleich: Bei Nachrichtenaufbereiter LeFloid sind es 2,6 Millionen, bei BibisBeautyPalace 2,1 Millionen. Von einem Kanal leben könne man erst ab einer Klickzahl von über zwei Millionen, sagen Insider. „Man hat", sagt Marlene, „eigentlich kaum eine Chance, so eine Reichweite zu gewinnen".

Professionalisierung 1.0: Mächtige Netzwerke

Damit hat sie Recht. Die Klickzahlen, so ein Brancheninsider, entwickelten sich bei den meisten Kanälen nur sehr schleppend - wenn sie nicht in einem sogenannten Multi-Chanel-Network (MCN) seien.

Das Geschäftsmodell dieser Netzwerke ist einfach: Sie nehmen Künstler unter Vertrag und versprechen, ihre Reichweite auf Youtube und damit ihre Werbeeinnahmen zu steigern. Eine bessere technische Ausstattung, Hilfe beim Filmschnitt, gemeinsame Drehs mit anderen Youtubern und eine bessere Verlinkung der Videos dienen der Professionalisierung der Auftritte. Außerdem kümmern sie sich um die Betreuung der wachsenden Fangemeinden, damit die dem Youtube-Sternchen oder Star auch längerfristig die Treue halten.

Mediakraft Networks war 2011 das erste MCN in Deutschland. Schon wenige Monate nach der Gründung investierte Shortcut Ventures eine siebenstellige Summe in das Start-Up. Aufstrebende Youtuber wie Y-Titty, iBlali, Freshtorge oder DieLochis wurden unter Vertrag genommen. Und es lief gut: Das Comedy-Trio Y-Titty konnte 2013 monatlich mehr als 180.000 neue Abonnenten verbuchen. DieLochis schafften es in etwa der gleichen Zeit von zwei auf zehn Millionen Views im Monat. Schnell erkannten andere das Wachstumspotenzial und stiegen ein.

Die Werbeinnahmen sinken

Doch ein Markt mit mehreren großen Netzwerken bedeutet auch eine Menge Konkurrenz. Jeder will die größten Stars unter Vertrag nehmen, die Reichweite noch ein klein wenig mehr steigern. Am besten funktioniert das in den Sparten Comedy, Gaming und Beauty/Fashion. Das treibt die Professionalisierung weiter voran.

Grundsätzlich errechnen sich die Werbeeinahmen über Adsense, das Werbemodell von Youtube. Danach wandern 45 % der Werbeeinnahmen in die Kasse von Youtube bzw. Google, die restlichen 55 % gehen an die Künstler beziehungsweise an deren Netzwerke, die von diesem Anteil in der Regel rund 30 Prozent bekommen.

Abhängig davon, wie werberelevant die Zielgruppe der einzelnen Videos und deren geschätztes verfügbares Einkommen ist, ergibt sich ein sogenannter Tausend-Kontakt-Preis (TKP) - der Betrag, den ein Youtuber pro tausend Klicks bekommt. Momentan liegt der TKP zwischen 25 Cent und vier Euro.

Noch vor kurzem waren TKPs von bis zu acht Euro üblich. Doch weil immer mehr Youtuber etwas vom Kuchen abhaben wollen, müssen die Werbeeinnahmen auf immer mehr Köpfe verteilt werden. Gleichzeitig sind die Produktionskosten für die Künstler gestiegen. Reichten am Anfang noch eine billige Webcam und ein paar flotte Sprüche, um die Fans bei der Stange zu halten, erwarten die inzwischen perfekte Technik und fette Soundtracks. An Videos von Y-Titty hätten schon bis zu 15 Leute mitgearbeitet, verrät ein ehemaliger Mitarbeiter.

Steigende Reichweiten, immer mehr Geld, aber auch immer aufwändigere Videos setzen viele Youtuber unter Druck. Viele sehen sich gezwungen, ihr gesamtes Privatleben vor den Zuschauern auszubreiten. Kann das auf Dauer gut gehen?

Christoph Krachten, Gesellschafter bei Mediakraft und Organisator der Youtuber-Messe Videodays im Interview:

Professionalisierung 2.0: Neue Märkte

Medien versuchen immer wieder die Verdienste der Internetstars aufzudecken: Mehr als 10.000 Euro sollen die ganz Großen im Monat allein durch Klicks verdienen, schätzen einige, andere halten das für übertrieben. Die Szene selbst schweigt zu diesen Spekulationen beharrlich.

Fernsehsender mit im Geschäft

Längst verdienen die Netzwerke und ihre Protagonisten ihr Geld auch außerhalb von Youtube. "Was wir jetzt erleben, ist Youtube 2.0", sagt Philipp Bernecker, Gründer von Divimove, dem größten europäischen Vermarkter. Und auch Christoph Krachten sagt: „Merchandise und Werbedeals gehören schon längst dazu." Viele Youtuber besitzen inzwischen einen Internet-Shop, über den sie Fanartikel vertreiben. Unternehmen wie McDonalds und Coca Cola, aber auch die Techniker Krankenkasse wollen die Stars der nächsten Generation an sich binden. So ging Unge auf Telekom-Longboard-Tour, andere Youtuber testeten in ihren Beiträgen Samsung-Handys. Unter vielen Videos der Schminktipp-Elite finden sich so genannte Affiliate Links - etwa zu Amazon. Kauft jemand über diesen Link ein, verdient der Youtuber mit. Schätzungen gehen davon aus, dass ein Product-Placement zwischen 8.000 und 50.000 Euro einbringt, ein Einkauf über einen Affiliate Link rund zehn Prozent des Kaufpreises.

