Rebecca Sandbichler

Freie Journalistin und (Online-)Redakteurin, Innsbruck

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Artikel

Häuser, die atmen

Wer ökologisch wohnen möchte, muss vom Wasserspeicher bis zur Solaranlage viel bedenken. Naturbaustoffe sind immer noch Nischenprodukte. Für Umwelt und Gesundheit aber lohnt sich die Mühe.

Die Sache mit den Strohballen ist 14 Jahre her und doch hat die Architektin Sabine Rothfuß sie noch lebhaft in Erinnerung: „Ich stand auf dem Acker eines Bio-Bauern und gemeinsam pressten wir Stroh, maßen nach und begannen von vorn." So lange, bis die optimale Ballengröße und eine perfekte Dichte des Strohs erreicht waren. Zum Glück hatte es lange nicht mehr geregnet, denn nur absolut trockenes Stroh konnte sie verwenden: Mit den maßgeschneiderten Ballen wollte sie eine alte Scheune in ein ökologisches Wohnhaus verwandeln. „Die Bauherren waren mutige Leute, die haben zehn Jahre lang Entwicklungsarbeit in Afrika geleistet."

Mut beweisen Bauherren auch heute noch, wenn sie Stroh, Hanf oder Schafwolle verwenden wollen. Diese natürlichen Baustoffe sind Nischenprodukte mit fünf Prozent Marktanteil - die größten Umsätze werden mit Kunststoffdämmungen wie Mineralwolle oder Polysterol gemacht, bekannt als Styropor. Für ökologische Anstriche rechnen Baustoffhändler zwar mit Zuwächsen, doch ihr Anteil liegt immer noch unter zehn Prozent.

Ökologische Baustoffe sind langfristig oft günstiger

Es ist ein Henne-Ei-Problem: Viele ökologische Baustoffe sind allein aufgrund ihrer geringen Mengen schon teurer als konventionelle. Gute Qualität sei aber langfristig günstiger, auch im Innenraum, sagt Rothfuß. „Eine Massivholz-Tür hält viel länger als eine furnierte und man kann sie reparieren." Ihre ökologischen Bauvorhaben würden das Budget für ein konventionelles Projekt eher unterbieten, sagt die Architektin. „Das geht mit guter Planung und schlanken Entwürfen."


Genau die wollen ihre Kunden: um möglichst wenig zu dem enormen Energie- und Ressourcenhunger beizutragen, den das Bauen bedeutet. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen geht in einem Bericht zur globalen Bauindustrie im Jahr 2012 davon aus, dass zehn Prozent des globalen Energiebedarfs bei der Gewinnung und Aufbereitung von Baumaterial entstehen. Und etwa 40 Prozent der festen Abfälle in Industrienationen fallen an, wenn Gebäude errichtet oder abgerissen werden.

„Wer wirklich ökologisch bauen will, muss daher von der Rohstoff-Entnahme bis zum Recycling alles bedenken", sagt die Wiener Bauingenieurin und Professorin Azra Korjenic. Selbst die beste Dämmung oder die modernste Haustechnik sei nicht automatisch ökologisch, wenn dabei hoch verarbeitete oder schwer abbaubare Materialien verwendet werden.

Energiesparen beginnt beim Rohstoff

Stattdessen hängt die Umweltbilanz auch davon ab, welche „graue Energie" im Lebenszyklus des Hauses steckt. Korjenic erforscht nachwachsende, wiederverwendbare oder kompostierbare Ressourcen wie Holz, Stroh, Lehm, Schafwolle oder Hanf - als grüne Alternativen zu Stahl und Beton.


Gerade Beton hat ökologisch einen schlechten Ruf, obwohl das Material gut dämmt, vielseitig verwendbar ist und große Windkraftanlagen überhaupt ermöglicht. Doch seine Zutat Zement verursacht in der Produktion aktuell rund sechs Prozent des globalen Ausstoßes von klimaschädlichem Kohlenstoffdioxid. Mehr als doppelt so viel wie der gesamte internationale Flugverkehr.


