Herr Mirza, Sie wollten eigentlich in diesem Jahr bei den Olympischen Spielen in Tokio antreten. Wie gehen Sie mit der aktuellen Situation um?
Fouaad Mirza: Ich habe das Gefühl, wir Reiter haben in dieser Zeit Glück im Unglück. Es gibt kein Alter, ab welchem wir unseren Sport nicht mehr ausüben können. Wenn ich gesund und fit bin, kann ich auch mit 60 Jahren noch bei Olympia reiten.
Wie waren die vergangenen Monate für Sie?
Ich musste für die indische Föderation Fragebögen ausfüllen, durch welche meine mentale Verfassung während der Krise überprüft werden sollte. Dabei lebe ich quasi mein tägliches Leben weiter: Die Pferde müssen bewegt und versorgt werden. Ich trainiere ganz normal. Was wegfällt, sind die Wettkämpfe und Turniere.
Sie werden für das indische Olympiateam starten. Wie groß ist der Reitsport in ihrem Land?
Sagen wir es so: Er wächst. Pferderennen sind schon heute sehr beliebt. Dressur, Springen und Vielseitigkeit wachsen. Die Inder sind ein sehr tierliebes Volk, dementsprechend ist es nicht abwegig, dass Sport mit Tieren dort beliebt werden kann.
Was meinen Sie mit „tierliebes Volk"?
Bei uns gehören Tiere zum Leben dazu. Viele Familien haben Haustiere, wie Katzen oder Hunde. Und vor allem das Leben mit Pferden hat durch den Kolonialismus eine lange Tradition.
Wie war das bei Ihnen, wurden Sie von Ihrer Familie unterstützt?
Absolut. Viele indische Eltern sind sehr fokussiert auf die Bildung ihrer Kinder. Auch ich bin studieren gegangen, aber meine Eltern haben mich trotzdem immer dabei unterstützt, meinen Traum zu leben. Irgendwann kommt aber der Punkt, an dem man sich zwischen Sport und Ausbildung entscheiden muss.
Sie haben sich offensichtlich für den Sport entschieden, sonst wären Sie heute nicht hier. Gab es eine Zeit, in der diese Entscheidung anders aussah?
Reitsport ist teuer. Ich hatte lange Zeit keine Sponsoren, also war klar, dass ich studieren muss. Dass ich arbeiten muss, um mir meine Karriere zu finanzieren.
Sie haben in Northampton in England Psychologie und Betriebswirtschaftslehre studiert. Wäre ein Beruf neben Ihrer Karriere überhaupt möglich gewesen?
Eigentlich nicht. Ich saß zu dieser Zeit gefühlt immer zwischen den Stühlen. Wenn ich an der Uni war, dachte ich an die Pferde. Wenn ich in Indien bei den Pferden war, dachte ich daran, dass ich eigentlich mein Studium beenden müsste.
Haben Sie in England auch trainiert?
Nein, dort habe ich tatsächlich nur studiert. Es war total interessant, das Leben außerhalb der Reiterwelt kennenzulernen. Als Kind war ich in den Sommerferien immer auf Wettkämpfen statt zu verreisen. In England hatte ich das erste Mal so etwas wie Freizeit.
Und wie sieht das heute aus? Haben Sie manchmal Freizeit?
Ich verbringe meine Freizeit im Stall. Ich und meine Freundin Johanna wohnen hier auf dem Hof. Wenn wir nicht gerade trainieren oder die Tiere versorgen, mache ich unglaublich gerne Quatsch mit den Pferden. Ich spiele auch gerne Fußball oder fahre Gokart, aber ich möchte kein unnötiges Risiko eingehen, mich zu verletzen.
Sie haben neben Ihrer Karriere noch Zeit für eine Freundin?
Ja, sie ist auch Reiterin. Ich glaube, andernfalls würde es kompliziert werden. Johanna ist aus Finnland, wir haben uns kennengelernt, als ich noch bei Bettina Hoy in Warendorf trainiert habe.
Indien, Finnland - der Stall scheint sehr international zu sein.
Oh ja. Sowohl was die Reiter als auch was die Pferde betrifft.
Wie kamen Sie von Warendorf und Bettina Hoy nach Ganderkesee zu Sandra Auffarth?
Die zwei anderen Reiter des indischen Teams, die von den Sponsoren gemeinsam mit mir nach Deutschland geschickt wurden, mussten zurück. Sie sind beim Militär und mussten ihren Dienst wieder aufnehmen. Ich war plötzlich alleine in Warendorf, Bettina Hoy wurde Trainerin des holländischen Teams und hatte keine Zeit mehr für mich. Also habe ich Sandra angerufen und gefragt, ob sie Platz hat. Sie hatte.
Wie lange sind Sie schon hier?
Seit zwei Jahren.
Waren Sie seither schon einmal in Bremen?
Ja, zweimal sogar. Das eine Mal war allerdings nur ein Besuch des Flughafens.
Sie reiten häufig auf internationalen Turnieren, bei den Asian Games haben Sie die Silbermedaille gewonnen. Wie transportieren Sie Ihre Tiere?
