Reinhard Huschke

Freier Journalist und Texter, Freiburg

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Glosse

Rundfahrt mit Hindernissen

Unterwegs im Robobus: Auf dem Campus des Berliner Charité-Krankenhauses verkehren seit diesem Frühjahr selbstfahrende elektrische Kleinbusse im Testeinsatz. Bis zur echten Autonomie sind allerdings noch einige Kinderkrankheiten zu beheben.


Berlin, 25. Juni 2018, ein bedeckter Sommertag. Ich plane einen eher ungewöhnlichen Ausflug: eine Probefahrt mit dem „Bus-Shuttle Charité“, einem autonom fahrenden Kleinbus im Campus Mitte der Charité. Hier und an zwei weiteren Orten in Berlin – auf dem Campus des Virchow-Klinikums im Stadtteil Wedding sowie auf dem EUREF-Forschungsgelände in Schöneberg – werden solche „Roboterbusse“ zur Zeit getestet.

Mit einem Anruf beim Kundenservice der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die den autonomen Bus-Shuttle betreiben, fängt meine Probefahrt an. Als pflichtbewusster Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel erkundige ich mich, ob ich für die Mitfahrt ein Ticket brauche. „Bus-Shuttle Charité?“ fragt der Mitarbeiter ungläubig. „Was soll dit sein?“ Ich erkläre ihm, dass es sich um autonome Kleinbusse handelt, die ohne Busfahrer verkehren. Schweigen in der Leitung. „Sie sind aber nicht von ‚Verstehen Sie Spaß’, oder?“

Nach Rücksprache mit einem Kollegen im Hintergrund glaubt er mir schließlich, dass es sich nicht um einen Scherzanruf handelt. Von dem Projekt, dass die BVG mit dem Slogan „Wir fahren Zukunft“ bewirbt, habe er noch nie etwas gehört. Egal, heute ist ja auch noch Gegenwart. Ich beschließe, den Bus einfach ohne Ticket auszuprobieren (tatsächlich braucht man keins).

„Wir lassen keinen fahren“

Insgesamt neun Stationen hat der 1,2 Kilometer lange Rundkurs innerhalb des Charité-Campus in Berlin-Mitte, zwei weitere Strecken mit insgesamt 2,6 Kilometern gibt es im Virchow-Klinikum im Ortsteil Wedding. Insgesamt vier elektrische Kleinbusse der französischen Hersteller Navya und Easymile sind im Einsatz, die je nach Modell 12 bis 15 Personen befördern können. Die Fahrzeuge sind BVG-typisch mit lockeren Sprüchen beschriftet, z.B. „Wir lassen keinen fahren.“

Endlich geht es los: An der Haltestelle Nr. 4 vor der Inneren Medizin steige ich in einen putzigen gelben Easymile EZ10. Fahrgäste gibt es außer mir keine, dafür gleich zwei BVG-Mitarbeiter. Pensionierte Busfahrer, wie sie mir erzählen. Ihre Aufgabe sei es, die Fahrt zu überwachen und besondere Vorkommnisse zu protokollieren. Begeistert von ihrer Tätigkeit wirken sie nicht gerade – aber das ginge mir als gelerntem Busfahrer in einem selbstfahrenden Bus wohl nicht anders. 

Die Türen schließen sich und der Bus setzt sich in Bewegung. Maximal 45 Stundenkilometer könnte er laut Hersteller fahren. Im Moment zuckelt er aber nur mit 12 km/h dahin, sodass man gemächlich nebenherjoggen könnte. Später soll das Tempo auf bis zu 20 km/h gesteigert werden. Kreuzende Patienten oder Chefärzte erkennt das Fahrzeug mit Hilfe mehrere Kameras und Lidar-Sensoren und stoppt im Fall des Falles. 

„Ausweichen geht noch nicht“

Anstandslos geht es um die nächste Kurve, aber dann nicht weiter. Ein Ereignis fürs Protokoll. Grund ist ein geparkter, halb auf die Fahrbahn ragender Lieferwagen. „Wenn die einprogrammierte Strecke nicht frei ist, bleibt er stehen“, erklärt man mir. „Ausweichen geht im Moment noch nicht.“ Nach einem in den kommenden Monaten anstehenden Software-Update soll auch das möglich sein. 

Der Lieferwagenfahrer hat ein Einsehen und fährt sein Fahrzeug beiseite. Der Bus setzt sich wieder in Bewegung. Ein paar hundert Meter weiter steht schon wieder ein Kastenwagen vor uns, zum Glück knapp außerhalb der einprogrammierten Route. Deshalb traut sich der Bus, in wenigen Zentimetern Abstand langsam vorbeizukriechen. Warum so knapp? Klar, einfach ein Stück weiter rüberfahren kann er (noch) nicht, da er dann seine Route verlassen müsste. 

Bisher war ich der einzige Fahrgast – mit dem luxuriösen Personalschlüssel 2:1. Das ändert sich nun, an der nächsten Haltesäule wartet jemand. „Halt, nicht auf den Türknopf drücken“, gestikuliert man ihm zu und erklärt mir: „Die Türen sind so programmiert, dass sie sich an der Haltestelle automatisch öffnen. Drückt jemand zu früh auf den Knopf, schließen sie sich gleich wieder.“ Da dies der Funktionsweise aller sonstigen Fahrzeugtüren bei der BVG widerspricht, muss der Programmierer nochmal ran. Eine Notiz fürs Protokoll. Der Fahrgast schaut leicht irritiert und steigt ein. 

„Da kann nichts passieren“

Bremsmanöver wegen unaufmerksamer Fußgänger gab es bisher keine, dafür abermals für einen Lieferwagen. Der steht direkt unter einem Halteverbotsschild, vom Fahrer ist weit und breit nichts zu sehen. Die Gelegenheit, mir zu demonstrieren, dass der Bus doch ausweichen kann, bisher allerdings nur per Handsteuerung. Dafür gibt es ein kleines, portables Bedienpult mit Joysticks. Die automatische Kollisionsüberwachung bleibe auch im manuellen Modus aktiv, beruhigt man mich: „Da kann nichts passieren.“ Wie sicher sich die Passagiere in selbstfahrenden Bussen wirklich fühlen, untersucht das Institut für medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Charité in einer Begleitstudie.

Wir nähern uns wieder der Haltesäule Nr. 4, meine Runde geht zu Ende. Ich bedanke mich freundlich für die technischen Erläuterungen. Ab 2019, wenn die Ereignisprotokolle abgearbeitet und die nötigen Software-Updates aufgespielt sind, soll der Robobus tatsächlich autonom und ohne Begleitpersonen fahren. Vielmehr sollte – inzwischen wurde der Termin auf unbestimmte Zeit verschoben. Wann die Zukunft bei der BVG wirklich beginnt, ist also noch nicht abzusehen. Hoffen wir, dass der Kundenservice rechtzeitig davon erfährt.