Zementwerke benötigen außerdem Unmengen Sand, es ist der weltweit meistgenutzte Rohstoff nach Wasser. Und obwohl Deutschland noch genügend Kies und Sand für die Herstellung von Beton hat, lässt die globale Sandnachfrage ganze Strände verschwinden und zerstört das ökologische Gleichgewicht an den Küsten weltweit.


Immer mehr Wohnfläche pro Kopf benötigt

Der Fokus der deutschen Klimabemühungen liegt jedoch mehr auf dem Betrieb von Gebäuden als auf deren Bestandteile, denn die weltweit genutzten Bauwerke verursachen dreißig bis vierzig Prozent der CO2-Emissionen - mehr als die Hälfte davon entfällt aufs Kühlen oder Heizen. Und während die Industrie mit technischen Innovationen ihren Energiehunger insgesamt reduziert habe, blieben die Privathaushalte laut Umweltbundesamt konstant auf einem Viertel des gesamten Energieverbrauchs. Vor allem, weil immer mehr Menschen alleine leben und gleichzeitig mehr Fläche beanspruchen.


Laut den Zielen der Energiewende sollen unsere Häuser jedoch schon 2050 nahezu klimaneutral bewohnbar sein. Den gewohnten Standard müssen dann bessere Heizungen, erneuerbare Energiequellen, dichte Fenster und rundum gedämmte Fassaden ermöglichen.

Gerade Letztere sieht die Öko-Architektin Rothfuß zunehmend kritisch, da nachträgliches Dämmen schwierig ist und Fehler schnell die Bausubstanz zerstören können. „Mit natürlichen, gesunden Baustoffen und klugen Heizsystemen kann man außerdem viel mehr für Mensch und Umwelt tun als mit den üblichen Fassadendämmungen auf Basis der Petrochemie", sagt sie.


Einst gefeierte Wundermaterialien der Industrie - wie Asbest oder frühere Mineralwolle - sind erst Jahre später als krebserregend erkannt worden. Zuletzt wurde das Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD) als schwer abbaubarer Schadstoff endgültig verboten, da es sich in Fettzellen anreichert und die Fortpflanzung stört. Bis 2014 war das Mittel in üblichen Wärmedämmverbundsystemen aus Polysterol enthalten und bereits hergestellte Platten dürfen übergangsweise immer noch verbaut werden. Einige Jahrzehnte später müssen Hausbesitzer sie als Sondermüll verbrennen lassen.


Stroh dämmt auch gut


Strohballen könnte man einfach auf den Kompost werfen, doch die wurden bisher deutschlandweit nur in wenigen Hundert Gebäuden verwendet. Dabei hat Stroh viele Vorteile: Es wächst fast überall und braucht in der Herstellung im Vergleich zu Styropor-Platten nur etwa ein Dreißigstel der Energie. Strohballenhäuser können sogar den Passivhaus-Standard erreichen und müssen dann kaum beheizt werden.

Schon ein kluger Grundriss allein könnte später viel Energie sparen. Die von Rothfuß sanierte Scheune hat keine Smart-Home-Funktionen und keine automatische Belüftung, ist aber ökologisch durchdacht: Die Grundfläche ist gering im Vergleich zur Höhe, die Glasflächen sind nach Süden ausgerichtet - das spart Heizenergie und elektrisches Licht. Eine Solaranlage sichert warme Duschbäder, die nie genutzte Güllegrube wurde zur Brauchwasser-Zisterne. Die Fenster bestellte Rothfuß aus heimischen Hölzern wie Kiefer, in die Ritzen stopfte sie Flachs. Und in der Dinkelstrohdämmung versteckt sich sogar eine Wandheizung. „Ich baue möglichst immer Wandheizungen ein", sagt Rothfuß.

„Eine trockene Wand dämmt viel besser als eine unbeheizte."


