Die neusten Filme und Serien - rezensiert von Missy.
Ema
Neonbustiers reflektieren buntes Licht, wechseln sich mit seidenen Trainingshosen und leopardenbefleckten Netzoberteilen ab. Pablo Larraíns Spielfilm, der sich anfühlt wie ein queeres, sehr urbanes Musikvideo, saugt uns mit seiner rauschhaften Ästhetik immer tiefer in die Ambivalenzen des Tanzens hinein. Einerseits diszipliniert der Choreograf Gastón die Körper seiner zwölf Jahre jüngeren Partnerin Ema und ihrer Girl Gang in toxischen Machtverhältnissen zu Sanftheit, Einheit und Harmonie. Andererseits befreien sie sich, indem sie harten Reggaeton tanzen und das Hafenviertel von Valparaíso zurückerobern.
Irgendwo zwischen „berechnend“ und „selbstbestimmt“ versucht Ema den kleinen Pablo wiederzufinden. Sie hat ihn erst adoptiert und dann zurückgegeben. Ema allein treibt die Handlung voran, gibt den Rhythmus vor, dominiert mit ihrem Stil die herausragende Ästhetik des Films. Nebenbei zeichnet sie ein queeres Bild von Mutterschaft und Begehren jenseits fetischisierter Aufopferung und Biologie.
In einem wunderschönen filmischen Bild hält Ema (die sonst hobbymäßig bürgerlich-autoritäre Symbole wie Autos oder Ampeln anzündet) einen Wasserschlauch schräg vor ihren Körper. Es sieht aus, als würde sie auf einen Besen steigen. Mit solchen ikonischen Kompositionen scheibt die tanzende Pyromanin sich in die Bildtradition des lateinamerikanischen Hexenfeminismus ein.
Bei allem Empowerment birgt der Film Diskussionspotenzial: Eine bisexuelle Protagonistin, die ständig an den moralischen Grenzen operiert? Cool. Aber auch wenn ein cis hetero Regisseur sie als manipulativ inszeniert? Zeugt diese Parallele zwischen Handlung und Produktionsbedingung von Ironie oder doch eher von Doppelmoral?
Regine Hader
Ema CHI 2019. Regie: Pablo Larraín. Mit: Mariana di Girolamo, Gael García Bernal u.a., DVD & Blu-ray, Koch Media, 107 Min., ab 9,99 Euro. VÖ: 25.03.
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