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Serie Wasserspiele: Beim Kitesurfen spielt der Wind eine große Rolle

In der ersten Stunde versucht Kite-Lehrer Daniel Gernhardt seinen Schüler Bastian Hinz noch ohne Brett an den Füßen an den Drachen zu gewöhnen. Foto: Fabian Wilking

Zwei Männer stehen im Nordseebad Wremen im Meer. Einer von ihnen trägt einen schwarzen Neoprenanzug, der andere einen in blau und rot - der Anzug verleiht ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Superhelden Spiderman aus dem Marvel-Universum. Über den beiden fliegt ein riesiger, knallgelber Drachen, den der Spiderman-Ähnliche zu lenken versucht.

Während der Flut einen Lenkdrachen in der Nordsee steigen lassen? Was zunächst seltsam erscheint, ist der erste Schritt einer Kitesurf-Ausbildung. Die beiden Männer sind Daniel Gernhardt, privater Kitesurf-Lehrer mit der mobilen Schule „Eagle Kite" und sein Schüler Bastian Hinz aus Bremen. Der knallgelbe Drachen ist kein gewöhnlicher Lenkdrachen mit zwei Steuerleinen, sondern ein Kite mit vier Steuerleinen. Hinz übt, diesen zu steuern - während der ersten Trainingseinheit noch ohne Brett an den Füßen. „Basti macht sich sehr gut. Ich denke, in der nächsten Einheit können wir schon Wasserstarts mit Brett probieren", sagt Gernhardt.


Er selbst übt den Sport seit mehr als zehn Jahren aus. „2006 habe ich einen Kurs in Thailand gemacht. Danach habe ich das Kiten erst einmal wieder aus den Augen verloren", sagt Gernhardt. 2009 habe er dann einen weiteren Kurs in Vietnam gemacht und Blut geleckt. Direkt danach kaufte sich der Rotenburger seine erste eigene Ausrüstung und kitet seither permanent.

„Seit fünf Jahren habe ich meine eigene Kite-Schule", sagt Gernhardt, „ich mag es, Leute besser zu machen und ich liebe Kiten. Es ist schön, mit der Kombination aus beidem Geld verdienen zu können." Seine Schülerinnen und Schüler kommen aus den Regionen Hannover, Bremen oder Hamburg. Je nachdem besucht er mit ihnen unterschiedliche Kite-Spots. Durch diese Mobilität ist er auch flexibel, was die Kurszeiten angeht. „Ich richte mich da nach meinen Schülern", sagt er. Auch die Anzahl der Lehrblöcke sei individuell. „Manche brauchen nur drei Einheiten, bis sie es können, andere vier oder fünf."

Bevor Bastian Hinz und Daniel Gernhardt sich an diesem Tag in die Flut gestürzt haben, mussten sie das Revier bewerten, das Material kennenlernen und Sicherheitsübungen an Land machen - das gehört standardmäßig zur Ausbildung dazu und kann im Ernstfall Leben retten. Hinz befestigt für die Trockenübungen den Kite an seinem Trapez. Das Trapez hat Ähnlichkeiten zu einem Klettergurt, zumindest das, das Hinz verwendet: Ein Sitztrapez. Gernhardt nutzt ein Hüfttrapez. „Gerade wenn man irgendwann soweit ist, Sprünge zu machen, engt das Sitztrapez ein", sagt er. Die Sprünge und die Natürlichkeit seien es, die die Faszination des Sportes für den Rotenburger ausmachten. „Man hat hier keine Motorengeräusche und dringt durch die Möglichkeit zu springen und ein Stück zu fliegen in die dritte Dimension vor", sagt er. Soweit ist Hinz noch nicht, für das erste Mal eignet sich das Trapez mit Beinschlaufen besser.

Um sich mit dem Kite zu verbinden, befestigt Hinz zuerst die Sicherheitsschnur. Sollte er den Kite von sich trennen müssen, verhindert diese Schnur, dass dieser davon schwimmt. Anschließend befestigt er den so genannten Chickenloop an seinem Trapez. Der Chickenloop ist eine Art Haken, der am Kite befestigt ist. Hinz nimmt den Bar, also den Lenker, in die Hände und lässt sich von seinem Lehrer durch die verschiedenen Sicherheitsstufen navigieren.

Drei Eskalationsstufen gibt es: Bei der ersten Stufe lässt der Sportler den Bar einfach los. „Das macht man, wenn man kurzzeitig die Kontrolle verloren hat", sagt Gernhardt. Der Kite falle dann ins Wasser und der Sportler könne von Neuem starten. Reicht das nicht, um die Kraft des Kites abzubauen, folgt Stufe zwei: Die Verbindung zwischen Bar und Sportler wird gelöst, der Kite und der Sportler sind nur noch über die Sicherheitsschnur miteinander verbunden. Bei der dritten Stufe wird auch diese letzte Verbindung gelöst. „Das muss zum Beispiel gemacht werden, wenn sich zwei Kites verhaken oder ein Motorboot über die Leinen fährt", sagt der Lehrer. In einem solchen Extremfall probiere der Sportler sich nicht durch die einzelnen Stufen, sondern trenne sich direkt von seinem Kite.


