Von Robert B. Fishman
Zejtun, Malta. In einer Dorfkneipe sitzen vor allem Männer an abgestoßenen, kunststoffbeschichteten Tischen. Seit den 70er Jahren hat sich in dem kahlen Raum nichts verändert. Nur der Flatscreen-Fernseher an der Wand ist neu. Die Wirtin bringt Tapas-Tellerchen mit Oliven, Schnecken, Nudeln, Knabbereien. Jede der vielen leeren Bierflaschen ersetzt sie gleich durch eine volle.
„Pscht“, zischt einer der Gäste, die anderen greifen den Laut auf. Es dauert keine Minute, bis alle Gespräche verstummen. Ein kräftiger graubärtiger Mann, der bisher still am Rand der Szene gestanden hat, beginnt leicht krächzend zu singen: erst in normaler Tonlage, dann immer höher bis sich seine Stimme überschlägt. Nach ein paar Akkorden, die drei Musiker dazu auf ihren Gitarren spielen, fallen andere Sänger ein. Zwischen den Barden entspinnt sich ein Dialog auf Maltesisch, einem arabisch klingenden Idiom, durchsetzt mit sizilianischen Lauten. Die Zuhörer lauschen, lachen, klatschen.
“Die nehmen sich gegenseitig auf die Schippe“, erklärt Manuel, ein Muskelprotz im leuchtend orangefarbenen T-Shirt. Der Bauunternehmer ist der einzige in der Runde, der ein wenig der zweiten Amtssprache Englisch beherrscht. „Die meisten sind nie oder höchstens vier Jahre zur Schule gegangen“, entschuldigt der 50jährige seine Freunde. Dennoch formulieren die Sänger ihre Battle-Texte aus dem Stegreif. Niemand hat Notizen. Jede Strophe liefert eine spontane Antwort auf den Beitrag des Vorgängers.
Entstanden sind die Għana (sprich Ahna)genannten Liedern bei der Arbeit auf den Feldern. Bauern und Waschfrauen haben bei der Plackerei die Schönheit ihres Landes oder den Alltag in der Landwirtschaft besungen. „Damals gab es kein Fernsehen, kein Internet“, weiß Manuel, der singende Bauunternehmer. Neben sportlichen Wettbewerben dienten die Lieder der Information. So tauschten die Menschen Geschichten und Klatsch aus und berichteten von Erlebnissen.
Später entstanden Spottlieder wie das vom ewig betrunkenen Kapitän, den seine Mannschaft auf‘s Altenteil schicken will. Ein Stück erzählt von jungen Männern, die auf der Suche nach schönen Mädchen durch die Dörfer ziehen. An jeder gefällt ihnen etwas nicht. Frustriert kehren sie zurück. Über die Jahrzehnte entstanden immer neue Formen von Għana. Mal gibt jemand aus dem Publikum ein Thema vor, das die Darsteller spontan in ihrem Singsang diskutieren. In anderen Stücken, den Pront provozieren sie sich gegenseitig.
Manuel sieht die wöchentlichen Sängerwettstreite vor allem als Sport: „Das ist wie boxen, mit Worten statt mit Fäusten.“ Manchmal sagt er noch kurzem Zögern, „bekommen sich die Sänger so in die Wolle, dass sie sich prügeln, wie nach einem Fußballspiel.“ Aber das sei selten.
Viele Bier später singen die Herren weiter fröhlich um die Wette, als ein kräftiger Kerl mit einem Vogelkäfig unter dem Arm die Kneipe betritt. Fast alle drehen sich nach ihm um. Ein Glatzkopf steht auf und bestaunt das eingesperrte Kanarienvögelchen. Zärtlich streicht er über die Gitterstäbe. „Die sind streng geschützt“, erklärt der Besitzer. Er habe den Vogel von einem Züchter. Auf Druck der EU, der Malta vor elf Jahren beigetreten ist, hat die Regierung die Jagdregeln verschärft. Inzwischen sei es verboten, die Tiere in der Natur zu fangen. Wer erwischt wird, muss mit einer Anklage und einem Gerichtsverfahren rechnen. Er halte sich „selbstverständlich“ an die Gesetze.
In einer Ecke der Kneipe singen vier Männer um die Wette. Sie stehen im Kreis um die drei Gitarrenspieler, die die monotone Begleitmusik aus wenigen Klängen liefern. „Meine Freunde gehen lieber auf Parties oder in die Disko, erzählt Eon. Der Gitarrenspieler ist mit 16 der Jüngste in der Runde. Als Kind hat er seinen singenden Vater auf der Gitarre begleitet und ist dabei geblieben. „Diese Lieder“, schwärmt der schmächtige junge Mann mit dem Flaumbart, „sind hunderte von Jahren alt. So etwas hörst Du in keiner Diskothek.“
Die Recherche für diesen Beitrag wurde teilweise unterstützt von visit Malta. Vielen Dank
Malta Info:
Tourist-Info: Fremdenverkehrsamt Malta,
Schillerstr. 30-40, 60313 Frankfurt/M., Tel. 069/247503-130
Opernring 1/R/5, 1010 Wien, Tel. 01/5853770
- Postfach 2131, 8060 Zürich-Flughafen, Tel. 043/8163015
http://www.visitmalta.com/de/
Valletta:
Europäische Kulturhauptstadt 2018: http://valletta2018.org/
Webseite der Stadt mit Veranstaltungskalender: http://www.cityofvalletta.org/
Valletta Tourist Info: http://www.visitvalletta.de/
VG-Wort Nr: 9001378
Zum Original
Zejtun, Malta. In einer Dorfkneipe sitzen vor allem Männer an abgestoßenen, kunststoffbeschichteten Tischen. Seit den 70er Jahren hat sich in dem kahlen Raum nichts verändert. Nur der Flatscreen-Fernseher an der Wand ist neu. Die Wirtin bringt Tapas-Tellerchen mit Oliven, Schnecken, Nudeln, Knabbereien. Jede der vielen leeren Bierflaschen ersetzt sie gleich durch eine volle.