Ich fliege mit ihnen.
Die meisten Menschen haben wahrscheinlich schon Probleme damit, ihren Hund in ein Flugzeug zu bekommen. Wie machen Sie das mit den Pferden? Werden sie sediert?
Nein, weder Pferde noch Reiter dürfen bei Prüfungen gedopt sein. Eine Narkose würde den Dopingtest aber ausschlagen lassen. Für die Pferde wird fliegen schnell normal, dann ist das gar kein Problem mehr.
Wie würden Sie ihre Beziehung zu Ihren Pferden beschreiben?
Manchmal sagen meine Trainer, dass ich zu nett zu den Pferden bin. Nicht streng genug. Ich sehe das anders. Ich bin davon überzeugt, dass ein Pferd alles für dich tut, wenn es dich wirklich mag. Ich sehe meine Pferde als meine Kinder. Ich kümmere mich um sie, ich bringe ihnen etwas bei - das tun Eltern auch mit ihren Kindern.
Gibt es bestimmte Kriterien neben der sportlichen Komponente, nach denen Sie Ihre Tiere auswählen?
Ich mag Pferde, die liebevolle Augen haben. Sie beruhigen mich.
Wie wichtig ist Ihnen Vertrauen in der Partnerschaft mit Ihrem Pferd?
Gerade bei der Vielseitigkeit ist hundertprozentiges Vertrauen wichtig! Diese Disziplin ist das Ultimum, das man aus dem Reitsport herausholen kann: Pferd und Reiter müssen gemeinsam drei verschiedene Disziplinen meistern.
Welche Teildisziplin der Vielseitigkeit mögen Sie am meisten?
Das kommt immer aufs Pferd an. Meine Stute Diva zum Beispiel ist ein großartiges Springpferd, Mickey hingegen ist perfekt in der Dressur. Ich hasse Dressur eigentlich, aber mit Mickey liebe ich sie. Und Daytime, mein Fuchs, ist ein tolles Pferd fürs Gelände. Schade eigentlich, dass man die Pferde während des Wettkampfes nicht austauschen kann.
Für die Olympischen Spiele müssen Sie sich mit Ihrem Pferd qualifizieren. Mit wie vielen Tieren haben Sie sich bereits qualifiziert und wie viele Qualifikationen streben Sie an?
Ich habe mich bereits mit zwei meiner Pferde qualifiziert. Mit den anderen beiden habe ich noch bis zum Ende des Jahres Zeit. Ich darf zwar nur ein Pferd mitnehmen, aber ich möchte auf Nummer sicher gehen, für den Fall, dass sich eines der Tiere verletzen sollte. Früher musste sich nur der Reiter qualifizieren, das war sehr gefährlich. Olympia hat ein sehr hohes Niveau, wenn dort Reiter oder Pferde antreten, die nicht qualifiziert sind, steigert das das Verletzungsrisiko enorm!
Auch fehlende Stabilität oder Balance können das Verletzungsrisiko steigern. Machen Sie einen Ausgleichssport neben dem Reiten?
Ich gehe zur Physiotherapie. Dort mache ich einmal in der Woche Übungen, um Stabilität und Balance zu schulen. Auch meinem Rücken tun diese Einheiten gut. Wenn ich reite oder stehe, merke ich es nicht, aber manchmal, wenn ich mich abends auf die Couch lege, tut er schon weh.
Was tun Sie sonst, um gesund zu bleiben?
Ich achte stark auf meine Ernährung. Ich halte mich zum Beispiel von Zucker fern, auch wenn es mir schwerfällt. Die Mühe ist es wert, denn neben dem Körper tut dieser Verzicht auch dem Geist gut. Nach zwei, drei Wochen merkt man, dass man viel fokussierter ist. Die Müdigkeit während des Tages verschwindet, die Konzentration steigt. Es ist der Wahnsinn.
Gesunde Ernährung, sportlicher Lebensstil, eine gute Beziehung zu Ihren Pferden: Ist das Ihr Erfolgsrezept? Haben Sie eine Lebensphilosophie?
Ich glaube, harte Arbeit wird immer belohnt. Genau so wichtig ist aber der Glaube an sich selbst. Träumen kostet nichts, und eines Tages geht der Traum vielleicht in Erfüllung.
Was ist Ihr größter Traum für Ihre sportliche Zukunft?
Ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch. Die Olympischen Spiele zum Beispiel sind mein Ziel. Ich will dort nicht nur teilnehmen, ich will gewinnen. Ohne diese Einstellung wäre ich nicht so weit gekommen.
Fouaad Mirza ist 28 Jahre alt und stammt aus der indischen Stadt Bangalore. Er ist Vielseitigkeitsreiter und trainiert bei Sandra Auffarth in Ganderkesee. Seine Familie ist schon immer eng mit den Tieren verbunden, sein Vater ist Veterinär für Pferde und sein Großvater ist beim Militär geritten. Im kommenden Jahr wird Mirza bei den Olympischen Spielen in Tokio reiten. Sein größter Erfolg bisher: eine Medaille bei den Asian Games.
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