Es war einmal ein junger Mann, der zurückkam aus einem Kriegsgefangenenlager in Russland. Er war ausgemergelt und seine Familie brauchte Geld. Deshalb wandte er sich an seinen alten Arbeitgeber: den Besitzer einer Fischräucherei. Dieser wollte ihn wegen seiner schlechten Verfassung aber nicht wieder aufnehmen. Weil seine Familie Hunger litt, baute der junge Mann die Garage seines Hauses im Bremerhavener Stadtteil Wulsdorf um und gründete 1948 seine eigene Räucherei.
So oder so ähnlich würde es wohl klingen, würde man die Unternehmensgeschichte der Lachs- und Aalräucherei Fiedler als Märchen erzählen. Was in einer umgebauten Garage begann, ist seitdem kontinuierlich gewachsen und wird mittlerweile in der dritten Generation geführt: Heute leiten die Brüder Patrick, Jan Frederick und Jan-Henrik die Geschicke des Fiedler-Unternehmens. Fiedler senior, Hans-Joachim, ist Anfang des Jahres aus dem Betrieb ausgestiegen.
Die drei Männer sitzen im frisch renovierten Büro. Umgeben von dunklen Wänden, an denen bald Kunstwerke aus vergangenen Zeiten hängen sollen. Ihr Vater ist Antiquitäten-Sammler. Dieses Hobby ist auch auf den Betrieb übergegangen: Sowohl der Fischmarkt als auch die Restaurants, die mittlerweile zum Familienunternehmen gehören, sind so eingerichtet, als wären sie aus einer anderen Epoche entsprungen.
Seit der Übernahme durch Hans-Joachim Fiedler ist das Familienunternehmen gewachsen. Der Vater war es auch, der mit der Räucherei 1988 in die Packhalle IV in Bremerhaven gezogen ist. Heute haben die Fiedler-Brüder die Kompetenzen untereinander aufgeteilt: Jan-Henrik leitet als gelernter Koch die Gastronomie, Jan Frederick kümmert sich als gelernter IT-Kaufmann um den Großhandel und die Logistik und Patrick, gelernter Mediendesigner, hat sich des Marketingkonzepts und Einzelhandels angenommen. Seit drei Jahren sind sie die Geschäftsführer, gelernt haben sie allerdings nicht im Familienunternehmen. „Das wollte unser Vater nicht. Es war uns immer freigestellt, was wir machen möchten", sagt Patrick Fiedler. Trotzdem haben alle drei ihren Weg in die Firma gefunden.
„Der große Vorteil an der Arbeit mit den eigenen Brüdern ist, dass wir sehr offen zueinander sind", sagt Jan-Henrik Fiedler. Er ist mit seinen 39 Jahren der älteste der Brüder, der Mittlere ist Jan Frederick mit 37 Jahren gefolgt vom 33-jährigen Patrick. Aber nicht nur die Brüder sind Teil des Unternehmens: Jan-Henrik Fiedler hat seine Frau im Betrieb kennengelernt und auch die Frau Patrick Fiedlers arbeitet dort. Ein Familienunternehmen durch und durch also. „Ein weiterer Vorteil: Wir müssen unser Privatleben nicht außen vor lassen", fügt Patrick Fiedler an.
Einen Nachteil gibt es allerdings, wenn die ganze Familie involviert ist: „Der letzte Familienurlaub ist fünf Jahre her", sagt Patrick Fiedler. Damals seien alle zusammen nach Mallorca gereist. "Seither hat es zeitlich einfach nicht mehr geklappt", sagt Jan Frederick Fiedler.
Der Gastronomiebetrieb bei Fiedlers hat in normalen Jahren 364 Tage geöffnet, der Einzelhandel immer werktags, selbst an Heiligabend und Silvester. Und obwohl sie sich jeden Tag sehen, verbringen die Brüder sehr gerne Weihnachten zusammen. Was sie dann essen? „Lachs", antworten sie im Chor. In diesem Jahr werden allerdings nur die Familien von Patrick Fiedler und Jan Frederick Fiedler zusammen feiern. „Wir sind einfach zu viele", sagt Jan-Henrik Fiedler.
Wie sehr sich die Brüder schätzen, ist ihnen im Umgang miteinander anzumerken. Sie treten als Einheit auf und trotzdem ist klar, dass jeder von ihnen Chef in seinem eigenen Bereich ist. „Wir kommen uns eigentlich nie ins Gehege", sagt Patrick Fiedler.
Gut 500 Tonnen Fisch verkaufen Fiedlers im Jahr. Die Öfen laufen 24 Stunden am Tag.
Umfangreiches AngebotDas Angebot der Brüder ist umfangreich: Neben dem Fischhandel gibt es zwei Restaurants - das gehobene erinnert mit seiner dunklen Holzvertäfelung, den Kronleuchtern und den opulenten Kunstwerken an den Speisesaal der Titanic, das familienfreundlichere mit seinen bunten Wänden eher an die Kajüte eines Piratenschiffs. Außerdem gibt es ein Schnellrestaurant und eine Fischbrötchentheke, einen Kolonialwarenladen, ein Fischerdorf, das vor allem Kunsthandwerkerläden beherbergt, die Räucherei und den Großhandel, der vor allem Kreuzfahrtschiffe beliefert. Seit Neuestem betreiben Fiedlers auch einen Onlineshop.
Dank der breiten Aufstellung sei das Unternehmen zwar turbulent, aber noch recht gut durch das Corona-Jahr gekommen. Profitiert hätten die Restaurants auch davon, dass die Touristen in diesem Jahr eher in Deutschland geblieben sind, sagen die drei Brüder. Und auch der Fischhandel habe weiterhin einen hohen Absatz.
Geduldig stehen die Kunden auch an diesem Tag im Dezember in der Schlange vor dem Laden. Sie warten darauf, dass es wieder Einkaufskörbe gibt, ohne die sie das Geschäft nicht betreten dürfen. Drinnen werden sie begrüßt von frischen Fischen, die auf Eis liegen, von selbst geräucherten Aalen und Lachsen, von Heilbutt und Knurrhahn.
Und von Bio-Zitronen. „Bei uns gibt es alles von A bis Z, was zu einem Fischgericht gehört", sagt Patrick Fiedler. So gibt es neben den Zitronen zum Beispiel Kartoffeln, Nudeln und sogar Gewürze und Wein. Geplant seien außerdem Produkte für Sushi. Alles ist aufgebaut wie ein Fischmarkt vor 100 Jahren. „Wir wollen unseren Kunden ein Erlebnis bieten", sagt Patrick Fiedler.
Dieses Erlebnis sei Teil des Fiedler'schen Erfolgsrezeptes, sind sich die Brüder sicher. „Das Marketingkonzept könnten sich andere wirklich von uns abgucken", sagt Jan Frederick Fiedler. Und das sei in der Vergangenheit sogar schon passiert: „Manche Interessierten hatten sozusagen einen Zollstock dabei, so genau haben sie sich umgeschaut", sagt er. Fiedlers fühlen sich dadurch geschmeichelt - zumindest solange das Etablissement der Nachmacher weit genug entfernt ist.
Nachhaltige Fischverarbeitung
Etwa 500 Tonnen Fisch verkaufen Fiedlers jedes Jahr. Am häufigsten nach eigenen Angaben Lachs und Aal. Der Natur wollen die Brüder dafür auch etwas zurückgeben: „Pro verkauftem Aal spenden wir 50 Cent an die Aal-Initiative", sagt Jan-Frederik Fiedler. Ziel der Initiative sei es, die Aal-Bestände aufzufüllen, indem Jungaale an geeigneten Stellen ausgesetzt werden.