Robert Schmidt

Freier Journalist, Straßburg

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Dank Crowdfunding Projekte einfach finanzieren: Massen-Moneten-Mobilisierung | NZZ

Komplizierte und langwierige Antragsverfahren bei Stiftungen und der öffentlichen Hand schrecken viele Projektinitianten ab. Kulturelle Projekte lassen sich heute leichter finanzieren - online durch Crowdfunding, zu Deutsch Schwarmfinanzierung.

In Zeitlupe einen Boxhieb austeilen oder lieber Fisch ins Gesicht schmieren? Der Zuschauer im ersten interaktiven Musikvideo der Schweiz kann selber entscheiden, was dem Frontsänger der Band "Death by Chocolate" blühen soll. Noch hat er aber nicht zu leiden, denn die Szenen müssen erst noch von Mitch Bekk, Student CAST/ Audiovisuelle Medien an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), gefilmt werden. Und zwar mit einer Slowmotion Kamera, damit man jede Zuckung des Frontsängers auch sehen kann. Das Video ist als Bachelorarbeit von Bekk geplant.

Allerdings kostet allein die Miete der speziellen Kamera 1500 Franken pro Tag. Mitch Bekk machte sich deshalb auf die Suche nach Geldgebern - und fand einen ganzen Schwarm von Gebern. Dies auf der Schweizer Crowdfunding-Plattform www.wemakeit.ch. "Ein Dozent hat mich auf diese Plattform aufmerksam gemachtt", sagt Bekk. Das Video Projekt ist 30 Tage auf der Plattform präsent und jeder kann eine der vorgegebenen Geldsummen übernehmen. Für beispielsweise 200 Franken erhält man ein persönliches Geburtstagsständchen der Band via Skype. Falls Bekk es nicht schafft, die volle vorgeschlagene Summe von 3300 Franken zu erhalten, bekommen die Geldgeber ihr Geld zurück.

Crowdfunding

Crowdfunding ist ein Konzept, bei dem ein Projekt durch eine Vielzahl von Menschen über das Internet begleitet und finanziell unterstützt wird. Gefördert werden können dabei ganz verschiedene Dinge: eine Film- oder CD-Produktion, eine politische Kampagne oder eine Unternehmungsgründung. Oft bekommen die Unterstützer eine Gegenleistung, wie beispielsweise Firmenanteile oder eine CD des Künstlers. Crowdfunding entstand Ende der 90er Jahre in den USA. Es ist mittlerweile auch in Europa sehr erfolgreich.

1,2 Millionen Franken gesammelt

Im Vergleich zu anderen Schwarmfinanzierung backt Bekk allerdings kleine Brötchen. In Deutschland kam dank Crowdfunding Ende 2011 für die Kinoproduktion "Stromberg" innerhalb von nur einer Woche mehr als 1,2 Millionen Schweizer Franken zusammen. Auch der 23-jährige David Summe, der Sozialwissenschaften an der Universität Erfurt studiert, und sein Freund und Kameramann, der 22-jährige Michael Nann, finanzierten ein Filmprojekt auf diese Weise. Ihr Film "212-Projekt", ist eine filmische Reise nach Israel. "Wir haben zufällig erfahren, dass es im Internet bei Startnext die Möglichkeit gibt, sich so finanzieren zu lassen", erzählt David und ergänzt: "Das geht ganz einfach: man muss das Projekt an Hand eines Fragebogens vorstellen. Dann gibt Startnext das OK und man kann sich eine Seite einrichten und diese als Präsentationsfläche nutzen." Die beiden Studenten wollten 1100 Euro. Ende Juli 2011 konnten sie 1151 Euro entgegennehmen.

Neue Plattformen entstehen

Startnext, als grösste deutsche Plattform, hat bereits auch Schweizer Kreative gefördert, etwa den Zürcher Fotographen Peter Michels. Nach eigenen Angaben unterstützen sie "Kreative und Künstler wie Filmemacher, Musiker, (Mode-)Designer, Schriftsteller, Journalisten, Maler, Spieleentwickler, usw.". Die Plattform sei in der Schweiz laut Startnext-Sprecherin Anna Theil im Aufbau: "Wir freuen wir uns derzeit sehr über Kooperationsanfragen."

Crowdfunding könne für kleine Projekte zu einem interessanten Kanal werden, prognostiziert auch Markus Gander, Geschäftsführer vom Schweizer Jugendförderungsportal infoklick.ch. "Über das Web werden eventuell Leute erreicht, die sonst nicht spenden", sagt Gander. Die Plattformen erlauben es umgekehrt Spendenwilligen nach genau dem Projekt zu suchen, das sie unterstützen möchten. In der Schweiz sei aber das Prinzip noch nicht weit verbreitet.

Erst seit kurzem gibt es hierzulande reine Crowdfunding-Plattformen, wie wemakeit.ch, auf der Mitch Bekk sein Glück versucht, oder diejenige der Macher des Internet-Ausgeh-Führers "Ron Orp" www.100-days.net. Bei dieser Seite ist die Finanzierungslaufzeit generell auf 100 Tage festgesetzt.

Wer erhält und bezahlt wieviel?

Die Plattformen haben jedoch auch ihren eigenen Businessplan. Bei wemakeit.ch gehen zehn Prozent der Projektgelder als Gebühr an die Plattforminhaber: sechs Prozent als Kommission, vier Prozent als Kreditkartengebühren. Nicht-Kreditkarteninhaber oder Nicht-Paypal-Nutzer bleiben aussen vor. Bei Nichterreichen der Finanzsumme kostet dies den Projektinitianten nichts.

Bei 100-days.net kann man per Kreditkarte, Paypal, Postfinance oder per SMS "spenden". Auch bei 100-days.net fallen Kommissionsgebühren (5 Prozent) und die Überweisungskosten an.

Bei Startnext in Deutschland kann ein Geldgeber das kostenfreie Verfahren Fidorpay nutzen - allerdings ist dies aus der Schweiz nicht möglich. Für Schweizer fallen also auch wieder Überweisungskosten an. Während wemakeit.ch und 100-days.net gewinnorientiert arbeiten, ist Startnext kostenlos und gibt 100 Prozent der Gelder an die Projekte weiter. Aber dies gilt nur für das Basispaket, der Premium-Service wiederum muss bezahlt werden.

"Einen Plan B haben"

Noch hat der Kunststudent Mitch Bekk sein interaktives Videoprojekt nicht finanziert. Aber er ist auf gutem Weg dies zu schaffen. Von den angestrebten 3300 Franken hat er für sein Projekt bereits 2765 beisammen. Sein Tipp für eine Crowdfinanzierung: "Unbedingt einen Plan B in der Tasche haben. Denn, wenn die Finanzierung nicht vollständig zustande kommt, bekommt man gar kein Geld." Zudem sei es nicht einfach mit Hochladen von Bildern auf die Plattform und ein paar netten Worten getan. "Nur wenn seine eigenen Netzwerke mobilisiert und frech ist, hat man eine Chance", ist er überzeugt. Noch hat er 13 Tage um sein Ziel zu erreichen.

Crowdfunding: just another hype?

Veranstaltung zum Thema:"Crowdfunding: just another hype?" am 21. Februar 2012 um 19 Uhr im Hub Zurich, Viaduktstrasse 93-95, Zürich. Eintritt: 15 Franken, inkl. Apéro. Online-Anmeldung.

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