Gernhardt selbst hat die dritte Eskalationsstufe noch nie ausgelöst. „In Vietnam hätte ich es einmal besser tun sollen. In dem Moment habe ich aber nicht daran gedacht", sagt er. Genau aus diesem Grund sei das Sicherheitstraining an Land so wichtig. „Man braucht Routine! Wenn ich die Eskalationsstufen vor dem Kiten nicht geübt habe, werde ich in einer Stresssituation kaum in der Lage sein, angemessen zu reagieren. Dann kann der Sport gefährlich werden", sagt Gernhardt.

Riskant werden kann es auch, wenn das Revier nicht genau betrachtet wird, bevor die Kiter aufs Wasser gehen. „Ich muss vorher genau schauen, wo potenzielle Gefahren lauern. Hier in Wremen sind es zum Beispiel die Betontreppen, die ans Land führen", sagt der Kite-Lehrer.

Auch der Wind spielt für den Sport eine große Rolle. „Kiten ist sehr spontan. Ich hatte Basti gestern zum Beispiel zunächst abgesagt für heute. Gegen Abend haben sich die Windprognosen aber geändert", sagt Gernhardt. Als er nachts um vier noch einmal zur Toilette ging, habe sich die Vorhersage erneut geändert und er hat seinen Schüler kurzfristig für eine Stunde später bestellt. „Ich hab' die Nachricht sogar noch nachts gelesen, da ich wegen meines kleinen Kindes ohnehin wach war", sagt Hinz.

Die Windbedingungen dieses Schultages seien letztlich für die erste Einheit perfekt gewesen, erklärt der Kite-Lehrer. „Bei über 20 Knoten gehe ich mit meinen Schülern nicht mehr aufs Wasser. Da ist es zu schwer, den Kite zu bändigen, es gibt viele Böen und unangenehmes Kabbelwasser. Unter 10 Knoten wiederum fliegt der Kite einfach nicht", sagt er.

Bei den perfekten Bedingungen ist Hinz im Wasser bemüht, sich an den Kite zu gewöhnen. Sein Coach steht die ganze Zeit dicht bei ihm, gibt ihm Tipps, zeigt auch mal selbst, wie es gehen soll. Hinz lenkt den knallgelben Drachen nach links und rechts und lässt ihn dabei nicht ins Wasser fallen. Die Kitesurfer um sie herum springen und fliegen. Sie rasen mit der Kraft des Windes von einer Seite auf die andere, lassen sich treiben oder drehen Pirouetten.

Gegen Ende des Trainings hat auch Hinz bereits genug Gefühl und Vertrauen, dass er sich von dem Ungetüm durchs Meer ziehen lässt. Bodycheck nennt sich diese Übung. „Während man steht und den Kite hält, spürt man, was für Kräfte da wirken. Als ich mich dann ziehen lassen habe, war es einfach ein super geiles Gefühl", sagt Bastian Hinz. Er will auf jeden Fall weiter machen: „Ich freue mich schon aufs nächste Mal." Auch Trainer Daniel Gernhardt ist zufrieden mit seinem Schüler. „Basti hat eine super Feinmotorik", sagt er, „ich bin mir sicher, dass er das nächste Mal aufs Brett kann."


Zur Sache

Eine Zeit lang hatte Kitesurfen den Ruf, eine gefährliche Extremsportart zu sein. Mittlerweile haben sich die Sicherheitsstandards weiterentwickelt, das Verletzungsrisiko ist gesunken. „Die Safety-Systeme nach heutigem Standard kamen so vor sechs Jahren langsam auf", sagt Daniel Gernhardt. Er ist Kitesurf-Lehrer mit einer eigenen Schule.

„Als es mit dem Kitesurfen losging, waren die Sportler noch untrennbar mit den Schirmen verbunden", sagt er. Das habe sich mittlerweile geändert und durch ein Sicherheitstraining, das zu jeder Ausbildung dazugehört, sollte jeder Kiter in der Lage sein, die drei Eskalationsstufen auszulösen und sich so aus gefährlichen Situationen zu befreien.

An und für sich sei Kitsurfen eine Sportart, die an kein bestimmtes Alter geknüpft ist. „Klar lernen junge Menschen schneller, aber auch 50- oder 60-Jährige können kiten lernen", sagt der Trainer. Wichtig sei es, dass der Schüler schwimmen kann. Außerdem wäre es schlecht, wenn er Probleme im Lendenwirbelbereich hätte. „Die Hüfttrapeze gehen auf die Lendenwirbelsäule. Im Zweifel sollte die Beanspruchung vorher mit einem Arzt abgesprochen werden", sagt Gernhardt. Normale Rückenschmerzen, wie sie jeder einmal hat, seien aber prinzipiell kein Problem.

Neben den modernen Sicherheitssystemen, mit denen die Kites heutzutage ausgestattet sind, bringt außerdem der Reviercheck Sicherheit. Dieser gehört immer dazu. „Bei jedem Spot muss ich genau wissen, wo die Gefahren liegen", sagt der Kite-Lehrer. Auch sollte man ehrlich zu sich selbst sein: „Wenn es zu stürmisch ist und ich mir nicht sicher bin, ob mein Können dieser Naturgewalt gerecht werden kann, bleibe ich besser draußen", sagt Gernhardt. Schwere Verletzungen seien im Kite-Sport nicht die Regel, eher käme es zu verstauchten Sprunggelenken oder geprellten Rippen. „Prellwesten und Helme schaden definitiv nicht", sagt der Trainer, „selbst wenn ich noch so vorsichtig bin, kann es immer passieren, dass ein anderer Kiter einen Fehler macht und mich dabei erwischt."



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