Auch die klassischen Fernsehanstalten haben dieses Potenzial erkannt. Anfang 2015 hat die zu RTL-Gruppe gehörende Produktionsfirma Fremantle Media die Mehrheit an Divimove übernommen. Das Medienunternehmen Endemol besitzt - genau wie ProSiebenSat1 - ein eigenes Netzwerk. Seit Juli 2015 hält die ProSiebenSat1 Media SE zudem 75 Prozent des amerikanischen Netzwerks Collective Digital Studios. Die will die Mediengruppe mit Studio 71 zusammenlegen. Übernahme und Zusammenlegung zum Collective Studio 71 lässt sich das Unternehmen über 82 Millionen Euro kosten. Mediakraft hat ein anderes Modell gewählt: Im Juli 2014 gab das Netzwerk bekannt, rund 16 Millionen Euro von verschiedenen Investoren eingesammelt zu haben, darunter DuMont-Schauberg. Auch Axel-Springer hatte Interesse geäußert.

Ohne ein großes Unternehmen im Rücken ist es für unabhängige Netzwerke wie Mediakraft und TubeOne schwer, mitzuhalten. Wer die finanzielle Großmacht etwa von Bertelsmann oder ProSiebenSat1 hinter sich hat, kann den Youtubern viel attraktivere Angebote machen. So wechselte beispielsweise der Merkel-Interviewer LeFloid zu Studio 71 und auch der Let's-Player Gronkh ging Anfang 2014 zum Netzwerk von ProSiebenSat1.

Aber nicht bloß das Geld hat bei den Wechseln zu den von Fernsehsendern unterstützten Netzwerken eine Rolle gespielt. Auch die Aussicht, beim Fernsehen ein Bein in die Tür zu bekommen, ist für die Youtuber verlockend. „Man empfindet das immer noch so, dass man es dann geschafft hat, wenn man im Fernsehen ist", sagt Michael Brycz, Artist Manager bei Divimove. „Spätestens jetzt versteht auch meine Oma, was ich eigentlich mache." Und so überrascht es auch nicht, dass LeFloid zusammen mit zwei Freunden eine eigene Show im SWR übernimmt.

Was den Wechsel vielleicht neben dem Vermögens- und Imagezuwachs attraktiv macht, ist die ungewisse Zukunft von Youtube. Einige Experten glauben, dass dessen Potenzial ausgeschöpft sei. Zwar generiert Youtube immer noch Millionen von Klicks, aber die aktivste Zuschauergruppe - die 12- bis 21-Jährigen - scheint an der Sättigungsgrenze zu sein. Die Abo- und Viewzahlen wachsen längst nicht mehr so schnell wie noch 2013.

LeFloid kann zurzeit beispielsweise einen Zuwachs von 70.000 Abonnenten verbuchen, zu seinen besten Zeiten waren es 160.000. Bei Y-Titty sieht es ähnlich aus: Waren es 2013 noch 180.000 neue Abos im Monat, sind es jetzt weniger als 10 Prozent davon. "Die Entwicklung ist natürlich nicht bei allen Youtubern zu beobachten, aber doch symptomatisch", sagt ein ehemaliger Mitarbeiter von Mediakraft.

"Eine Karriere auch außerhalb von Youtube zu haben, ist darum wichtig für die Nachhaltigkeit", sagt Artist Manager Brycz. Divimove und andere Netzwerke statteten deshalb ihre Stars mit so genannten 360-Grad-Verträgen aus, die nicht nur das Geschehen auf Youtube abdecken. So sind etwa Die Lochis und Freshtorge auch auf der Kinoleinwand unterwegs, ApeCrime haben im vergangenen Jahr ihr erstes Musikalbum und Y-Titty ihr erstes Buch veröffentlicht.

Mittlerweile seien Live-Auftritte sehr wichtig, so Brycz. Die Fans wollten ihre Stars auch in Echt sehen. Vor allem aber können die Youtuber hier ihre Produkte promoten. Mediakraft hat bereits vor zwei Jahren mit den Bühnenshows angefangen, ließ seine Stars bei den populären Videodays antreten, singen oder öffentlich Kuchen essen. TubeOne ging mit seinen bekanntesten Künstlern Anfang des Jahres auf Gangtour.

Am Ende wird Youtube nicht mehr als ein Verbreitungsweg von vielen bleiben. Längst sitzen Konkurrenten wie Instagram und Snapchat der Plattform im Nacken - bereit, den nächsten großen Star hervorzubringen. Für einen ehemaligen Mitarbeiter von Mediakraft nur noch "eine Frage der Zeit".

Marlene Rümpker alias Miss Pandamonia berührt das alles noch nicht. Sie hört sich gerade zum siebten Mal "So, zum Abendessen mache ich mir heute mal einen Salat" sagen. Sie sitzt am Laptop, um den Beitrag zu schneiden und den Ton anzupassen. Fünf bis sieben Stunden braucht sie pro Video; nur alle drei Tage lädt sie eins auf Youtube hoch. Sollte ein Netzwerk bei ihr anfragen: Sie möchte auf jeden Fall ihre Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau zu Ende machen, sagt die 20-Jährige. Wegen der Sicherheit. Aber nein sagen würde sie wohl nicht.

Ähnliche Beiträge

Digitale Götterdämmerung

Dieses Jahr feierte Youtube seinen zehnten Geburtstag. Lange Zeit schien das Wachstum der Videoplattform keine...

Zum Original