Reinhard Huschke

Freier Journalist und Texter, Freiburg

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Artikel

Ungeteilter Himmel über Berlin

Der Charme der Tempelhofer Freiheit in Berlin (Foto: Tempelhof Projekt GmbH)

Verlässt man die Berliner Häuserschluchten und betritt das ehemalige Flughafengelände im Süden der Stadt, ist der Himmel plötzlich grenzenlos und ungeteilt - bis zum Horizont reicht der Blick. Selbst das Flughafenterminal, mit einer Länge von 1,2 Kilometern eines der größten Gebäude der Welt, verliert sich in einer Ecke des ausgedehnten Geländes. Obwohl Berlin seit jeher zu den grünsten Metropolen weltweit gehört, gab es einen solchen „Luxus der Weite mitten in der Stadt", wie es auf der Website des programmatisch „Tempelhofer Freiheit" getauften Parks heißt, bisher nicht. An schönen Tagen tummeln sich deshalb Spaziergänger, Radfahrer, Inline-Skater und andere Freizeitliebhaber, ohne dass es ungemütlich wird, denn auf der riesigen Fläche - mit 220 Hektar ist der Park noch zehn Hektar größer als der Berliner Tiergarten - ist genügend Platz für alle.

Ein Ort der Geschichte

Neben der unerwarteten Weite liegt der besondere Reiz des Geländes auch darin, dass am ursprünglichen Zustand bisher wenig verändert wurde. Die von einem hohen Zaun umgebene Fläche erhielt lediglich Zugänge von drei Seiten, die von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang geöffnet sind; ein paar Info-Kioske, Wegweiser und Bänke wurden aufgestellt, außerdem „Pionierfelder" wie Grillplätze, Skaterstrecken und Aussichtspunkte angelegt. Alles wirkt noch recht provisorisch, anstelle gepflegter Rasenflächen gibt es Spontanvegetation, von wuchernden Pflanzen aufgebrochene Asphaltreste und diverse Relikte aus der Flughafenzeit. Auch die breiten Betonpisten der Start- und Landebahnen sind zur Freude der Radler und Skater noch vorhanden. Es sieht so aus, als wäre die Zeit einfach stehen geblieben, nachdem der letzte Flieger abgehoben hat, man sieht dem Ort seine Vergangenheit noch an.

Und diese Vergangenheit war überaus vielfältig: Exerzierplatz der Berliner Garnison, Schauplatz erster Flugversuche Anfang des 20. Jahrhunderts, ab 1923 einer der ersten Verkehrsflughäfen Deutschlands, in der Nazizeit Teil der größenwahnsinnigen „Germania"-Hauptstadtplanungen Albert Speers, wurde Tempelhof endgültig zum Mythos durch die Berliner Luftbrücke 1948. Im Oktober 2008, nach 85 Betriebsjahren, hat nun die vielleicht schönste, in jedem Fall die friedlichste Epoche begonnen. Stimmten die Berliner bei einem Volksentscheid noch mehrheitlich gegen die Schließung ihres traditionsreichen Flughafens, ist die Begeisterung über den gewonnenen Freiraum heute groß.

Große Pläne für die Zukunft

So wie der Park jetzt ist, könnte er auch bleiben, meinen deshalb viele. Doch die Stadtplaner haben ambitionierte Pläne und wollen das Gelände im Rahmen einer Internationalen Bauausstellung (IBA) weiterentwickeln. Ziel ist es, einen „modernen Freiraum des 21. Jahrhunderts" mit hoher gestalterischer Qualität zu schaffen. In Randbereichen des Parks sollen neue Wohnviertel entstehen, was in den angrenzenden, nicht gerade wohlhabenden Bezirken Neukölln und Tempelhof sogleich Sorgen wegen Mietsteigerungen ausgelöst hat. Last but not least soll hier die neue Landes- und Zentralbibliothek ihren Platz finden.

Um die Frage, wie der Park künftig aussehen soll und wie dabei auch die Interessen der heutigen Anwohner gewahrt werden können, ist deshalb eine heftige Debatte entbrannt. Was bleibt, was soll wie umgebaut werden? Bis zur IBA im Jahr 2020 sollen die Planungen unter Beteiligung der Bürger konkretisiert werden. Bleibt zu hoffen, dass die Tempelhofer Freiheit so behutsam weiterentwickelt wird, dass ihr unvergleichlicher Charme erhalten bleibt.


Nachbemerkung: Der Beitrag stammt vom Juni 2012. Inzwischen ist die IBA abgesagt und der Vorschlag des Senats für eine moderate Randbebauung wurde per Bürgerentscheid abgelehnt. Auch die Landes- und Zentralbibliothek wird anderswo (am Blücherplatz) gebaut. 



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