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Die Vergangenheit und Gegenwart des Rap

Als die Kunde durchs Internet ging, dass Dr. Dre ein neues Album aufgenommen hatte, war man fast ein bisschen überrascht. Ach ja! Der Mann macht ja auch noch Musik! Fast hätte man das angesichts seiner Business-Deals vergessen. Mit Jimmy Iovine, dem Chef der Plattenfirma Interscope, gründete er Beats Electronics und entwarf bunte Kopfhörer. Die sahen zwar besser aus, als sie klangen, trotzdem wollte sie jeder haben. Als noch ein angeschlossener Streaming-Dienst dazukam, kaufte Apple Beats für 3,2 Milliarden Dollar. Es war der größte Deal in der Firmengeschichte Apples. Dr. Dre erklärte sich danach selbst zum ersten " Hip-Hop-Milliardär". Von einem Geschäftsmann dieses Kalibers braucht man sich künstlerisch eigentlich nicht mehr viel versprechen - und Dr. Dre, bürgerlich Andre Young, muss auch niemandem mehr etwas beweisen. Seine Verdienste reichen für drei Karrieren. 


Er war einer der wichtigsten Innovatoren des Hip-Hop, ist Ziehvater ganzer Subgenres. Als Mitglied der N.W.A. (Niggaz Wit Attitudes) nahm er 1988 das Album "Straight Outta Compton" auf, das zur Blaupause für Gangsta Rap wurde. 1992 erfand Dre auf seinem ersten Solo-Album "The Chronic" den G-Funk, eine groovende, soulige Variante des Hip-Hop. Diese Musik war gefährlich, klang aber gleichzeitig so lässig und cool, dass sie auch den Mainstream erreichte - und bald beherrschte. Nach einer zweiten Platte ("2001", 1999), zog sich Dre aus dem Scheinwerferlicht zurück. Er wirkte lieber hinter den Kulissen. Als Produzent und Mentor von Größen wie Eminem, 50 Cent, The Game, Kendrick Lamar und Snoop Dogg, als Mitbegründer von Death Row Records, und Labelboss von Aftermath.


16 Jahre mussten Fans auf ein drittes Solo-Album warten. Jetzt erscheint "Compton", das Dre als seine letzte Platte ankündigt. Sie ist eine Art gedanklicher Soundtrack zum demnächst anlaufenden Spielfilm "Straight Outta Compton" (Kinostart: 13. August), der die Geschichte der N.W.A. erzählt. Natürlich steht das Album mit diesem Titel sofort unter Nostalgieverdacht - doch so leicht macht es sich einer wie Dre nicht. Er war immer schlau genug, um die Hilfe jüngerer Produzenten und MCs in Anspruch zu nehmen.


Auf "Compton" geben sich Veteranen (Snoop Dogg, Ice Cube), aktuelle Superstars (Kendrick Lamar), und Newcomer (Anderson .Paak, King Mez) die Klinke in die Hand. Hier hört man Autotune, Synthie-Bass und verschleppte Trap-Einfüsse ("Talk About It", "Genocide"), dort setzen eine Funk-Gitarre und eine jazzige Trompete Akzente ("It's All On Me"). Dre lässt seinen Gästen an der richtigen Stelle den Vortritt, ist auf seinem eigenen Album zuweilen mehr Producer als Artist.


Wahre Innovation ist in diesem Setting natürlich nicht zu erwarten. Sei's drum. Dre führt Vergangenheit und Gegenwart des Rap selbstbewusst zu einem zeitgemäßen Hip-Hop-Album zusammen. Nicht schlecht für einen 50-jährigen Multimillionär. "Fuck money, that shit could never change me", erklärt er bei "Issues". So stark wie dieses Album geworden ist, möchte man es ihm fast glauben.

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