Als Verschalung verwendete sie Schilfrohr- und Gipsfaserplatten. „Es ist immer wieder ein Kampf mit Handwerkern, weil die ihre OSB-Platten gewohnt sind", sagt Rothfuß. „Aber die sind nicht baubiologisch, da sie mit Poly-Urenthan-Leimen verleimt sind." Für die Innenräume empfiehlt sie Putze aus Kalk und Lehm. „Die sind diffusionsoffen. Das heißt, die Wände können Feuchtigkeit gut speichern und wieder abgeben." So bleibe die Luftfeuchtigkeit beim gesunden Wert von 50 bis 55 Prozent.


Holz wächst wieder in die Höhe

Was spätere Bewohner nur ungefähr wahrnehmen, misst die Bau-Professorin Azra Korjenic genau nach: Gemeinsam mit Studierenden baute sie ein Haus in Holzständer- und Strohbauweise und verkleidete es mit Lehmputz- oder Kalkmischungen. So erfährt sie, wie man die Materialien am besten einsetzt. „Stroh zum Beispiel muss ganz dicht gepresst und sauber verbaut sein, damit keine Luft eingeschlossen ist. So erfüllt es sehr strenge Brandschutzauflagen und wird nicht von Ungeziefer zerfressen."


Aus Angst vor dem Feuer wurde auch Holz lange Zeit kaum noch verbaut. Inzwischen entstehen aus dem nachwachsenden Rohstoff sogar wieder mehrgeschossige Häuser in Berliner Wohnblöcken - mit Betonteilen als Brandschutz. „Holz ist leicht und tragfähig. Mit der richtigen Konstruktion können sie in Holzbauweise weit in die Höhe wachsen", sagt die Bauingenieurin Korjenic.


Auch Naturstein kann klimaschädlich sein

Das Wachstum in der Nische ist langsam, aber bald jeder fünfte private Neubau in Deutschland ist ein Holzhaus. Eine Reihe von Fertighausanbietern bietet sogar ökologische Holzhäuser von der Planung bis zur Schlüsselübergabe an. Die Familie Apfelbacher entschied sich für die Zimmerei Stocksiefen in Niederkassel, wenige Kilometer von ihrer Bioland-Gärtnerei und ihrem Hofladen entfernt.


Das familiengeführte Bauunternehmen bot zum Holzrahmenhaus auch ökologische Dämmungen und Lehmputzplatten an. „Eine normale Zimmerei würde bei solchen Wünschen schon an ihre Grenzen stoßen", sagt Therese Apfelbacher.


Noch ist das Zweifamilienhaus nicht fertig, doch die sichtbare Fassade aus heimischem Lärchenholz ist der Stolz der Bauherren: Die Bretter haben mehrere Generationen gemeinsam angebracht. Auch das Innere begeistert Apfelbacher: „Es ist eine tolle Atmosphäre. Obwohl es noch nicht beheizt ist, fühlt sich das Haus warm an." Später sorgen eine 150 Meter tief gebohrte Geothermie-Anlage und Solarzellen auf dem Dach für warmes Wasser.


Die Innenräume gestaltete die Familie streng nach ökologischen Gesichtspunkten und achtete auf regionale Baustoffe. „Wir haben zum Beispiel Blaustein aus Belgien verwendet. Man muss ja sehr aufpassen, dass man nicht versehentlich Naturstein aus China kauft", sagt Apfelbacher.


Renovieren statt Bauen?


So vorbildlich dieses ökologische Gebäude auch ist, der Architekturjournalist und Autor Daniel Fuhrhop will Neubauten generell verhindern (siehe Interview). „Wir zersiedeln unsere Natur und versiegeln immer mehr Boden, obwohl wir genug Leerstand haben", sagt Fuhrhop.

Die Öko-Architektin Sabine Rothfuß stimmt ihm zu, beobachtet im Alltag aber große Hürden für Bauherren. „Es werden leichter Kredite für Neubauten als für Sanierungen vergeben, das habe ich schon öfter erlebt."