„Pscht“, zischt einer der Gäste, die anderen greifen den Laut auf. Es dauert keine Minute, bis alle Gespräche verstummen. Ein kräftiger graubärtiger Mann, der bisher still am Rand der Szene gestanden hat, beginnt leicht krächzend zu singen: erst in normaler Tonlage, dann immer höher bis sich seine Stimme überschlägt. Nach ein paar Akkorden, die drei Musiker dazu auf ihren Gitarren spielen, fallen andere Sänger ein. Zwischen den Barden entspinnt sich ein Dialog auf Maltesisch, einem arabisch klingenden Idiom, durchsetzt mit sizilianischen Lauten. Die Zuhörer lauschen, lachen, klatschen.
“Die nehmen sich gegenseitig auf die Schippe“, erklärt Manuel, ein Muskelprotz im leuchtend orangefarbenen T-Shirt. Der Bauunternehmer ist der einzige in der Runde, der ein wenig der zweiten Amtssprache Englisch beherrscht. „Die meisten sind nie oder höchstens vier Jahre zur Schule gegangen“, entschuldigt der 50jährige seine Freunde. Dennoch formulieren die Sänger ihre Battle-Texte aus dem Stegreif. Niemand hat Notizen. Jede Strophe liefert eine spontane Antwort auf den Beitrag des Vorgängers.
Entstanden sind die Għana (sprich Ahna)genannten Liedern bei der Arbeit auf den Feldern. Bauern und Waschfrauen haben bei der Plackerei die Schönheit ihres Landes oder den Alltag in der Landwirtschaft besungen. „Damals gab es kein Fernsehen, kein Internet“, weiß Manuel, der singende Bauunternehmer. Neben sportlichen Wettbewerben dienten die Lieder der Information. So tauschten die Menschen Geschichten und Klatsch aus und berichteten von Erlebnissen.
Später entstanden Spottlieder wie das vom ewig betrunkenen Kapitän, den seine Mannschaft auf‘s Altenteil schicken will. Ein Stück erzählt von jungen Männern, die auf der Suche nach schönen Mädchen durch die Dörfer ziehen. An jeder gefällt ihnen etwas nicht. Frustriert kehren sie zurück. Über die Jahrzehnte entstanden immer neue Formen von Għana. Mal gibt jemand aus dem Publikum ein Thema vor, das die Darsteller spontan in ihrem Singsang diskutieren. In anderen Stücken, den Pront provozieren sie sich gegenseitig.
Manuel sieht die wöchentlichen Sängerwettstreite vor allem als Sport: „Das ist wie boxen, mit Worten statt mit Fäusten.“ Manchmal sagt er noch kurzem Zögern, „bekommen sich die Sänger so in die Wolle, dass sie sich prügeln, wie nach einem Fußballspiel.“ Aber das sei selten.
Viele Bier später singen die Herren weiter fröhlich um die Wette, als ein kräftiger Kerl mit einem Vogelkäfig unter dem Arm die Kneipe betritt. Fast alle drehen sich nach ihm um. Ein Glatzkopf steht auf und bestaunt das eingesperrte Kanarienvögelchen. Zärtlich streicht er über die Gitterstäbe. „Die sind streng geschützt“, erklärt der Besitzer. Er habe den Vogel von einem Züchter. Auf Druck der EU, der Malta vor elf Jahren beigetreten ist, hat die Regierung die Jagdregeln verschärft. Inzwischen sei es verboten, die Tiere in der Natur zu fangen. Wer erwischt wird, muss mit einer Anklage und einem Gerichtsverfahren rechnen. Er halte sich „selbstverständlich“ an die Gesetze.
In einer Ecke der Kneipe singen vier Männer um die Wette. Sie stehen im Kreis um die drei Gitarrenspieler, die die monotone Begleitmusik aus wenigen Klängen liefern. „Meine Freunde gehen lieber auf Parties oder in die Disko, erzählt Eon. Der Gitarrenspieler ist mit 16 der Jüngste in der Runde. Als Kind hat er seinen singenden Vater auf der Gitarre begleitet und ist dabei geblieben. „Diese Lieder“, schwärmt der schmächtige junge Mann mit dem Flaumbart, „sind hunderte von Jahren alt. So etwas hörst Du in keiner Diskothek.“
Die Recherche für diesen Beitrag wurde teilweise unterstützt von visit Malta. Vielen Dank
Malta Info:
Tourist-Info: Fremdenverkehrsamt Malta,
Schillerstr. 30-40, 60313 Frankfurt/M., Tel. 069/247503-130
Opernring 1/R/5, 1010 Wien, Tel. 01/5853770
- Postfach 2131, 8060 Zürich-Flughafen, Tel. 043/8163015
http://www.visitmalta.com/de/
Valletta:
Europäische Kulturhauptstadt 2018: http://valletta2018.org/
Webseite der Stadt mit Veranstaltungskalender: http://www.cityofvalletta.org/
Valletta Tourist Info: http://www.visitvalletta.de/
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