Mein Fußballmoment des Jahres: Freiburg international
Ein kleiner Verein auf der großen Bühne. Der Sport-Club Freiburg scheitert in der Quali zur Europa League. Und beschert unserem Autor trotzdem einen fantastischen Sommer.
Wer mich kennt weiß, dass ich nur selten zu Gefühlsausbrüchen neige. Meistens schlucke ich den Ärger hinunter. Halte die Klappe. Beim Fußball ist das anders. Ein kleiner Fehler - und sei es in der ersten Minute - reicht, um aus der Haut zu fahren. Ein Tor kann dazu führen, dass mein Gesicht beim Jubeln völlig entgleist. Was mich beim Anblick von Fotos immer wieder erschreckt.
In den wirklich wichtigen Momenten bin ich aber ganz alleine. Kann mich nicht freuen. Nicht ärgern. Während auf den Rängen um mich herum gerade alles einstürzt, bin ich der Wellenbrecher. Ein Fremdkörper. So auch jetzt, in dieser warmen Sommernacht. Neben mir: Enttäuschung, Wut und Ärger. In mir: Nichts. Den grünen Plastiksitz, auf dem ich sitze, sehe ich nicht. Meine Hände sind vor das Gesicht geschlagen, um die Tränen zu verbergen. Eigentlich weine ich nie. Das letzte Mal als mein Opa vor acht Jahren starb. Mit ihm sah ich mein erstes Spiel im Dreisamstadion. Eine 0:2-Niederlage gegen den HSV. Der ehemalige Freiburger Cardoso machte beide Tore. Was eigentlich nebensächlich war, weil die Anzeigetafel andauernd ein Leverkusener Tor in Ulm vermeldete, was von einem immer lauter werdenden Raunen begleitet wurde. Das Spiel endete 1:9.
Knallende Sterni-Korken
Mein Fußballmoment des Jahres ist eine Reise durch den Sommer 2017. Er beginnt mit dem Pokalfinale zwischen Frankfurt und Dortmund. Eigentlich könnte es mir egal sein, doch nur ein Sieg der Dortmunder würde den Tabellensiebten Freiburg nach Europa bringen. Es ist ein komisches Gefühl, einem Team die Daumen zu drücken, zu dem emotional überhaupt kein Bezug besteht. Und doch knallten die Sterni-Kronen, als Aubameyang zum Siegtreffer anlief.
Nur vier Jahre nach der letzten Europa-League-Teilnahme spielt der Sport-Club Freiburg also wieder international. Eine großartige Leistung, schließlich ist es sonst das höchste aller Gefühle, wenn der Nichtabstieg bereits vor dem 30. Spieltag gefeiert werden kann. Und das ist so auch völlig in Ordnung.
Zwischen Felswänden und vollbärtigen Isländern
Ich war elektrisiert. Hatte im Sommer nichts vor und zum Glück so viel Kohle auf dem Konto, um sogar nach Island fliegen zu können. Das wäre nämlich möglich gewesen, hätte Valur Reykjavík nicht gegen NK Domzale verloren. Mit zwei guten Freunden saß ich bereits mit gezückter Kreditkarte und ausgewählten Flügen vor den Computern. Links das Flugportal. Rechts der körnige Livestream eines Wettanbieters. Morgens ein Bad in den heißen Quellen. Abends das Spiel unter nebligen Flutlicht. Das Stadion eingerahmt von steilen Felswänden und vollbärtigen Isländern. So malten wir uns das aus. Wurde nur leider nichts. Immerhin gut für den Geldbeutel.
Es ist jedem Fußballfan von Herzen zu wünschen, dass er ein Mal seinen Verein international spielen sieht. Das Gefühl – hunderte Kilometer von zu Hause in einer fremden Stadt den Gesängen zu folgen und schließlich all die bekannten Gesichter entdecken, den Nachmittag mit kühlem Bier verbringen und schließlich gemeinsam zum Stadion laufen – ist fantastisch. Mit einem meiner besten Freunde fahre ich bereits einige Tage vor dem Spiel los. Wir essen Knoblauchsuppe aus einem riesigen Brotlaib in Bratislava und Wiener Schnitzel in Österreich. Die Gedanken und Gespräche drehen sich immer nur um das anstehende Spiel. Im Zug von Wien nach Ljubljana haben wir ein Abteil für uns. Der Weißwein aus dem Bahnhofskiosk, ein grüner Veltiner, hat sich chamäleonartig der Zugtemperatur angepasst. Wir recken unsere Köpfe aus dem Fenster, lassen den Fahrtwind Klimaanlage spielen und summen Fangesänge vor uns hin. Nichts kann schiefgehen.
Der Block ist heiß
Das Hinspiel haben wir mit 1:0 gewonnen. Kein optimales Ergebnis. Aber ein Auswärtstor wird schon reichen, denke ich mir. Das Stadion ist nur spärlich besucht, nur wenige Fans aus Domzale sind nach Ljubljana gereist. Ihr eigenes Stadion erfüllt nicht die Richtlinien der UEFA. Mit lautstarker Unterstützung ist jedenfalls nicht zu rechnen. Beim Einlaufen der Mannschaften lodert rotes Licht in der ersten Reihe auf. Der Block ist heiß. Die Mannschaft hoffentlich auch. Leider ist die erste Halbzeit ähnlich fad wie die Knoblauchsuppe in Bratislava. Freiburg ist anzumerken, dass die Vorbereitungszeit kurz war. Vorne fehlt die Kreativität von Grifo und Philipp. Aber solange es beim 0:0 bleibt, soll es mir recht sein, denke ich in der Halbzeit.
Doch plötzlich passiert es dann doch. Söyüncü, dieser genial-verrückte Abwehrspieler, schlurft seinem zum Schuss ansetzenden Gegenspieler in die Ferse. Pfiff. Elfmeter. Tor für den Außenseiter. Fuck.
An den Rest des Spiels erinnere ich mich kaum noch. Die Anspannung, Hitze und wohl auch das Bier schlagen mir auf den Kopf. Wir brauchen dieses eine Tor. Doch auf dem Platz gelingt nichts. Gar nichts. Im Gegenteil. Einwurf für Domzale. Am eigenen Strafraum. Und dann geht alles ganz schnell. Neun Ballkontakte. Ein perfekter Konter. Mitten ins Herz. Leere.
Und jetzt sitze ich hier auf dem grünen Plastiksitz und flenne. Warum? Ich kann es mir nicht erklären. Bin aber froh, dass meine Emotionen nicht in Wut umschlagen. Sie müssen einfach raus.
Groß im Wesen
Die Traurigkeit wird noch einige Tage anhalten. Und wenn sie verfliegt, werden die Erinnerungen bleiben. Die schönen. Christian Streich sagte nach dem Abstieg 2015: »Der Verein ist ein kleiner Verein, aber ein großer in seinem Wesen.« Und wenn ich später einmal von diesem großartigen Verein erzähle, wird die Geschichte nicht vom Ausscheiden handeln. Sondern vom Sommer der Freude. Meinen Freunden. Dem Glück, diesem einzigartigen Verein international hinterher reisen zu dürfen.
VERÖFFENTLICHT: 30.12.2017
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