Die Bau-Professorin Azra Korjenic ermuntert aber zu schrittweisen Verbesserungen im Bestand, die oft große Effekte erzielen. Man könnte zum Beispiel an der Fassade oder im Innenraum Wandpflanzen anbringen. „Die reinigen nicht nur die Raumluft, sondern verbessern die Dämmung der Außenwände um bis zu zwanzig Prozent bei Altbauten."

 

Viel Grün hilft viel


Diese Werte maß sie bei einem Modellprojekt in einer alten Wiener Grundschule. Gemeinsam mit den Schülern pflanzte ihre Forschungsgruppe in fertigen Wandpaneelen verschiedene Sorten Grün an, auch Essbares. „Die Schüler haben während der Pausen den Schnittlauch fürs Butterbrot geerntet", erzählt die Forscherin.


Die grüne Fassade schmeckte den Kindern nicht nur gut, sie spendete im Sommer auch so viel Schatten, dass die Wand um bis zu zehn Grad kühler war als vorher. „Wir untersuchen in einer Straße mit Hitzestau, ob die Bewohner dadurch auf ihre Klima-Anlagen verzichten können", sagt die Bau-Professorin. „Da sind wir optimistisch."


Solche grünen Häuser wären für alle gut: Die lebende Wand entzieht der Atmosphäre nämlich klimaschädliches CO2, filtert Feinstaub, dämpft Lärm und speichert Wasser bei Regengüssen. Das soll Styropor erst mal nachmachen.

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Interview


„Der Neubau-Wahn muss aufhören"

Sie würden am liebsten das Bauen verbieten, Herr Fuhrhop. Sollte man nicht unsere alten, schlecht gedämmten Häuser durch sparsamere ersetzen?


Nein, das ist ein übertriebener Glaube an die Energieeffizienz. Wenn man nämlich den ganzen Lebenszyklus des Hauses betrachtet, wäre es ökologischer, das alte zu sanieren. Der einmalige Materialeinsatz und die Energie für die Herstellung sind viel gravierender als ein paar Prozent Heizverluste. In der Schweiz gibt es darum zum Beispiel nicht nur einen Energievergleich für das Heizen, sondern eine ganzheitliche Ökobilanz.


Für Laien klingt Ihre Forderung dennoch falsch, wo doch Wohnraum so knapp ist.

Naja, selbst in Hamburg oder München stehen massenhaft Büros leer und darüber hinaus sogar Wohnungen. Das sind manchmal Spekulationsobjekte und viele können es sich auch leisten, ihr Eigentum über Jahre nicht zu vermieten. Übrigens wäre viel erreicht, wenn die Wohnfläche pro Kopf nicht stetig steigen würde. Da kann jeder selbst überlegen: Wie viel Fläche brauche ich wirklich? Wenn ich weniger Quadratmeter beheizen muss, ist das ja auch ökologischer.


Kurz nach Ihrem ersten Buch kamen auf einen Schlag viele Geflohene ins Land. Was hat das verändert?

Ich habe mich gleich an die Arbeit gemacht und in einem zweiten Buch gezeigt, wie wir die Neuankömmlinge baulich besonders gut integrieren. Und dass wir sie gerade nicht zu Hunderten oder gar Tausenden in schnell hochgezogenen Siedlungen unterbringen dürfen. Genau das wird jetzt leider gemacht. Die Vorschriften wurden gelockert, es wird mehr im Außenbereich gebaut und noch mehr Landschaft versiegelt.

Sie bleiben also dabei: niemals neu bauen, egal wie?

Das ökologische Bauen ist sicher nicht mein Hauptgegner. Denn besser man baut so als anders. Ich verstehe auch, dass manche Menschen gern ein frei stehendes Haus mit Garten bewohnen möchten. Aber zum Glück wird davon ja regelmäßig eins frei und das kann man dann nach seinen Wünschen umgestalten.

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