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Wir sind hier nicht bei Eastwood, Fassbender!

Ungleiches Paar: Jay Cavendish (Kodi Smit-McPhee, r.) und Silas (Michael Fassbender) reiten gemeinsam durch Colorado

Es beginnt wie im Märchen, doch dem sollte man nicht trauen. "Es war einmal, im Jahr 1870, um genau zu sein. Da reiste ein 16-jähriger Junge von der kalten Schulter Schottlands ins brütende Herz Colorados, um seine Geliebte zu finden", erzählt eine Stimme aus dem Off. Der 16-Jährige ist Jay (Kodi Smit-McPhee). Die Frau, die er liebt, heißt Rose (Caren Pistorius). Früher waren die beiden unzertrennlich - bis Rose die Highlands verlassen musste. Warum, das erfahren wir später.


Jay reist ihr alleine nach. Er verlässt sich auf einen Kompass und ein Buch mit dem Titel "Ho! For The West!", eine Art frühen Vorläufer des Lonely Planet. Es ist ein Wunder, dass der unerfahrene, schmächtige Junge nicht von einem Bären gefressen oder von einem Schurken über den Haufen geschossen wird. Das kann der Kopfgeldjäger Silas (Michael Fassbinder) knapp verhindern. Nachdem er Jay das Leben gerettet hat, will er ihm bei seiner Suche nach Rose helfen. "Du brauchst einen Begleiter, und ich bin ein Begleiter", sagt er. Damit ist die Diskussion beendet. Für seine Dienste nimmt Silas 100 Dollar. Jay ahnt nicht, dass sein neuer Freund noch ganz andere Absichten hat.


"Slow West" ist das Kinodebüt des Schotten John Maclean. Der war früher Keyboarder in der ziemlich guten Beta Band. Als der Erfolg ausblieb, sattelte Maclean zum Filmemacher um. Michael Fassbender entdeckte das Talent des Regisseurs früh. Er drehte zwei Kurzfilme mit ihm: "Man on a Motorcycle", 2009 und "Pitch Black Heist", 2011. Für den ersten Spielfilm des Schotten verpflichtete sich der Schauspieler, noch bevor es ein Drehbuch oder auch nur einen Plot gab. Nun kommt "Slow West" in die Kinos. Beim Sundance Festival ist der Film bereits ausgezeichnet worden.


Der Titel führt jedoch in die Irre: "Slow West" ist flott inszeniert und verzichtet auf überflüssige Handlungsstränge. Mit 84 Minuten Laufzeit ist der Film ungewöhnlich kurz für einen Western. Maclean spricht ohnehin lieber von einem "europäischen  Roadmovie", und das ergibt durchaus Sinn: "Slow West" wurde in Neuseeland gedreht und spielt in Amerika, doch fast jede Figur im Film ist aus Europa eingewandert. Die Protagonisten sprechen mit irischem, schottischem, deutschem oder französischem Akzent. Der weiße Mann ist auf dem Vormarsch. Die Ureinwohner hat er schon an den Rand gedrängt.


In der Nacht schaut Jay traurig zu den Sternen, die wie Diamanten am Himmel hängen. "Eines Tages werden wir eine Eisenbahn zum Mond bauen", sagt er. "Das Erste, was wir dort tun werden, ist, die Mondbewohner umzubringen." Silas denkt über solche Dinge nicht nach. Er ist der wortkarge Griesgram, immer hin- und hergerissen zwischen seinem Egoismus und seinem Gewissen, das irgendwo unter der harten Schale vielleicht doch existiert. Welche Seite gewinnt, bleibt bis zum Schluss offen. Auch gewaltige Landschaftsaufnahmen gehören zu einem Western dazu. Statt im üblichen Breitwandformat 1,85:1 drehte Kameramann Robbie Ryan die Steppen und Schluchten, die Wiesen und Weizenfelder allerdings im beinahe quadratischen Seitenverhältnis von 1,66:1. So bleibt der Fokus immer auf den Dialogen, der Handlung und nicht auf der Landschaft.


Die Hauptfiguren werden kongenial von den beiden Stars gespielt. Fassbender murrt und knurrt und kaut schlecht gelaunt auf seiner Zigarre herum wie einst Clint Eastwood. Smit-McPhee gibt den elfengleichen Gegenpart, einen unschuldigen Jungen, der seinem Begleiter emotional meilenweit voraus ist, aber ohne ihn aufgeschmissen wäre. Denn für Romantiker ist in dieser Welt kein Platz. Sie ist rau und feindselig wie in einem Cormac-McCarthy-Roman. Maclean inszeniert seine Geschichte allerdings mit einer gehörigen Portion trockenen Humors. Als Jay reflexartig einen auf ihn abgeschossenen Pfeil mit der Hand abfängt, kommentiert Silas das ungerührt: "Gut gefangen!" Später wird ein Krämerladen überfallen. "Geld!", fordert der Räuber. "Du weißt aber schon, dass das der einzige Ort weit und breit ist, an dem du das Geld ausgeben kannst?" fragt der Ladenbesitzer.

Kurz darauf sind beide tot. Geld oder Leben. Als hätte hier irgendjemand die Wahl. Jay glaubt trotzdem an das Gute im Menschen. "Es geht um mehr als ums blanke Überleben", sagt er zu Silas. "Ja", antwortet der, "es geht ums Sterben."


Beide behalten recht. Jay findet Rose. Es kommt zum blutigen Showdown. Menschen werden in Schweizer Käse verwandelt. Danach verfolgt "Slow West" die Spur des Todes noch einmal zurück. In einer Montage sehen wir die Leichen all jener, die in dieser Geschichte ihr Leben lassen mussten. Ja, es geht ums Sterben in Macleans Western, aber am Ende gibt es ein Happy End. Nur leider nicht für alle, denen man es wünschen würde. Eine einfache Lektion, die einem kein Märchen der Welt beibringt.

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