Wind gilt als kräftige, saubere Energiequelle, die jedoch nicht gerade zuverlässig ist. Mal weht der Wind, mal nicht - eben ganz wie er will. Das bringt die Experten in den Leitwarten der Netzbetreiber mitunter ins Schwitzen. Schließlich müssen sie gewährleisten, dass der Strom jederzeit verlässlich fließt.
Eine jetzt im Fachmagazin "Nature Climate Change" veröffentlichte Studie zeigt, dass es zu einfach ist, dem Wetter die Schuld für schwankenden Windstrom zu geben. Verantwortlich seien auch die Alleingänge der europäischen Staaten beim Ausbau der Windkraft, schreiben die Forscher der ETH Zürich und des Imperial College London.
Würden sich die Länder bei ihrer Ausbaustrategie abstimmen, könnten sie den Windstrom verstetigen. Dann wäre es einfacher, ihn in das Energiesystem zu integrieren.
Flaute im Norden, Wind im Süden
Welche Leistung Windräder liefern, hängt von der Großwetterlage ab, auch Wetterregime genannt. Sie sorgt für konstante und berechenbare, regional jedoch sehr unterschiedliche Windverhältnisse in ganz Europa. "Ist zum Beispiel der Wind im Nordseeraum schwach, bläst er dagegen in Nordskandinavien und Südosteuropa kräftig", sagt Christian Grams vom Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich.
Irgendwo in Europa weht also immer eine steife Brise. Doch die Windräder sind sehr ungleich verteilt - sie konzentrieren sich an und in der Nordsee. In Ost- und Südosteuropa dagegen gibt es nur wenige Windräder.
Das Forscherteam hat ermittelt, dass die Windenergieleistung in Europa heute je nach Großwetterlage im Durchschnitt um maximal 22 Gigawatt schwankt. Diese Spreizung werde sich auf etwa hundert Gigawatt vergrößern, wenn die Länder die Windenergie bis 2030 ihren eigenen Plänen gemäß ausbauen, so die Prognose.
Ägäis statt Nordsee
Wird also ein Regime mit starkem Wind über der Nordsee durch eines mit einer windarmen Hochdrucklage in dieser Region abgelöst, sinkt die Leistung der Windenergie europaweit innerhalb weniger Tage um hundert Gigawatt. Das entspricht etwa 150 mittelgroßen Kohlekraftwerksblöcken.
Die Forscher schlagen daher vor, die Standorte neuer Windparks anhand der Wetterregime festzulegen. "Wenn neue Anlagen nicht wie vorgesehen bevorzugt im Nordseeraum installiert würden, sondern vor allem in Nordskandinavien, auf dem Balkan und in der Ägäis, könnte man die gesamteuropäische Windstromproduktion auf hohem Niveau stabilisieren", sagt Grams. Die maximale Differenz bei verschiedenen Regimen läge dann bei zwanzig Gigawatt - etwa so viel wie heute, jedoch bei deutlich mehr installierten Windrädern.
Ein richtiger Ansatz, meint Thomas Gerz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) - auch auf längere Sicht, da sich die Wetterregime durch den Klimawandel nicht grundlegend ändern würden. Allerdings könnten Wetterextreme wie stärkere Stürme zunehmen, sagt Gerz.
Kein gesamteuropäischer Strommarkt
Eine gleichmäßigere Verteilung der Windräder setzt eine massive Erweiterung der Stromnetze voraus, da es in vielen Regionen an Abnehmern für die Energie fehlt. "Der überregionale Ausbau der Windenergie steht und fällt mit den Leitungen, die den Strom zu den Verbrauchern transportieren", sagt Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Windstrom aus Griechenland zum Beispiel müsste dann quer durch den Kontinent in die Verbrauchszentren in Westeuropa geleitet werden. Allerdings verlangt auch der weitere Ausbau der Windenergie in der Nordsee neue Stromleitungen.
Völlig offen ist Frage, wie sich eine solche europaweite Planung politisch und wirtschaftlich umsetzen ließe. Selbst wenn sich die EU um eine engere Zusammenarbeit in der Energiepolitik bemüht, bleiben wesentliche Fragen wie der Ausbau und die Förderung der erneuerbaren Energien Sache der einzelnen Staaten. Auch ein gesamteuropäischer Strommarkt ist noch in weiter Ferne.
Fotovoltaik und Windenergie im Team
Quaschning plädiert dafür, auch die Solarenergie zu nutzen, um Schwankungen bei der Windenergie auszugleichen. "Es ist sinnvoll, die Fotovoltaik etwa mit gleicher Leistung auszubauen wie die Windenergie", sagt der Wissenschaftler. Beide Technologien ergänzten sich gut: In Hochdruckgebieten mit viel Sonnenschein gebe es in der Regel nur wenig Wind, bei Herbststürmen mit viel Wind wiederum nur wenig Sonne. "Windenergie- und Fotovoltaikanlagen laufen also fast nie gleichzeitig mit Volllast."
Das Forscherteam von ETH Zürich und Imperial College London warnt allerdings davor, den möglichen Beitrag der Fotovoltaik zum Ausgleich europaweiter Schwankungen zu überschätzen. Ihren Berechnungen zufolge müsste die Kapazität der Solaranlagen in Europa um das Zehnfache wachsen, um eine winterliche Flaute über der Nordsee zu kompensieren.